Das Böse Ausgabe 2/2022

Liebe Leserin, lieber Leser,

seit Jahrhunderten beschäftigen sich Philosophie und Theologie, aber auch Literatur und Kunst mit dem Phänomen des „Bösen“. Dabei ist „das Böse“ nicht nur eine moralische Kategorie, sondern hat von jeher auch eine mythische Dimension. Wie der biblische Satan so verkörpern auch Hexen, Dämonen, Monster und Drachen die böse Macht an sich. In „aufgeklärten Zeiten“ scheint das vor allem noch ein Thema der Kunst zu sein. Doch tatsächlich ist „das Böse“ heute nicht weniger präsent als in früheren Jahrhunderten – ob als fiktionaler Horror- oder Schurkenfilm oder als tägliche Dokumentation menschlicher Grausamkeiten in den Medien. Die Kultur- und Kunstwissenschaftlerin Natalie Lettner spricht sogar von einer „Renaissance des Bösen“. Neben aufklärungskritischen Tendenzen der Postmoderne trage dazu auch eine „neue Lust am Irrationalen“ bei.

Dass das Böse eine hohe Faszinationskraft entfalten kann, weiß jeder, der schon mal einen fesselnden Krimi gelesen hat. Petra Hammesfahr, eine der erfolgreichsten deutschen Krimi-Autorinnen, erzählt in ihrem Beitrag, was sie zu solchen Geschichten inspiriert. Aber es gibt Grenzen der Faszination, insbesondere wenn das Böse zur realen Bedrohung von Menschen wird. Die Einhaltung dieser Grenze zu schützen, gehört – wie Raphael Zager betont – auch zur Verantwortung von Christinnen und Christen. Gleichzeitig ist mit der Dämonisierung von anderen auch niemandem geholfen. Edna Brocke zeigt an Hannah Arendts „Bericht zur Banalität des Bösen“, dass „das Böse“ oft eben gerade nicht als Teufel, sondern durch ganz gewöhnliche Menschen mächtig wird. Der Philosoph Jörg Noller plädiert denn auch für einen „kritischen“ Begriff des Bösen, der nicht nur anderen Böses zuschreibt, sondern zugleich eigene böse Anteile aufdeckt. Die gegenteilige Strategie beschreibt die Osteuropa-Expertin Franziska Davies am Beispiel anti-ukrainischer Feindbilder, mit denen Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu legitimieren versucht.

Zu Beginn des Krieges gegen sein Land forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj: „Das mit Raketen, Bomben und Artillerie bewaffnete Böse muss sofort gestoppt werden.“ Ob dies nun wiederum mit „Raketen, Bomben und Artillerie“ passieren soll, wird auch unter Christinnen und Christen derzeit kontrovers diskutiert. Der systematische Theologe Michael Haspel und der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider nehmen dazu Stellung.

So lässt dieses Heft an verschiedenen Stellen erkennen, dass es unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges entstanden ist. Es hält den menschengemachten Schrecken mit den Beiträgen von Manfred Schütz und Laura Brand aber auch das Glaubensvertrauen entgegen, dass das Böse nicht mehr die unser Leben bestimmende Macht, sondern von Gott überwunden ist. Ich wünsche Ihnen, dass auch Sie in diesen Tagen Kraft und Hoffnung in dieser Zusage finden.

Es grüßt Sie im Namen der ganzen Redaktion

Bertram Salzmann

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