Isolierung, Entrechtung und Zwang Wie die Bundesregierung die Zahl der Abschiebungen erhöhen will

Am 7. Juni hat der Bundestag das sogenannte „Zweite Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht“ beschlossen. Ziel der Bundesregierung ist es, die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen.

Zu Beginn des Gesetzgebungsprozesses hatte das Bundesinnenministerium seinen Gesetzentwurf mit dem beschönigenden Zusatz „Geordnete-Rückkehr“-Gesetz versehen. Das Framing war damit gesetzt: Mit diesem Gesetz werden Abschiebungen forciert, aber alles soll „schön und ruhig“ vonstattengehen. Wenn man sich die Änderungen anschaut, wird hingegen schnell klar, dass viele der neuen Regelungen in die Menschenrechte von Geflüchteten eingreifen. Statt „Geordnete-Rückkehr“ ist deshalb der Begriff „Hau-ab“-Gesetz angebracht.

Isolierung in AnkER-Zentren

Bislang galt die Regelung, dass Asylbewerber*innen nicht länger als sechs Monate in Aufnahmeeinrichtungen leben müssen. Schon da bestand die Möglichkeit für die Bundesländer, dies bis auf 24 Monate auszuweiten. Davon macht zum Beispiel Bayern bei seinen AnkER-Zentren Gebrauch. Die Bayern-Praxis scheint eine Blaupause für die neue bundesweite Regelung zu sein, die die maximale Aufenthaltsdauer in Aufnahmeeinrichtungen um ein Jahr auf bis zu 18 Monate ausweitet.

In manchen Fällen gibt es sogar keinerlei Beschränkung bei der Aufenthaltsdauer in Aufnahmeeinrichtungen: für Personen aus den sogenannten „sicheren Herkunftsstaaten“ und (neu) für Personen, die angeblich ihren Mitwirkungspflichten nicht nachkommen oder über ihre Identität täuschen. Familien mit minderjährigen Kindern, inklusive erwachsener Geschwister, dürfen nicht länger als sechs Monate in Aufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Angesichts der oftmals abgelegenen Lage solcher Einrichtungen droht eine bis zu anderthalbjährige Isolierung mit vielen Folgeproblemen wie etwa einem erschwerten Zugang zu Beratung oder zivilgesellschaftlicher und anwaltlicher Unterstützung.

Die im Koalitionsvertrag versprochene „unabhängige und flächendeckende Asylverfahrensberatung“ wird mit diesem Gesetz nicht eingelöst. Stattdessen wird nun eine „unabhängige staatliche Asylverfahrensberatung“ eingeführt, die primär vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) selbst durchgeführt wird. Das ist aber keine Garantie für eine unabhängige Beratung! Denn als staatliche Behörde, die auch über den Asylantrag entscheidet, ist das BAMF weder unabhängig noch wird sie von den Antragsteller*innen so wahrgenommen werden – insbesondere, da viele oft schlechte Erfahrungen mit Behörden in ihren Herkunftsländern hatten.

Prekäre Duldung „light“

Endet das Asylverfahren mit einer Ablehnung, wird die betroffene Person zur Ausreise aus Deutschland aufgefordert. Doch es kann gute Gründe geben, warum es dazu nicht kommt, beispielsweise wenn die Person schwer krank ist. Für diese und weitere Fälle gibt es die Duldung. Die Duldung ist ein sehr prekärer Status und schützt auch nur so lange vor der Abschiebung, wie der Duldungsgrund besteht – unabhängig davon für wie lange die Duldungsbescheinigung ausgestellt wurde.

Für Personen denen vorgeworfen wird, dass sie ihre Ausreise selbst verhindern, zum Beispiel weil sie nicht genug dafür tun, einen Pass zu bekommen, gibt es nun eine noch schlechtere Duldung. Die betroffene Person bekommt die normale Duldungsbescheinigung mit dem Zusatz „für Personen mit ungeklärter Identität“ ausgestellt. Personen mit einer solchen Duldung „light“ unterliegen einem pauschalen Arbeitsverbot sowie einer Wohnsitzauflage. Außerdem gilt eine Duldung „light“ nicht als Vorduldungszeit für Bleiberechtsregelungen wie die Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung oder Regelungen für gut integrierte Personen. Damit wird Betroffenen der Weg in ein Bleiberecht effektiv versperrt. Dass eine Duldung „light“ Stigmatisierungen der Betroffenen befürchten lässt, liegt auf der Hand.

Die Hürde der Passbeschaffung

Die neue Regelung ist besonders brisant, wenn man weiß, dass schon jetzt geduldeten Person oftmals zu Unrecht vorgeworfen wird, dass sie nicht ausreichend an ihrer Passbeschaffung mitwirken. PRO ASYL hat einen solchen Fall dokumentiert: Nazir K. (Name geändert) aus Bangladesch lebte seit August 2015 in Deutschland. Als sein Asylantrag im August 2018 endgültig abgelehnt wurde, arbeitete er schon einige Monate in Vollzeit und mit einer unbefristeten Stelle bei einem Betrieb als Helfer. Sein Arbeitgeber wollte ihn unbedingt behalten. Die Ausländerbehörde forderte Nazir auf, einen Pass zu beschaffen. Wenn er bei der Passbeschaffung nicht mitwirkt, droht schon nach bisheriger Rechtslage ein Arbeitsverbot und das wollten alle vermeiden. Nazir fuhr darum umgehend zur Botschaft seines Landes nach Berlin und beantragte einen Pass. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass die Passbeschaffung drei Monate in Anspruch nimmt. Doch diese zog sich in die Länge. Nazir fragte regelmäßig bei der Botschaft an, fragte auch bei den Behörden in Bangladesch nach. Doch nichts geschah. Schließlich lehnte die Ausländerbehörde seinen zwischenzeitlich gestellten Antrag auf eine Ausbildungsduldung mit der Begründung ab, eine Passbeschaffung würde normalerweise nicht so lange dauern, Nazir hätte also nicht genügend mitgewirkt.

Mit der neuen Rechtslage würde Nazir nun wahrscheinlich unberechtigterweise eine Duldung „light“ mit allen negativen Konsequenzen drohen: Arbeit weg, Wohnsitzauflage, etc. – trotz aller Mühen bei der Passbeschaffung. Der Arbeitgeber intervenierte für seinen Mitarbeiter bei der Ausländerbehörde – vergebens. Nazir wurde abgeschoben.

Stimmungsmache mit irreführenden Zahlen

Der Fokus des neuen Gesetzes liegt auf einer verschärften Abschiebungspraxis. In der öffentlichen Debatte wurde mit einem vermeintlichen „Vollzugsdefizit“ Stimmung dafür gemacht, härtere Regeln zur Durchführung der Abschiebung durchzusetzen – unter anderem mit einer hohen Zahl von Ausreisepflichtigen in Deutschland. Die tatsächlichen Zahlen legen ein solches „Vollzugsdefizit“ aber gar nicht nahe. Insgesamt haben 77,5 % der rund 654.000 Menschen, die als „im Asylverfahren abgelehnt“ im Ausländer-Zentralregister registriert sind, in Deutschland ein Aufenthaltsrecht und dürfen somit gar nicht abgeschoben werden. Es gibt zudem ein ganzes Spektrum an weiteren Gründen, warum Menschen nicht ausreisen können. Die Bundesregierung macht dennoch weiterhin Druck.

Mehr Menschen in Abschiebungshaft

Das Instrument der Wahl zur Steigerung der Abschiebungszahlen ist die Abschiebungshaft. Dabei führt mehr Abschiebungshaft gar nicht automatisch zu mehr Abschiebungen, wie Zahlen für Deutschland zeigen: Die Abschiebungszahlen für 2016 (rund 25.000) und 2017 (rund 24.000) waren sehr ähnlich, obwohl deutlich mehr Personen inhaftiert wurden (von 2.767 in 2016 auf 4.089 in 2017).

Mit dem neuen Gesetz treten verschiedene Verschärfungen im Bereich der Abschiebungshaft und des Ausreisegewahrsams in Kraft, um Menschen leichter zur Abschiebung inhaftieren zu können. Dafür werden die Haftvoraussetzungen abgesenkt – es wird den Behörden erleichtert zu argumentieren, dass bei einer Person zum Beispiel Fluchtgefahr vorliegt und deswegen eine Abschiebungshaft gerechtfertigt ist. Zum einen kann den betroffenen Menschen teilweise schlicht unterstellt werden, dass bei ihnen „Fluchtgefahr“ vorliege (durch eine sogenannte widerlegliche Vermutung). Sie müssen dann aus der Haft heraus das Gegenteil beweisen, aber bekommen noch nicht einmal – wie im Strafrecht – eine*n Anw*ältin gestellt. Zum anderen sollen schon fast banale Aspekte als Indiz für „Fluchtgefahr“ dienen, wie das Aufwenden erheblicher Geldbeträge zur Einreise (auf wen trifft das nicht zu?) oder dass längere Zeit falsche Angaben gemacht wurden – selbst wenn diese mittlerweile korrigiert sind. Das ist eine krasse Verschiebung zu Ungunsten der Betroffenen.

Inhaftierung in normalen Gefängnissen

Diesbezüglich sollte man sich stets erinnern, dass eine Inhaftierung der stärkste Eingriff in das Recht des Einzelnen auf Freiheit ist. Personen, die in Abschiebungshaft genommen werden, haben sich nichts zu Schulden kommen lassen, außer dass sie länger als erlaubt in Deutschland geblieben sind und nicht in ihr Heimatland zurück wollen. Sie werden inhaftiert, ohne dass eine Straftat vorliegt, in Abschiebungshaft, die psychologisch extrem belastend ist. Entsprechend müssen sie auch in gesonderten Einrichtungen untergebracht werden, deren Umstände nicht so streng wie in einem regulären Gefängnis sein sollten – so sieht es das europäische Recht vor. Doch durch das neue Gesetz wird dieses Trennungsgebot bis zum 1. Juli 2022 ausgesetzt. Das heißt, Personen können nun zum Zweck der Abschiebung in normalen Gefängnissen inhaftiert werden, solange sie dort von den Strafgefangenen getrennt sind.

Kein Schutz in den eigenen vier Wänden

Um Personen zu jeder Tages- und Nachtzeit leichter aus ihren Betten zu holen, sieht das neue Gesetz vor, dass Polizisten ohne Durchsuchungsbeschluss die Wohnung zur Abschiebung „betreten“ dürfen. Zur Durchsuchung selbst bedarf es eines entsprechenden Beschlusses. Wie trennscharf diese Regelung in der Praxis angewendet wird, ist äußerst fraglich. Das Hamburger Verwaltungsgericht hat im Rahmen einer Abschiebung die in Hamburg bereits bestehende Unterscheidung zwischen „betreten“ und „durchsuchen“ als nicht sachgemäß zurückgewiesen. Aktuell ist die Revision noch anhängig, doch auch in anderen Fällen wird diese Unterscheidung Gerichte wohl noch länger beschäftigen, denn die Wohnung ist grundrechtlich geschützt.

Zusätzliche Erschwernisse bei psychischer Erkrankung

Neben den Verschärfungen bei der Abschiebungshaft setzt das Gesetz auch schon früher an. So werden zum Beispiel die Anforderungen an ein Attest zur Bestätigung einer psychischen Erkrankung für sogenannte Abschiebungsverbote erschwert. Sie sollen nur noch von Ärzt*innen, nicht mehr von psychologischen Psychotherapeut*innen ausgestellt werden können. Jede*r kennt die langen Wartezeiten bei Fachärzt*innen. Oftmals reicht es dann nicht mehr für eine rechtzeitige Einreichung des Attestes.

PRO ASYL und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen hatten von Anfang das umfangreiche Gesetzesvorhaben, welches hier nur in Teilen vorgestellt wurde, kritisiert und auf die drohenden Eingriffe in die Rechte geflüchteter Menschen aufmerksam gemacht. Es reiht sich in eine Vielzahl von Gesetzesverschärfungen im asyl- und flüchtlingspolitischen Bereich seit dem Herbst 2015 ein.

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2 Gedanken zu „<span class="entry-title-primary">Isolierung, Entrechtung und Zwang</span> <span class="entry-subtitle">Wie die Bundesregierung die Zahl der Abschiebungen erhöhen will</span>“

  1. Die Flüchtlingsströme aus Afrika und Asien stellt Europa, und insbesondere Deutschland vor unlösbaren Aufgaben. Die vorwiegend islamischen Einwanderer sind in aller Regel nicht bereit, unsere Wertvorstellungen zu übernehmen. Schon deshalb gehört der Islam nicht zu Deutschland- Das muss endlich einmal begriffen werden. Zu schnell ereifern sich Menschen für ausufernde Toleranz. Es gäbe viel zu sagen, allerdings der Platz recht nicht aus. Ein weites Feld.

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  2. Deutschland ist ein Einwanderungsland geworden, ob uns das gefällt oder nicht. Die Politik hat das endlich verstanden, auch wenn die Maßnahmen zur Integration noch durchaus Luft nach oben haben. Und man kann auch das Problem Flüchtlinge nicht mit Abschiebehaft und anderen abschreckenden Maßnahmen lösen – die tatsächlich eines offenen, immer noch christlich geprägten Landes unwürdig sind. ich sehe auch nicht, dass sich die meisten Flüchtlinge einer Integration verweigern – auch die Religion ist da kein Hinderungsgrund. Denn “den” Islam gibt es genausowenig wie “das” Christentum. Es ist nur die Frage, welcher Islam zu einer offenen, pluralen Gesellschaft passt und wie man diesen toleranten Islam fördern könnte. Viele Geflüchtete sind übrigens ganz dieser Meinung, denn sie haben in ihren Heimatländern genug Erfahrungen mit repressiven Religionsformen gemacht. Mit Pauschalverdächtigungen kommen wir nicht weiter, wohl aber mit Herz und Verstand.

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