Jaron Lanier: Wem gehört die Zukunft? Du bist nicht der Kunde der Internetkonzerne. Du bist ihr Produkt.

Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg, 2. Auflage 2014. 480 Seiten. 24,90 EUR.

„Als ob es eine polyglotte künstliche Intelligenz gäbe, die da oben in der großen Serverfarmen-Cloud residiert“ und chinesisch-englisch, hin und her, übersetzt –, deren Besitzer allein den Gewinn einstreicht, als hätte kein Mensch sonst diese Leistung ermöglicht…

Jaron Lanier hat Rastalocken, grinst, wenn er von manchen als Hippie eingestuft wird, und ist, 1960 in New York geboren, ein „Kind“ des Silicon Valley, einem der bedeutendsten IT- und High-Tech-Standorte weltweit. Als Computerwissenschaftler beschäftigt er sich u.a. mit der Architektur der digitalen Technologie und ihrer Verbindung und ihrem Einfluss auf die Wirtschaft.

In seinem Buch Wem gehört die Zukunft? skizziert er umfassend die „Informationsökonomie“, wie er die Basis unserer Wirtschaft charakterisiert, ihren Rohstoff, also riesige Datenmengen, die man mit mittlerweile dank recht günstig verfügbaren Rechnerleistungen sozusagen zusammenrechnet, um daraus Gewinn zu schlagen. Und genau hier hakt Lanier ein: „Allein die Tatsache, dass man Big Data braucht, zeigt, dass die Algorithmen nur eine andere Form menschlicher Tätigkeit sind – eine anonyme Form menschlicher Tätigkeit, bei der die tätigen Menschen nicht gewürdigt oder bezahlt werden. Big Data und die künstliche Intelligenz sind wirtschaftliche und politische Konstruktionen, die die meisten Menschen entrechten.“ (S. 16)

Jaron Lanier (Foto: vanz, Flickr über Wikipedia.de, CC-BY-SA)

Ein  weltweites Vergütungssystem für die Auswertung von persönlichen Daten

Werden z.B. Pflegeroboter konstruiert und eingesetzt, so sei deren praktisches Können vielen pflegenden Menschen abgeschaut, deren Wissen in zahlreichen Informationen gebündelt und zu einem Super-Ergebnis hochgerechnet und dann software-basiert im Roboter angewandt werde. Gerecht wäre es, pflegenden Menschen, deren Informationen man benutzt, Zahlungen – proportional zum Wert ihrer Informationen – zukommen zu lassen. Unsere Informationen, die „jedermann auf der ganzen Welt … Rechnern anvertraut“ (S. 18) – oft kritisiert Lanier die Tendenz zum Überwachungsstaat und zur Überwachungsindustrie! –, sollten in einer software-basierten Technologie der Zukunft durch ein Abrechnungssystem („Nanozahlungen“) sauber abgerechnet werden. Dazu gehört auch die allgemeine Einsicht, dass es im Internet nicht so viele Dienste wie bis bisher „umsonst“ (d.h. faktisch um den Preis des Ausspioniert Werdens!) geben kann. Lanier spricht von der „Versuchung der ‚Umsonst-Kultur‘ im World Wide Web“. Die Kleinstzahlungen würden sich summieren und die Menschen motivieren, „substantielle Beiträge zur Informationsökonomie zu leisten“ (S. 47). Darauf beruhe eine „Welt der digitalen Würde“, in der jeder Mensch „der kommerzielle Eigentümer aller seiner Daten, die sich aus seiner Situation oder seinem Verhalten ermitteln lassen“ (S. 46), bleibe.

Gegen Fortschrittsgläubigkeit, für eine humanistische Ökonomie

Lanier arbeitet erfolgreich und mit viel Spaß, wie er sagt, bei Microsoft – z.B. an der Entwicklung direkter Schnittstellen zwischen Computern und dem menschlichen Nervensystem.  Auch in einer „humanistischen Ökonomie“ (S. 362) der Zukunft hält er Konzerne als „Schwungräder“ und „Ballast einer Marktwirtschaft“ für nötig, weil sie „für ein gewisses Maß an Stabilität“ (S. 341) sorgen. Was er nicht will: dass Sirenenserver die Beiträge anderer zur Informationsökonomie sich kostenlos aneignen; dass eine breite Mittelschicht als – wie er sagt – „Gegengewicht“ zu den Sirenenservern verschwindet.  Er ist Humanist. Darum setzt er sich in seinen Büchern und Vorträgen unermüdlich für die Achtung des Menschen ein. Es dürfe keine Gesellschaft entstehen, die „das individuelle menschliche Tun ausblendet“ (S. 411).

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