Menschen verbinden, Orientierung geben Zwanzig Jahre „Stiftung Weltethos“

„Diese eine Weltgesellschaft braucht keine Einheitsreligion und Einheitsideologie, wohl aber einige verbindende und verbindliche Normen, Werte, Ideale und Ziele.“ Dieses Zitat des Theologen Hans Küng umreißt die Mission der von ihm 1995 gegründeten „Stiftung Weltethos“. Wo steht das Projekt heute?

Es geht der Stiftung nicht – wie in manchen uninformierten Kreisen bis heute kolportiert – um Vereinheitlichung oder Gleichmacherei zwischen den Religionen, sondern es geht um interreligiösen Dialog als Voraussetzung für Verständigung und Frieden. Und es geht um Werte, die in allen großen religiösen und humanistischen Traditionen seit Jahrtausenden im Mittelpunkt stehen und die bis heute Voraussetzung gelingenden Miteinanders sind – ob in einer Familie, einem Kindergarten, einer Schule, einem Unternehmen oder in der Zivilgesellschaft überhaupt.

Von der Idee zur Stiftung

Was zunächst als Arbeitshypothese des in Tübingen lebenden Schweizer Theologen Hans Küng formuliert wurde  – erstmals vorgestellt 1990 in seinem Buch Projekt Weltethos –, erhielt schon kurze Zeit später internationale Anerkennung über die Grenzen der Religionen und Kulturen hinweg: 1993 verabschiedete das „Parlament der Weltreligionen“ in Chicago die „Erklärung zum Weltethos“, in der – inspiriert von Hans Küngs „Projekt Weltethos“ – jene Prinzipien und Werte als Kern einen „Weltethos“ formuliert wurden, die religiöse wie nichtreligiöse Menschen verbinden und die bis heute nichts von ihrer Relevanz eingebüßt haben: die Prinzipien „Menschlichkeit“ und die erstmals vom chinesischen Weisen Konfuzius formulierte „Goldene Regel“ (oft verwechselt mit Kants „kategorischem Imperativ“) und – daraus abgeleitet – die Werte „Gewaltlosigkeit“, „Gerechtigkeit“, „Wahrhaftigkeit“ und „Partnerschaft“.

Zwei Jahre später konnte dank des Engagements des Baden-Badener Unternehmers Karl Konrad Graf von der Groeben die Tübinger Stiftung Weltethos gegründet werden (vgl. www.weltethos.org). Die Stiftung ist der mit obigem Küng-Zitat skizzierten Programmatik verpflichtet: Vermittlung von Werten und interkultureller Kompetenz auf Grundlage eines gemeinsamen Menschheitsethos, eines Weltethos. Angesichts der Vielzahl globaler und lokaler politischer, religiöser und wirtschaftlicher Herausforderungen, vor denen unsere Weltgesellschaft heute steht, und angesichts von fast täglich aufgedeckten Skandalen mit explizit ethischer Dimension werden Notwendigkeit und Relevanz dieses Stiftungsauftrags heutzutage kaum zu bezweifeln sein. Die Frage ist, inwieweit die Stiftung Weltethos diesen Auftrag auch tatsächlich erfüllt.

Kleine Stiftung mit großem Programm

Eines vorweg: Im internationalen Maßstab ist die Stiftung Weltethos eine winzige NGO mit sehr überschaubaren Mitteln. In Tübingen arbeiten derzeit an zwei Standorten acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit unterschiedlichen Deputaten, zudem einige Hilfskräfte und Praktikanten; in Berlin betreibt die Stiftung ein Büro mit einer Teilzeitstelle. 2012 konnte dank der Unterstützung der Aichtaler Karl Schlecht Stiftung zudem das Weltethos-Institut an der Universität Tübingen gegründet werden, wo ebenfalls fünf Festangestellte und einige studentische Hilfskräfte tätig sind. Während man sich im Weltethos-Institut auf Fragen der Wirtschafts- und Globalisierungsethik konzentriert, ist die Stiftung Weltethos – neben Forschung, Publikationen und Öffentlichkeitsarbeit – in vier Arbeitsfeldern operativ tätig: ethische Bildung, Gewaltprävention, interreligiöse Bildungsarbeit, internationale Verbreitung. Innerhalb dieser Arbeitsfelder entwickelt die Stiftung eine Fülle von Aktivitäten und Projekten – teils allein, teils mit unterschiedlichen nationalen wie internationalen Kooperationspartnern.

Der Frieden beginnt im Kleinen, und die Grundlagen für ein Miteinander in gegenseitigem Respekt sollten schon möglichst früh gelegt werden. Deshalb ist ein wichtiger Arbeitsschwerpunkt der Stiftung seit jeher die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Aber auch in der „Erwachsenenwelt“ gibt es zahllose Bereiche und Zielgruppen, für welche die Stiftung Initiativen und Projekte konzipiert und durchführt. Dabei kommt dem interreligiösen Dialog auf unterschiedlichen Ebenen und der internationalen Kooperation herausragende Bedeutung zu.

Folgende knappe Übersicht aktueller Initiativen und Projekte gibt einen ersten Eindruck vom vielfältigen Engagement:

Weltethos in der Pädagogik

Dieses zentrale Arbeitsfeld der Stiftung spielt sich faktisch auf zwei Ebenen ab: in den Schulen vor Ort und auf der Ebene der Schulbehörden.

  • Für Schulen und Lehrkräfte vor Ort entwickelt und vertreibt die Stiftung Lernmedien, führt Lehrkräftefortbildungen und Schülerveranstaltungen durch und begleitet Weltethos-Projekte, die oft in Zusammenhang mit der Weltethos-Ausstellung (s.u.) an Schulen stattfinden.
  • Kontinuierlich kooperiert die Stiftung mit Schulbehörden bis hin zum Kultusministerium und entwickelt mit diesen Institutionen Projekte und Initiativen – unter anderem mit der Polizeidirektion Ludwigsburg ein Projekt zur Extremismus-Prävention an Schulen. Herausragend sind die Konzeption und der Start eines Projekts zur Extremismus-Prävention an Schulen, gemeinsam mit der Polizeidirektion Ludwigsburg, dem Verfassungsschutz und anderen Partnern, das zunächst an vier Schulen beginnen und dann auf weitere zehn Schulen ausgedehnt werden soll.

Weltethos-Schulen

Weltethos-Schulen sind Schulen, die ihr pädagogisches Profil an der Weltethos-Programmatik ausrichten und eine Schulkultur im Sinne des Weltethos entwickeln wollen. Dieses 2014 begonnene Projekt entwickelt sich zu einem großen Erfolg:

Schon im ersten Projektjahr konnten 4 Schulen ausgezeichnet werden, im Folgejahr 2015 kamen – ohne Werbeanstrengung – 7 Schulen hinzu. Ende 2015 hat der Baden-Württembergische Kultusminister Stoch ausdrücklich den Erfolg und die Bedeutung dieses Projekts anerkannt. Die Stiftung berät diese Schulen auf ihrem Weg zur Auszeichnung, begleitet sie danach und vernetzt sie zum Erfahrungsaustausch und zur Verstetigung des Erfolgs. Im Rahmen ihrer personellen und finanziellen Möglichkeiten wird die Stiftung das Projekt weiter ausweiten.

Weltethos und frühe Bildung

Nicht zuletzt aufgrund zunehmender Migration entwickeln sich Kindergärten und Tagesstätten zu wichtigen Handlungsfeldern für die Stiftung Weltethos: Betreuungspersonal muss interkulturell qualifiziert und geschult werden, und die Weltethos-Programmatik erweist sich als praktikabler Ansatz, Kindern und deren Eltern kulturübergreifend Werte zu vermitteln und damit aktiv frühe Gewaltprophylaxe zu betreiben.

Gemeinsam mit dem Caritasverband Stuttgart und der St. Elisabeth Stiftung ist zudem ein Projekt in Arbeit, in dessen Rahmen zunächst vier interkulturelle Tagesstätten auf Grundlage der Weltethos-Programmatik entstehen sollen; später ist die Ausweitung auf zehn Tagesstätten geplant.

Weltethos und Sport

Seit 2013 ist die Stiftung Weltethos Partnerin des Deutschen Fußballbundes (DFB) und wirkt mit bei der Entwicklung von Konzepten zur Prävention von Gewalt und u.a. kulturell bedingter Diskriminierung unter Spielern wie Fans. Mit diesen Maßnahmen werden letztlich insgesamt 25.500 Vereine (mit 165.000 Mannschaften!) in Deutschland erreicht.

Interreligiöser Dialog

Im Rahmen der interreligiösen Bildungsarbeit ist der interreligiöse Dialog unverzichtbares Instrument zur Information, zum Abbau von Ressentiments und Vorurteilen und damit zum gesellschaftlichen Frieden. Dazu initiiert die Stiftung Begegnungstreffen der Religionen vor Ort, arbeitet an einem Projekt zur Initiierung von „Interreligiösen Räten“ in Städten und kooperiert mit nationalen und internationalen interreligiösen Organisationen.

Gesellschaftspolitisch immer wichtiger wird die Auseinandersetzung mit dem Islam als der größten in Deutschland ansässigen nichtchristlichen Religionsgemeinschaft. Dazu betreibt die Stiftung Bildungsarbeit mit Moscheegemeinden und islamischen Organisationen, führt Elternarbeit mit Muslimen im schulischen Bereich durch und kooperiert mit den universitären Islamzentren bundesweit.

In interkulturellen Fragen wird die Stiftung zudem von Bundes- und Landesministerien und anderen Behörden zu Rate gezogen. auch vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und vom Kultusministerium Baden-Württemberg geschätzt und zu Rate gezogen. Gute Kontakte bestehen zum Bundespräsidialamt und zum Ministerpräsidenten von Baden Württemberg sowie zum Innenministerium, Integrationsministerium und Justizministerium Baden-Württemberg

Allgemeine Bildungsarbeit

Für das allgemeine und das fachlich interessierte Publikum bietet die Stiftung kontinuierlich unterschiedlichste Bildungsformate zu verschiedenen Aspekten der Weltethos-Thematik an. Dabei erweist sich die von der Stiftung vor vielen Jahren konzipierte Ausstellung „Weltreligionen – Weltfrieden – Weltethos“ als bewährtes didaktisches Medium. 2015 wurden insgesamt 282 Bildungsveranstaltungen durchgeführt und die Weltethos-Ausstellung wurde an 39 Orten gezeigt; sie kann bei der Stiftung in unterschiedlichen Formaten erworben oder ausgeliehen werden.

Internationale Kooperationen

Herausragende Beispiele internationaler Kooperation sind derzeit zwei pädagogische Weltethos-Projekte in Hong Kong (mit dem „Institute for Sino-Christian Studies“ und mit Schulbehörden) und in Indien (mit der „SREI Foundation“ in Kalkutta). In beiden Fällen geht es um die Adaption und die Implementierung von Lernmedien der Stiftung Weltethos für den jeweiligen nationalen und kulturellen Kontext. Die Erfahrungen aus diesen multireligiösen Kontexten geben wichtige Hinweise auf Praktikabilität und Potenzial des Weltethos-Konzepts und helfen der Stiftung, andernorts und vor allem bei uns in Deutschland entsprechende Projekte effizient und wirksam zu entwickeln. Zudem begleitet und unterstützt die Stiftung Weltethos-Initiativen und -Organisationen in mehreren Ländern: in der Schweiz, in Österreich, Bosnien-Herzegowina, Slowenien, Italien, Luxemburg, Kolumbien und Mexiko.

Zum Schluss

Diese wenigen holzschnittartigen Ausführungen müssen hier genügen, um zumindest einen Eindruck davon zu vermitteln, wohin sich die Stiftung Weltethos in den zwanzig Jahren ihres Bestehens entwickelt hat, was sie will und was ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heute tun. 18 Jahre hat Hans Küng die Stiftung erfolgreich als Präsident geleitet, bis er sich schließlich 2013 mit 85 Jahren aus Gründen seines Alters und seiner eingeschränkten Gesundheit zurückziehen musste und wollte. Sein Nachfolger, der Jurist Eberhard Stilz, Präsident des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg, setzt diese Arbeit ebenso erfolgreich im Geiste von Hans Küng fort.

Viele Menschen fragen, ob und wie sie an unserer Arbeit teilhaben oder wie sie uns unterstützen können. Teilhaben kann man zunächst, indem man sich für uns und unsere Arbeit interessiert: Besuchen Sie unsere Website www.weltethos.org (dort auch ein Online-Shop mit Medien und Materialien) oder besuchen Sie uns auf Facebook (www.facebook.com/stiftungweltethos). Besuchen Sie außerdem unsere Veranstaltungen, soweit möglich auch die des Weltethos-Instituts in Tübingen, und überlegen Sie vor allem, ob und wie Sie das Thema „Weltethos“ in ihrem persönlichen Umfeld, in Schulen, Kirchengemeinden und anderswo aufgreifen, verbreiten und umsetzen können.

Was die konkrete Unterstützung betrifft, so möchte ich in erster Linie auf unsere finanzielle Situation verweisen: Unsere Stiftung hat mit gut 4 Mio. EUR ein für eine so aktive Stiftung sehr überschaubares Kapital, von dem sie zudem nur die Erträge verwenden darf. Zur Aufrechterhaltung unseres Betriebs und zur Realisierung des Großteils unserer Projekte sind wir zudem auf Spenden und Projektsponsoring angewiesen. Jede auch noch so kleine Spende ist uns eine Hilfe! Für Nachlässe versprechen wir eine sinnvolle und nachhaltige Nutzung mit unserem Einsatz für Wertevermittlung sowie Verständigung und Frieden zwischen den Religionen und Kulturen.

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