Religiosität und Zufriedenheit Einige systematisch-theologische Gedanken mit Bezug auf die Resilienzforschung

„Zufriedenheit“ ist ein aktueller und beliebter Begriff, in der Theologie aber eher ein Randthema. Aus der Sicht einer theologisch motivierten Resilienzforschung ergeben sich aber neue, aufschlussreiche Beziehungen.

Zufriedenheit drückt eine momentane Verfasstheit oder eine Lebenshaltung, ein vorfindliches Resultat oder etwas aktiv Herbeizuführendes, eine Zustandsbeschreibung oder eine Zielperspektive oder auch Kombinationen daraus aus. In jedem Fall handelt es sich um etwas Wünschenswertes, um zumindest einen Anteil daran, was man ein gutes Leben nennen kann. Verschafft man sich einen Überblick über theologische Arbeiten zum Thema „Zufriedenheit“, so fällt jedoch auf, dass es sich insbesondere aus der Systematischen Theologie, also jener theologischen Disziplin, die aus aktueller Sicht über Religion, Gott und Glaube nachdenkt, eher um ein Randthema handelt. Im Folgenden sollen daher einige Gedanken entwickelt werden, die an unsere Arbeit zur Resilienzforschung in der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsgruppe „Resilienz in Religion und Spiritualität. Aushalten und Gestalten von Ohnmacht, Angst und Sorge“ (Projektnummer 348851031) anknüpfen.

Sind religiöse Menschen zufriedener?

Der Zusammenhang von Religiosität und Lebenszufriedenheit ist Gegenstand einiger weniger empirischer Studien. Sucht man nach verwandten Konzepten wie Wohlbefinden, Lebensqualität oder Resilienz, erhält man sogar eine Vielzahl an Studien. Die Zusammenhänge dieser Konzepte sind jedoch komplex, weshalb wir es hier bei dem Konzept der Zufriedenheit belassen.

Es ist interessant, dass sich in den empirischen Studien einerseits nur relativ schwache Verbindungen zwischen Religiosität und einer höheren Lebenszufriedenheit feststellen lassen. Andererseits können stärkere Verbindungen ausgemacht werden, wenn genauer auf die Art der Religiosität geschaut wird, also z.B. auf bestimmte Formen religiöser Gruppen oder auf die Art der Zugehörigkeit zu Religion: Grob gesagt scheinen offenere Gemeinschaftsformen und eine innere Verbundenheit mit der eigenen Religion eher mit einer höheren Lebenszufriedenheit einherzugehen. Stark geschlossene, kontrollierende Gemeinschaftsformen und eine tendenziell äußerlich motivierte Religionszugehörigkeit dürften dagegen eher mit einer geringeren Lebenszufriedenheit verbunden sein.

Dies sind natürlich nur grobe Einordnungen, denn nur weil man einen Zusammenhang feststellt, ist noch wenig über die genaue Art der Zuordnung gesagt: Ist es zum Beispiel eher so, dass innerlich stark mit der eigenen Religion verbundene Menschen zufriedener werden – oder sind es bereits die eher zufriedeneren Menschen, die sich innerlich stärker mit der eigenen Religion identifizieren? Wie dem auch sei: Es besteht immerhin ein erkennbarer Zusammenhang zwischen Religiosität und Zufriedenheit und es scheint zumindest gut denkbar, dass eine innerliche Identifizierung beziehungsweise ein persönlicher Glaube sowie eine offenere, das heißt weniger kontrollierende, soziale Form der religiösen Gemeinschaft auch zu einer größeren Zufriedenheit mit den eigenen Lebensumständen beitragen können. Als besonders relevant könnte sich diese Zufriedenheit in der Erfahrung schwerer Lebenskrisen erweisen, womit der Begriff der Resilienz in den Blick kommt.

Religiosität und Zufriedenheit im Verhältnis zu Resilienz

Was Resilienz ist, lässt sich – ebenso wie bei Religion – gar nicht so einfach sagen. Es lässt sich beobachten, dass manche Menschen mit persönlich schweren Krisen besser umgehen können oder besser aus diesen Krisen wieder „herauskommen“ als andere Menschen und als man generell erwartet hätte. Daran schließt sich die Frage an, was der Grund dafür ist, und also, was man daraus lernen kann, um Menschen in Krisensituationen zu helfen.

Schauen wir zuerst noch einmal auf die empirischen Studien: So wie zwischen Religiosität und Zufriedenheit wurde in empirischen Studien häufig auch ein Zusammenhang zwischen Religiosität und Resilienz festgestellt: Religiöse Menschen können tendenziell und unter bestimmten Bedingungen etwas besser mit Krisen umgehen. Auch hier wären die genaueren Umstände zu betrachten und zu hinterfragen, aber eine gewisse Tendenz lässt sich zumindest andeuten. Zu den hierfür wichtigen Faktoren gehören z.B. die Fähigkeit, Krisen bewusst wahrzunehmen, sich in der Krisenerfahrung sinnhaft zu artikulieren oder sich als familiär und/oder im weiteren Sinne sozial eingebunden zu fühlen. Vor allem aber gehört dazu die Frage, ob ein Mensch die mit einer existentiellen Lebenskrise einhergehende Erfahrung von Negativität, Ambivalenz und Unsicherheit in das eigene Lebensbild zu integrieren vermag oder eher nicht. In diesem letzten Punkt bieten religiöse und spirituelle Traditionen – z.B. Worte, Vorstellungen, rituelle Praktiken – soziale Kommunikationsformen oder Rückzugsorte, die sich in Krisenerfahrungen als hilfreich erweisen können. Es kommt allerdings sehr darauf an, welche Art der Krisensituation man vor Augen hat. So macht es zum Beispiel einen erheblichen Unterschied, ob es um Stress am Arbeitsplatz, um einen Trauerfall in der Familie, um widrige Lebensbedingungen oder um einen Fall auf der Palliativstation geht.

Es geht um erfahrene Lebensqualität nicht ohne, sondern auch in den Krisensituationen des Lebens.

Dass solche Überlegungen der Tendenz nach ähnlich ausfallen wie bei Zufriedenheit, braucht nicht zu überraschen, denn beide Konzepte weisen eine gewisse Verbindung auf. Das gilt zum einen für die empirischen Studien, denn es wäre erst noch zu prüfen, ob die empirischen Erhebungsinstrumente zu Resilienz und Zufriedenheit unabhängig voneinander sind. Zum anderen gilt für die inhaltliche Ähnlichkeit, dass sich Zufriedenheit ähnlich wie bei Resilienz nicht durch eine völlige Abwesenheit von Krisenerfahrungen sowie lebenspraktischen Problemen in sozioökonomischer oder in psychophysischer Hinsicht einstellt, sondern sich auf die gefühlte und erfahrene Lebensqualität in den diversen Herausforderungen des Lebens bezieht. Dieser Aspekt ist aus der Perspektive der Resilienzforschung ungeheuer wichtig, weil damit eine problematische Alternative deutlich wird: und zwar die scheinbare Alternative von gutem, unbelastetem und zufriedenem Leben einerseits, schwierigem, belastetem und unzufriedenem Leben andererseits. Aus der Resilienzforschung wird verständlich: Die Alternative ist falsch, denn beide Seiten gehören zu menschlichem Leben unausweichlich dazu und die Lebenskunst besteht darin, eine Balance zwischen beiden Seiten zu gewinnen – und das ist, zumindest legt das der aktuelle Forschungsstand zur Resilienz nahe, ein dynamischer Prozess.

Zur ethischen Kritik der Resilienz und der Forderung, ein zufriedener Mensch zu sein

Nun sind aus ethischer Sicht durchaus auch kritische Anmerkungen zum Resilienzbegriff vonnöten. Denn Resilienz ist ein beliebtes Konzept, man könnte auch von einem Modebegriff sprechen: An allen möglichen Stellen und in allen möglichen Zusammenhängen wird Resilienz gewünscht, gefordert, gefördert, trainiert, festgestellt und so weiter. Natürlich, jede*r möchte gerne resilient sein; es ist durchaus wünschenswert, gut mit Krisen umgehen zu können, an ihnen nicht zu „zerbrechen“.

Aber wie bereits erläutert, ist gar nicht von vorneherein klar, was genau Resilienz ist: Es ist nicht so einfach zu sagen, was es bedeutet, „gut“ mit einer Krise umzugehen. Heißt Resilienz, auf lange Sicht sagen zu können, dass man mit dem eigenen Leben zurechtkommt, vielleicht sogar glücklich ist? Bedeutet es, keine professionelle Hilfe zu benötigen? Ist damit gemeint, durchgehend sein Leben „normal“ führen zu können als sei nichts geschehen? Und würde man all diese Fragen ebenso für den Begriff der Zufriedenheit stellen? Damit sind nur ein paar Möglichkeiten genannt, die sich zudem weiter ausdifferenzieren lassen. Das mag zuerst etwas haarspalterisch wirken. Aber die Antworten, die auf diese und andere Fragen gegeben werden, haben enorme Auswirkungen auf die Art, wie wir unser Leben führen.

So kann die Vorstellung, resilient zu sein oder auf eine bestimmte Art auf eine Krise reagieren zu müssen, erheblichen Druck ausüben. Auch die Erwartung, ein zufriedenes Leben führen zu wollen oder zu sollen, kann geradezu zu einer Belastung werden. Zufriedenheit ist zwar durchaus positiv konnotiert, jeder ist gerne zufrieden oder wäre es gerne. Was die genauen Bedingungen von Zufriedenheit sind, ist jedoch nicht allgemein festzustellen. Lässt sie sich herstellen oder zumindest fördern? Und, wenn ja, in welchem Umfang und auf welche Weise? Wo liegen die Grenzen, ab wann ist das Eintreten von Zufriedenheit nicht mehr von uns beeinflussbar? Unter welchen Umständen ist man „berechtigt“, unzufrieden zu sein? Die schlichte Aufforderung „sei doch zufrieden“ oder der krampfhafte Versuch, endlich doch mal zufrieden zu sein, verdeutlichen beispielhaft die Probleme und Abgründe, in die auch dieses Konzept führen kann. Erforderlich ist also eine genaue Reflexion auf die jeweilige Situation, auf die Angemessenheit und das Verständnis von Zufriedenheit – und dies nicht nur vonseiten der Wissenschaft, sondern ebenso im alltäglichen Leben.

Systematisch-theologischer Ausblick

Für beide Konzepte, Zufriedenheit ebenso wie Resilienz, gilt, dass sie keine statischen Persönlichkeitseigenschaften sind und sich nur sehr bedingt bewusst herstellen lassen. Vielmehr entwickeln sie sich in einem dynamischen Prozess und stellen sich ein anhand der Art und Weise, wie Menschen mit ihren Krisenerfahrungen und allen damit einhergehenden Ambivalenzen und Unsicherheiten umgehen. Deshalb ist aus Sicht der theologisch motivierten Resilienzforschung immer wieder zu betonen, dass auch Verzweiflung, Ringen mit Destruktivität, Aushalten etc. durchaus zu einem sinnvollen Umgang mit einer Krise hinzugehören – auch, wenn sie von einigen Resilienzverständnissen geradezu ausgeschlossen werden und unserem landläufigen Verständnis von einem zufriedenen Leben zuwider laufen können.

Es dürfte daher kein Zufall sein, dass wir in unserer christlichen Tradition so viele Bibeltexte, Gebete oder Kirchenlieder finden, die genau dieses Ringen zum Ausdruck bringen. Exemplarisch sei auf zwei beliebte Lieder aus dem Evangelischen Gesangbuch verwiesen: „Bewahre uns Gott“ (EG 171) oder „So nimm denn meine Hände“ (EG 376). Beide Lieder thematisieren das Erleben von Unsicherheit, Not und Leid, Schmerz und nächtlicher Einsamkeit und bringen diese in einer ruhigen Bitte um Zuwendung und Beistand vor Gott. Insgesamt lassen sie einen beruhigten, akzeptierenden und damit auch zufriedenen Ton laut werden, der nichts beschönigt oder vertuscht, aber das Aushalten von Krisen erlaubt. Zumindest in existentiellen Krisenerfahrungen könnte daraus ein neues Gefühl von Zufriedenheit erwachsen.

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