Alternatives Wirtschaften Ausgabe 3/2020

Liebe Leserin, lieber Leser,

in den vergangenen Wochen haben wir gelernt, dass es erst eine weltweite Pandemie braucht, um skandalöse Produktionsbedingungen in Teilen unseres Wirtschaftssystems (z.B. in der deutschen Fleischindustrie) aufzudecken und die Politik entsprechend aufzuwecken. Bisher dachte man, die Fabriken, in denen andere zu ausbeuterischen Bedingungen für unser Wohlergehen schuften, stehen weit weg in Bangladesch; jetzt wissen wir: sie stehen auch in Rheda-Wiedenbrück.

Wie werden wir nach Corona wirtschaften? Unsere Schwerpunkt-Autor*innen sind sich einig, dass der Druck für globale Veränderungen gestiegen, diese jetzt aber auch eher durchsetzbar sind. Nicht nur der Ökonom Stefan Brunnhuber spricht vom „planetarischen Momentum“, das es nun zu nutzen gelte (S. 5–8). Auch der Theologe Torsten Meireis sieht die Chance zu einem globalen wirtschaftlichen Umbau, der auch Kerngedanken einer christlichen Wirtschaftsethik zur Geltung bringt. Ob damit freilich schon das Ende des Kapitalismus eingeläutet ist? Der Initiator der Bewegung für eine Gemeinwohl-Ökonomie Christian Felber und unsere Autor*innen vom Konzeptwerk für Neue Ökonomie in Leipzig lassen jedenfalls schon mal den Gedanken freien Lauf, wie unsere Wirtschaftswelt nach dem Ende des „Kapitalozän“ aussehen könnte, und nutzen damit die beflügelnde Kraft von Visionen.

Neben den großen Entwürfen finden Sie in diesem Heft aber auch Beispiele für kleine und gleichwohl wirksame Schritte zu einem besseren Leben für alle – wie z.B. den Kampf für ein Lieferkettengesetz oder die Projekte „Buen Vivir“ und „Solawi“. An diesen Beispielen zeigt sich auch: Genussvolles Leben und wirtschaftlicher Erfolg müssen nicht als dunkle Kehrseite die Ausbeutung menschlicher Arbeitskräfte und natürlicher Ressourcen haben. Umgekehrt ist allerdings menschliche Gier nicht ohne solche Ausbeutung zu befriedigen.

Genügsamkeit – oder neudeutsch: Suffizienz – gehörte auch schon zu den Kernbotschaften eines galiläischen Wanderpredigers vor 2000 Jahren: „Seht die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater ernährt sie doch“, lautet einer der provokanten Sätze aus der Bergpredigt (Matthäus 6,26). Was Jesus zu Fleischfabriken sagen würde, in denen täglich 20.000 Tiere zu Billigfleisch verarbeitet werden? Zwei Verse zuvor findet sich sein Satz: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.“

Mit herzlichen Grüßen aus der Redaktion

Bertram Salzmann

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