Organspende braucht einen anderen Ausweis Evangelische Frauen positionieren sich

Wussten Sie, dass in Deutschland ca. 12.000 Menschen auf ein Spenderorgan warten und trotzdem Zweidrittel der Bevölkerung keine Bereitschaft zur Organspende zeigt? Die Evangelischen Frauen in Deutschland e.V. (EFiD) haben angesichts dieser Situation jetzt eine Kampagne für einen anderen Organspende-Ausweis gestartet.

Wie lässt sich der Rückgang der Organspenden erklären? Im Januar 2014 erklärte Bruno Meister, Präsident Eurotransplant, dass der aktuelle Nachlass keineswegs auf die rückläufige Spendebereitschaft zurückzuführen sei, sondern auf die gesunkene Bereitschaft von Ärzten, sich für Organspende zu engagieren. Weiter verschärft wird die Angebotslage dadurch, dass immer mehr Menschen Patientenverfügungen haben, in denen sie festlegen, dass sie am Ende ihres Lebens keine intensivmedizinischen Maßnahmen wollen, sondern nur palliativmedizinische Betreuung. Damit aber kommen viele potentielle Spender gar nicht erst in die Situation einer möglichen Spende. Denn hirntot werden bzw. genauer gesagt bleiben kann ein sterbender Mensch nur entweder auf der Intensivstation, wenn er bereits intubiert ist und künstlich beatmet wird, oder nach einem Unfall etwa, wenn die künstliche Beatmung innerhalb weniger Minuten nach Eintritt des Hirntodes einsetzt.

Hirntod – der Tod des Menschen?

Wenn alle Teile des menschlichen Gehirns irreversibel ausfallen, spricht die Medizin vom Hirntod, wobei die Todesdefinition Hirntod bis heute umstritten ist. Vor gut zehn Jahren sorgten die Forschungsergebnisse des amerikanischen Neurologen Alan Shewmon für heftige Diskussion: Bis zu 14 Jahren konnten hirntote Menschen mit künstlicher Beatmung überleben, verdauen, ausscheiden, Geschlechtsreife entwickeln, so seine Beobachtungen. Bis 2003 wurden zehn Schwangerschaften von hirntoten Frauen über Monate aufrechterhalten und diese dann von gesunden Kindern entbunden. Akzeptieren wir die auch im naturwissenschaftlichen Bereich zunehmend Raum greifende Erkenntnis, dass Hirntote keine Leichen, sondern sterbende Menschen sind, dann bedeutet das: Bei der Explantation von Organen von Hirntoten werden diese Organe einem lebenden menschlichen Individuum entnommen. Für Organtransplantationen gilt aber – sofern es sich nicht um Lebendspenden handelt – die dead-donor-rule, die so genannte Tote-Spender-Regel. Das heißt: Organe dürfen erst nach dem Tod der Spenders explantiert werden  – und der Tod wird in Deutschland festgestellt, wenn zwei Ärzte im Abstand von 24 Stunden unabhängig voneinander den Hirntod diagnostiziert haben.

So einfach ist das, glauben viele, wenn sie einen Organspende-Ausweis unterschreiben. Die EFiD und viele andere denken aber, dass es so einfach nicht ist.

Darum fordern sie einen breiten gesellschaftlichen Diskurs zum Hirntodkonzept als Grundlage der Transplantationsmedizin in Deutschland – und die Definition des Todes im Transplantationsgesetz. Statt einseitiger Information wollen die Evangelischen Frauen eine umfassende, ergebnisoffene und der Tragweite der Entscheidung angemessenen Information zur Organspende und eine ausreichende Beantwortung offener Fragen.

Der „andere“ Organspende-Ausweis ist anders…

…weil er zwischen Hirntod und Tod unterscheidet

Voraussetzung für die Organspende ist der Hirntod, Gewebe hingegen können Leichen auch Stunden nach dem Eintritt des Todes entnommen und – aufbereitet und konserviert – für Transplantationen verwendet werden. Gewebe werden aber, anders als Organe, zum Teil auch zu Arzneimitteln weiterverarbeitet. Um dies deutlich werden zu lassen, bietet die EFiD zwei Ausweise in einem Formular: einen für die Organspende und einen für die Gewebespende.

…weil er die Möglichkeit bietet, der Organentnahme nach Hirntod unter der Bedingung einer Vollnarkose zuzustimmen

Bei drei von vier Hirntoten treten Bewegungen von Armen und Beinen auf. Diese sogenannten Lazaruszeichen werden in Deutschland bei den Organspendenden in der Regel mit Medikamenten zur Muskelentspannung unterbunden, weil sie die Entnahmeoperation stören. Bewusstsein und Schmerzempfinden werden jedoch nicht medikamentös ausgeschaltet. Weil aber niemand mit letzter Sicherheit ausschließen kann, dass Spender während der Organentnahme noch Schmerzen empfinden können, sollte Organentnahme grundsätzlich unter Vollnarkose erfolgen. Medizinisch steht dem nichts entgegen. Aus vielen Diskussionen weiß man: Eine Vollnarkose – und damit die Sicherheit, dass die Spendenden bei der Entnahmeoperation keine Schmerzen haben – würde vielen die Entscheidung zur Organspende erleichtern.

…weil er auch die Belange Angehöriger berücksichtigt

Angehörige von Organspendern müssen sich von einem der sinnlichen Wahrnehmung nach Lebenden verabschieden: die Haut ist noch warm, durch die künstliche Beatmung hebt und senkt sich der Brustkorb. Die bekannten Todeszeichen (keine Atmung, kein Herzschlag, kalte Haut, Leichenblässe) sind erst nach der Entnahmeoperation erkennbar. Die Möglichkeit, dem sterbenden Menschen während der Organentnahme persönlich oder stellvertretend etwa durch Seelsorgende oder andere begleiten lassen zu können, wirkt dem in manchen Fällen traumatisierenden Gefühl von Angehörigen entgegen, ihre Liebsten beim Sterben alleingelassen zu haben. Zu wissen, dass bei der Entnahmeoperation ein Mensch nur für den Sterbenden da war, kann bei der Trauerverarbeitung helfen.

Die Evangelischen Frauen in Deutschland sind davon überzeugt, dass ehrliche und ausführliche Informationen Menschen nicht davon abhalten, ihre Spende-Bereitschaft zu erklären. Vielmehr werden sich nur so wieder mehr Menschen bereitfinden, im Falle ihres Hirntodes ihre Organe – und im Falle ihres Todes ihre Gewebe – zum Wohle anderer zur Verfügung zu stellen.

Weitere Informationen zur Kampagne unter: organspende-entscheide-ich.de

Quelle: Evangelische Frauen in Deutschland e.V.(EFiD), 30175 Hannover

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