Physik und Theologie Das Weltbild der Quantenmechanik

Die Quantentheorie ist die Basis der modernen Physik. Wir alle verwenden ihre Ergebnisse täglich. Quantenmechanik sorgt z.B. dafür, dass Digitalkameras funktionieren. Dabei klingen ihre Aussagen eher nach Esoterik. Was bedeuten sie für die Theologie?

Teilchen, die zeitgleich an mehreren Orten sind. Messungen, durch die das zu Messende erst entsteht. Zustände von weit entfernten Objekten, die sich ohne äußere Krafteinwirkung selbsttätig synchronisieren… Quantenmechanik scheint voller Mysterien und Geheimnisse. Albert Einstein spöttelte einst von „spukhaften Fernwirkungen“, die mit den Mitteln der Physik nicht so recht erklärbar seien. Doch mittlerweile hat sich die Quantentheorie weithin durchgesetzt.

Quantensprünge

Was in der klassischen Physik unvorstellbar war, dient nun als tägliches Handwerkszeug. Besonders aufhorchen lässt die Verschränkung von Teilchen. Zwei oder mehrere Quantenobjekte nehmen dabei genau denselben Zustand ein. Diesen Zustand behalten die Objekte auch dann, wenn sie kilometerweit entfernt und völlig voneinander isoliert sind. Der interessante Effekt: Ändert man den Zustand eines dieser Teilchen, ändern sich alle anderen verschränkten Teilchen ebenfalls. Und zwar ohne irgendeine Art von direkter „Krafteinwirkung“.

Früher rief man bei rätselhaften Erscheinungen ja einen Geistlichen ins Haus… Die sogenannte Quantenverschränkung ist jedoch nur einer von vielen erstaunlichen Effekten. Auch in weiteren Feldern haben die neuen Erklärmodelle für Quantensprünge in der Wissenschaft gesorgt. Manches klingt dabei tatsächlich nach Voodoo-Zauber oder Esoterik. Die Frage legt sich nahe, wie sich die Theologie zu dem allem verhält.

Das Weltbild der Physik und die Theologie

Seit jeher hat das Weltbild der Naturwissenschaft Einfluss auf theologische Aussagen (und umgekehrt.) Man denke nur an die alten Listenwissenschaften. In biblischen Schöpfungsbetrachtungen werden die Naturphänomene summarisch nebeneinander gestellt. Das Erdreich und die Gewässer, die Tiere des Feldes und die Vögel, der Steinbock und der Klippdachs (Psalm 104). Alles wird eins nach dem anderen aufgelistet, auf diese Weise verzeichnet und erfasst. Das gesammelte Wissen über die Welt wird zugänglich gemacht, tradierbar archiviert. Die gelehrte Wissenschaft des Orients kennt viele solcher Listen-Reihungen von den Babyloniern bis nach Ägypten.

Später bilden die Denkvoraussetzungen der Antike die Grundlage für die Dogmen der Kirchenväter. Die Formulierungen der ökumenischen Konzile zur Zweinaturenlehre sowie zur Dreieinigkeit (Nicäa, Konstantinopel, Chalcedon) erfolgen im Rahmen antiker Denkmodelle und der Weltanschauung aus einer Zeit, in der alle wahre Philosophie Naturphilosophie war. Weitere Beispiele ließen sich ergänzen. Das Weltbild der Physik und der Naturerforschung hat die Theologie noch selten ungerührt gelassen.

Bekanntlich hat jedoch die Naturwissenschaft, die Physik zumal, nicht nur als Zudiener der Theologie fungiert. Oft genug wurde sie zum scharfen Kritiker. Man muss nicht erst bis Galilei denken. Häufig hat die Wissenschaft theologische Grundannahmen in Frage gestellt oder gleich ganz aus den Angeln gehoben. Wie steht es da nun mit der Quantenmechanik?

Überraschende physikalische Annahmen

Zoomen wir uns ein wenig näher. Wie sieht es aus, das Weltbild der Quantenphysik? Interessanterweise vermag das auch rund 90 Jahre nach ihrer ersten Formulierung niemand so recht zu sagen. Denn abschließende Erklärungstheorien, die sich bei allen Forschern durchgesetzt hätten, gibt es bislang nicht.

Abschließende Erklärungen, die sich allgemein durchgesetzt hätten, gibt es bislang nicht.

Schon eine der Grundaussagen der Quantenmechanik hat ausdrücklich die Ungenauigkeit und Unbestimmtheit zum Thema. Werner Heisenberg machte 1927 darauf aufmerksam, dass Messungen in mancher Hinsicht immer einen letzten Grad an Ungenauigkeit besitzen. Gleichzeitig den genauen Ort und den (Bewegungs-)Impuls eines Objektes exakt anzugeben, ist prinzipiell nicht möglich.

Das lässt sich in etwa so klarmachen: Ist eine Messung so extrem auf die genaue Lage des Objekts begrenzt, – quasi das vollständig an seinem Ort ruhende Teilchen – kann über seinen Richtungsimpuls nichts mehr gesagt werden. Dazu müsste man noch mindestens einen kleinen Moment länger messen: das Teilchen hätte dann aber seinen vorigen Ort wieder ein Stück verlassen (also keine exakte Ortsangabe mehr). Dies gilt im kleinen wie im ganz großen Maßstab. Umgekehrt gilt dasselbe von der Bewegung. Es kommt darauf an, wie lange wo mit welcher „Intensität“ gemessen wird und worauf man dabei achtet. Eine von beiden Eigenschaften kann zum selben Zeitpunkt daher nicht mit gleicher Exaktheit gemessen werden, es bleibt immer ungenau. Diese Einsicht wird die Heisenbergsche Unschärferelation genannt.

Es funktioniert – aber warum?

Die moderne Physik arbeitet übrigens ständig auf Basis von Modellen, für die noch keine eindeutige Erklärung existiert. Manche Wissenschaftler wie Feynman behaupteten, es gebe überhaupt niemanden, der die Quantentheorie versteht. Trotzdem machen alle weiter und halten sich daran. Da dürfen Theologen schmunzeln… („Ist bei uns genauso“). „Was wir wissen, ist, dass es meistens funktioniert.“ Warum das so ist, gilt es dann erst noch abzuklären.

Dieses Vorgehen scheint durchaus rational. Denn die Ergebnisse und Anwendungen der Quantenmechanik können sich durchaus sehen lassen.

CD-Player & LEDs: Anwendungen der Quantenmechanik

Angefangen von CD- und DVD-Playern bis zur Digitalkamera arbeiten zahlreiche Gebrauchs- und Nutzgegenstände auf Grundlage der Quantentheorie. Die energiesparenden LED-Leuchten nicht zu vergessen. Oder Supraleiter. Lasertechnik. Quantencomputer und Quantenkryptologie (Verschlüsselungsmethoden) sollen die nächste große Sache werden. In der Nutzung der Sonnenenergie steckt mit den Photovoltaikanlagen ebenfalls viel Quantentechnik.

Alles voller Mysterien und Wunder?

Sind das nun alles Wunder (naturwissenschaftlich nicht erklärbare Phänomene)? Wohl eher nicht. Man hat eben nur noch nicht die Mechanismen herausgefunden und verstanden. (Zumindest käme es sehr darauf an, was man unter einem Wunder versteht.)

Zu einem Satz wie „alle Haare auf deinem Kopf sind gezählt“ mögen frühere Generationen sich noch staunend überlegt haben, ob so etwas möglich ist (Mt 10,30). Heutige Wissenschaftler erklären vermutlich lächelnd, man habe just gerade nicht nur die Haare, sondern sämtliche Atome oder Einzelteilchen des ganzen Schopfs bis in die Haarwurzel vermessen, systematisch aufgelistet und analysiert.

Wer weiß, in der Quantenwelt wird womöglich auch der Wunderbegriff noch einmal neu definiert. Freilich: Sehr viel weiter, als beobachtete Einzelphänomene nebeneinander zu stellen (wie in den alten Listenwissenschaften), scheint die Quantenmechanik heute allerdings nicht zu sein. Werfen wir noch einen weiteren Blick auf einige dieser Einzelphänomene.

Teilchen-Welle-Dualismus

Das ist eine der bekanntesten Aussagen der Quantenphysik, die man aus der Schule kennt: Elementarteilchen besitzen zeitgleich die Eigenschaften einer Welle und die eines Teilchens. Ihr physikalisches Verhalten lässt sich im einen Fall nur durch Welleneigenschaften im andern nur durch Teilcheneigenschaft erklären. Populärwissenschaftlichen Ruhm hat zudem die bedauernswerte Katze Erwin Schrödingers erlangt:

Tot und untot – Schrödingers Katze

Über den wahren Zustand eines Quantenobjekts lassen sich ohne Messung keine Aussagen machen. Und dies nicht, weil man eben ohne Messung nichts darüber weiß, sondern weil die sprunghaften Objekte „alles Mögliche“ sein können und erst die Messung den Zustand festlegt und bestimmt. Schrödinger gab folgendes Beispiel: Eine Katze sitzt in einer blickdichten Box. In der Box befindet sich eine Substanz, von der sich nicht vorausberechnen lässt, wann sie ihre bekannten tödlichen Wirkungen entfaltet. Dies kann statistisch jederzeit eintreten. Ohne in die Box zu sehen, gilt die Katze quantenmechanisch als lebendig und als tot zugleich. Beides ist mit derselben Wahrscheinlichkeit wahr und möglich. Weil sich Quantenobjekte wie jene Substanz nicht vorausberechnen lassen, gelten die zwei widersprüchlichen Zustände gleichzeitig.

Elektronen, hier und dort zugleich

Noch ein „übernatürliches“ Beispiel aus der Quantenzauberkiste: Elektronen können laut Quantentheorie an mehreren Orten zeitgleich sein. Dies wurde durch das Doppelspalt-Experiment belegt (siehe Schulunterricht). Von Quantenteilchen lässt sich zudem sagen, dass sie zugleich an einem Ort sind und nicht an diesem Ort. Dies gilt von Elektronen, Photonen und anderen Quantenobjekten.

Bestätigt Quantenphysik theologische Denkmodelle?

Früher hieß es zur Theologie: Ihr könnt eure Aussagen nicht beweisen und erklären. Heute arbeitet so die Physik. All dies im Hinterkopf – Elementarteilchen simultan an mehreren Orten, die Möglichkeit verschränkter Eigenschaften usw., – was heißt es da schon, wenn die Theologie mit so „einfachen Übungen“ wie einer Trinitätslehre ankommt…: Ist es nicht gar so, dass derzeit die Naturwissenschaften Denkmodelle der Theologie bestätigen? Dass sich die Theologen von Kritikern jahrhundertelang den Kopf zerbrechen haben lassen, wie 3 in 1 sein könne, darüber dürfte der moderne Physiker nur lachen.

Licht ist Welle und Teilchen

Weil Licht – und jedes quantenmechanische Objekt – nun also beides ist, sowohl Welle als auch Teilchen, vereint es dauerhaft zwei Eigenschaften, die einander widersprechen. Ist da der Gedankensprung zur christlichen Zweinaturenlehre weit? Dass eine Wesenheit zwei verschiedene Wesenheiten in sich vereint, lehrt die Theologie mit Inkarnation und Zweinaturendogma. Und dass sich je nach Betrachtungsweise und „Messpunkt“ einmal mehr diese, einmal mehr jene Eigenschaft hervortut. Dies unbeschadet der jeweils anderen „Natur“. Von einem wechselseitigen Austausch der Eigenschaften (communicatio idiomatum) haben spätere Theologen dann gesprochen. Das Grundmodell des Teilchen-Welle-Dualismus ist für Theologen eigentlich ein alter Hut, die Naturwissenschaft bestätigt theologische Denkmodelle.

Zentrale Denkmodelle der Quantentheorie sind für Theologen eigentlich ein alter Hut.

Teilchen durchdringen mehrere Objekträume

Ähnliches lässt sich von der Trinität sagen. Wenn die Physik lehrt, dass Quantenteilchen mehrere Objekträume simultan durchdringen, so kennt die Theologie die gegenseitige Teilhabe und Durchdringung in der Lehre von der Trinität. Früher war es ein beliebtes Argument, drei in eins, eins in drei, das geht doch nicht, das widerspricht der Wissenschaft und Rationalität. Heute – es gibt Quanten-Vielteilchen-Systeme – darf man sagen: Die Theologie und der althergebrachte dogmatische Satz sind da mit den Denkmodellen der neuesten Wissenschaft ganz eins. Auch wenn das natürlich keine Gottesbeweise sind – die Quantenphysik macht über Kirchendogmen keine Angaben – so sind doch Strukturähnlichkeiten in den Argumentationen zu benennen.

Heute hier, morgen dort

In der Physik gehört der Wechsel der Anschauungen und Erklärungen zum Geschäft. Was gestern Common Sense war, ist heute überholt. Für grundstürzende Neuentdeckungen und bahnbrechende Erklärungen verleiht das Stockholmer Nobelpreiskomitee alljährlich die begehrten Auszeichnungen… „Der Wandel ist das Beständige“ – wenn dieser Satz Geltung beanspruchen kann, dann jedenfalls in den Naturwissenschaften.

Was sich naturwissenschaftlich (nicht) sagen lässt

Mancherorts lassen sich gar verzagte Stimmen hören, die von der „fundamentalen Beschränkung“ sprechen, was sich überhaupt naturwissenschaftlich über unsere Welt aussagen lässt. Die Frage lautet etwa, ob wir einfach nicht die geeigneten Messinstrumente haben. Oder: „Was berechtigt uns, aus den Eigenschaften eines Teilchens im Messgerät auf die des Teilchens an sich zu schließen?“ (So etwa zu lesen in der FAZ.) Das Weltbild der Quantenmechanik ist wandelbar und offen. Für die „exakten Wissenschaften“ ein ungewohnter Zustand.

Die Theologie erinnert sich vielleicht an die heilsam desillusionierende Wirkung eines Schöpfungsberichts wie in Genesis 1 auf Natur- und Sonnenkulte. Die gerade noch angebetete Sonne wird wie eine (immerhin große) Funzel ans Firmament gesetzt. Die „machtvollen“ Gestirne Sonne, Sterne, Mond stehen nun in einer Reihe mit Bäumen, Gras und Kraut, mit Vieh, Gewürm und – Menschen. (Dass die alte Listenweisheit im Fortgang nicht nur die Natur systematisiert, sondern auch menschliches Verhalten, ist dann ein anderes Kapitel.)

Vom Messen

Aus der Beschäftigung mit der Quantentheorie lässt sich für die Theologie viel lernen. Auch rund um das Messen als fundamentalen Grundvorgang an sich. Schon die Versuchsanordnung ist für das Ergebnis wesentlich: Es kommt etwa darauf an, ob, wo und wie lange man etwas misst.

Zudem sind weitere Faktoren maßgeblich: Wann wird gemessen? Von wem wird gemessen? Woran misst er die Ergebnisse? Und so weiter und so fort. Dass das „Messen“ damit vom jeweiligen Referenzsystem abhängt, leuchtet nicht nur bei physikalischen, sondern auch bei ethischen und anderen „Werten“ ein (vgl. das kleine Senfkorn Mt 13,31-33).

Wer möchte, kann sich das an einem banalen Beispiel klarmachen (ein kleiner Kategoriensprung): Wie viel ist ein Euro wert? Die Antwort hängt natürlich davon ab, ob man 1999, 2007 oder 2015 misst. Ob man den Tageskurs am Morgen, Abend oder einen gemittelten Tages-Durchschnittswert ansetzt. Geht es um den Wert im Vergleich zum Dollar oder zum Schweizer Franken? Im Verhältnis zu einer Scheibe Brot? Und es kommt natürlich darauf an, wen man fragt. Für einen Milliardär ist ein Euro so gut wie nichts. Für das Straßenkind in Bangladesch eine Woche Überleben…

Das Messen des Schmetterlings

Doch weg vom Mammon. Die schönsten Beispiele liefert doch noch immer die Natur. Beim Messen eines Schmetterlings zeigt sich anschaulich, was über den Zeitpunkt, die Messgenauigkeit, den Messwert und manches andere zu sagen ist. Misst du den Schmetterling dienstagmorgens, ist es vielleicht eine Art 7 cm langer, grüner Wurm. Nur mit dem rechten Messwissen ließe sich sagen: Es ist ein gelblich leuchtender Zitronenfalter. Misst du die Schmetterlingsraupe am Mittwochabend (es ist nicht gesagt in welcher Woche), geht es schon nicht mehr. Denn sie flattert drüben auf der Wiese. Du hast einfach nicht lange genug gemessen.

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