Klassische Physik und moderne Quantentheorie Wie Naturerkenntnis unsere Weltsicht ändern kann

Die Quantenphysik hat die Naturwissenschaft revolutioniert. Ihre Ergebnisse dringen (erst) allmählich ins allgemeine Bewusstsein durch.

Unser jetziges Weltbild ist noch im Wesentlichen von der „Klassischen Physik“ geprägt, die v.a. auf den Erkenntnissen und Methoden von Galilei, Descartes, Newton und Kant gründet. Galilei führte in die Physik das Experiment ein, mit dem man eine absolute, vom Beobachter unabhängige Wirklichkeit erkennen könne, die mit der Mathematik beschrieben werden kann. Descartes spaltete die Welt in zwei voneinander unabhängige Bereiche auf, in Geist und Materie, und entseelte damit die Materie. Newton erkannte den Zusammenhang von Bewegung und wirksamen Kräften und entwickelte daraus eine exzellente Bewegungslehre, mit der man eindeutig das weitere Verhalten von Körpern berechnen kann, wenn man nur genügend genau die Anfangsbedingungen kennt. Und Kant schließlich unterschied streng zwischen objektiver und subjektiver Sphäre.

Klassische Physik

Die auf diesen Ideen aufgebaute Physik heißt Klassische Physik und nach ihr funktioniert das Weltall und alles in ihm wie ein Uhrwerk, das – einmal aufgezogen – von selbst nach den Gesetzen der Physik abläuft. In ihr gilt sowohl eine strenge Kausalität, nach der jede Wirkung eine eindeutige Ursache hat, als auch ein strenger Determinismus, nach dem die zukünftige Welt schon festgelegt ist durch den heutigen Zustand. Zudem gibt es eine objektive, vom Beobachter unabhängige Realität. In der Klassischen Physik ist kein Platz mehr für freien Willen, ein göttliches Wirken, Religion oder Transzendenz.

Ab etwa 1600 war diese Klassische Physik so außerordentlich erfolgreich, dass sie nicht nur durch zahlreiche großartige Erfindungen die industrielle Revolution auslöste, sondern als Ideal einer Wissenschaft galt, die die Denkgewohnheiten und das Weltbild der meisten Naturwissenschaftler geprägt hat. Auch heute noch verdanken wir ihr bedeutende technische Fortschritte. Doch die Quantenphysik zeigte, dass der Erfolg kein Garant für den Wahrheitsgehalt ist.

Welle oder Teilchen?

Zum Themenbereich der Klassischen Physik gehörte auch die Suche nach der Natur des Lichtes, die lange vom Streit zwischen der Wellen- und der Teilchentheorie geprägt war. Beide Theorien schienen nicht vereinbar zu sein. Wäre Licht z.B. eine Welle, so wäre seine Energie gleichmäßig über die ganze Ausbreitungsfront des Lichtes verteilt, während sie nach der Teilchentheorie konzentriert – gequantelt – in einem winzig kleinen Punkt wäre, dem Teilchen, das man Photon nennt.

1802 schien durch den Doppelspaltversuch von Young die Wellentheorie bestätigt zu sein, weil auf dem Schirm hinter dem mit Licht bestrahlten Doppelspalt ein nur mit der Wellentheorie erklärbares „Interferenzmuster“ erkennbar war. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts tauchten jedoch physikalische Probleme auf, die mit der Wellentheorie des Lichtes nicht erklärbar waren. Deshalb gab Max Planck 1900 den Anstoß für die Vorstellung, dass Licht irgendwie einen Doppelcharakter habe, mal Welle, mal Teilchen. Das war eine gewaltige Herausforderung für das Vorstellungsvermögen der Physiker, weil es mit der Klassischen Physik und dem „gesunden Menschenverstand“ nicht erklärbar war.

Hinzu kam die Erkenntnis, dass der Aufbau der Atome, den man ab 1910 fand, Gesetzen der Klassischen Physik widersprach. Bis 1927 hatten jedoch herausragende theoretische Physiker wie Heisenberg, Schrödinger und andere einen mathematischen Formalismus gefunden, der den Doppelcharakter des Lichtes und anderer Objekte und den Atombau berechnen lässt. Diese mathematische Theorie, die Quantentheorie, ist inzwischen die wohl am besten überprüfte Theorie der gesamten Physik, doch beinhaltet sie für uns Menschen verblüffende und für viele nur schwer akzeptable Erkenntnisse, die sich v.a. in der Mikrophysik klar zeigen. Davon einige Beispiele:

Neue mathematische Theorie: Die Quantentheorie

Die sog. Heisenbergsche Unschärferelation sagt, dass man niemals beliebig genau sowohl Ort als auch Impuls (Geschwindigkeit) eines Teilchens messen kann. Das hat nichts mit unzulänglicher Messgenauigkeit zu tun, sondern ist ein fundamentales Prinzip der Natur. Doch wenn das gilt, dann kann man niemals berechnen, wo genau sich ein Teilchen in Zukunft befinden wird. Born leitete 1926 aus der mathematischen Theorie ab, dass der Zufall fundamental in der Natur verankert ist. Er zeigt sich z.B. sehr deutlich beim radioaktiven Zerfall von Atomen. Warum das eine Atom etwa nach einer Minute, ein anderes erst nach 1000 Jahren zerfällt, ist nicht vorhersagbar, also zufällig. Einstein wollte diesen Zufall nicht akzeptieren und meinte, es gebe noch unbekannte Größen, „verborgene Variablen“. Als die Experimentierkunst etwa ab 1980 so weit fortgeschritten war, dass man die Existenz verborgener Variablen hätte nachweisen können, zeigte es sich jedoch, dass diese verborgenen Variablen nicht existieren, der Zufall also tatsächlich eine Rolle spielt.

Sowohl die Heisenbergsche Unschärferelation als auch der von Born gefundene Zufall bringen die strenge Kausalität und den Determinismus der Klassischen Physik ins Wanken: Die Welt wird niemals vollständig berechenbar sein, weil die physikalischen Aussagen nur Wahrscheinlichkeitsaussagen sind.

Nichtlokalität und Nichtobjektivität

Ein weiteres erstaunliches Phänomen der Quantentheorie ist die sog. Nichtlokalität, die anhand eines Experimentes erläutert werden soll: Der Doppelspaltversuch kann heute nicht nur mit Licht, sondern mit vielen anderen Objekten wie Elektronen durchgeführt werden und dabei deren Wellencharakter bestätigen. Dabei zeigt sich, dass die Elektronen, die durch den einen Spalt gehen, sich anders verhalten, wenn der zweite Spalt offen, als wenn er geschlossen ist. Damit müssen sie beim Passieren des Spaltes eine „Ahnung“ vom ganzen Versuchsaufbau haben. Sie sind damit in ihrer Kenntnis nicht lokal begrenzt, sondern „nichtlokal“.

Die Welt ist mit meiner Beobachtung anders als ohne.

Überraschend ist auch die „Nichtobjektivität“. Der Wellencharakter der Elektronen fordert, dass jedes Elektron beim Doppelspaltversuch durch beide Spalte geht. Das scheint zwar widersinnig, doch verlangt es so die mathematische Theorie. Wenn man nun beobachten will, wie die Elektronen durch die Spalte gehen, benötigt man geeignete Instrumente. Das experimentelle Ergebnis erstaunt: Gelingt es, mit geeigneten Beobachtungsinstrumenten die Bahn der Elektronen nachzuweisen, so geht jedes Elektron nur durch einen einzigen Spalt, verhält sich dann aber nicht mehr wellenhaft, sondern wie ein klassisches Teilchen. Gelingt diese Beobachtung nicht, verhält es sich jedoch wellenhaft. Das bedeutet, dass ich als Beobachter das Verhalten, die Eigenschaft der Elektronen beeinflusse. Die Welt ist damit mit meiner Beobachtung anders als ohne.

Die Klassische Physik gerät ins Wanken

Nichtlokalität und Nichtobjektivität sind heute vielfach experimentell bestätigt, auch in dem faszinierenden Phänomen der Verschränkung, bei dem Teilchen über beliebige Distanzen hinweg instantan, d.h. ohne jeglichen Zeitverzug aufeinander einwirken. Das stellt aber Grundlagen der Klassischen Physik in Frage.

So zeigt uns die Nichtlokalität, dass die Teilchen nicht lokal beschränkt, isoliert sind, wie es die Klassische Physik lehrt, sondern nicht nur eine Ahnung von der unmittelbaren Umgebung, sondern von der ganzen Welt haben. Die ganze Welt beeinflusst ein jedes Teilchen und jedes Teilchen beeinflusst die ganze Welt. Der bedeutende Physiker und Philosoph Hans-Peter Dürr hat dazu gesagt: „Der individuelle Mensch ist verbunden mit dem ganzen Kosmos“. Er meinte auch, Quantenphysik sei nicht der richtige Name für das, was man darunter versteht. Besser wäre es, Holistische Physik zu sagen, worin zum Ausdruck kommt, dass alles miteinander zusammenhängt.

Die Nichtobjektivität zeigt uns u.a. die Beschränktheit unseres Erkenntnisvermögens. Wenn ein Elektron in dem Moment, in dem ich es beobachte, eine wesentliche Eigenschaft ändert, dann kann ich sein vollständiges Wesen niemals erkennen. Was wir von den Dingen wahrnehmen, erhalten sie erst durch Wechselwirkung mit uns bzw. unseren Beobachtungsinstrumenten. Damit kommt ihnen keine objektive Realität, sondern nur eine Potenzialität zu.

Wir erfahren die Welt nicht so, wie sie ist, sondern nur so, wie sie sich uns zeigt. Die Physik ist damit nicht die Lehre von der Natur, sondern die Lehre von unserer Kenntnisnahme von der Natur. Aber neben dem, was wir mit unseren Beobachtungsinstrumenten erkennen, der physikalischen Realität, gibt es noch etwas anderes, was sich grundsätzlich unserer Beobachtung entzieht, was aber durchaus Wirkung auf unsere Gefühlswelt, unsere Seele haben könnte. Man könnte es psychologische oder religiöse Realität nennen.

Neue Möglichkeit der Weltsicht

Die Klassische Physik hat uns hochmütig gemacht durch ihren Absolutheitsanspruch des Erkennens, die Quantenphysik macht uns wieder offen für mögliche andere Sichtweisen der Dinge und des Erkennens. Doch diese neue Möglichkeit der Weltsicht ist noch wenig ins Bewusstsein der Menschen gelangt, zum Einen weil die Sprache der Quantenphysik eine schwierige Mathematik ist, die weit über die Schulmathematik hinausgeht und mit unserer Alltagssprache nicht mehr richtig ausgedrückt werden kann, weil der die richtigen Begriffe fehlen.

Zum Anderen ist es auch für Physiker schwer, die verblüffenden Folgen der Quantentheorie innerlich zu akzeptieren, weil sie der in Teilen noch immer erfolgreichen Klassischen Physik und dem mit ihr überkommenen, zur Gewohnheit gewordenen Weltbild und damit dem „gesunden Menschenverstand“ widersprechen.

Doch weil die Quantentheorie nicht nur wichtig für den technologischen Fortschritt (Elektronik, Laser, LED, Supraleitung, GPS, …), sondern auch für unsere Weltsicht ist, sollte das Wissen über sie viel stärker in das Bewusstsein der Menschen dringen.

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2 Gedanken zu „<span class="entry-title-primary">Klassische Physik und moderne Quantentheorie</span> <span class="entry-subtitle">Wie Naturerkenntnis unsere Weltsicht ändern kann</span>“

  1. Die Quantenphysik hat in der Tat einige höchst seltsame Eigenschaften, die dieser Beitrag schön beschreibt, vielen Dank dafür.

    An einem Punkt wundere ich mich aber immer wieder, wenn es um dieses Thema geht: Ist es nicht gerade die klassische Physik, die mit ihrer strengen Kausalität und dem Determinismus dem “gesunden Menschenverstand” widerspricht? Schon allein, dass wir die Kausalitäten technisch als Mittel nutzen können, um Zwecke zu erreichen, zeigt, dass die Zwecke nicht Teil der Theorie sind – wir können sie aus verschiedenen Möglichkeiten auswählen und dann verfolgen. In einer rein kausal-deterministischen Welt wäre das nicht möglich. Insofern hat die klassische Physik noch nie als (ganzheitliche) Gesamtwelterklärung getaugt, auch wenn viel darüber spekuliert und gestritten wurde.

    Dass sich aus einer Reihe potenzieller Möglichkeiten im Moment der Gegenwart eine realisiert und damit die anderen verworfen werden, ist Alltagserfahrung, nicht nur beim Würfelspiel. In diesem Sinne ist nur die gefallene Augenzahl objektiv, nicht aber die zuvor noch möglichen, anderen. Auch dass eine einzige Entscheidung Auswirkungen auf Vieles, auch räumlich Getrenntes hat, ist Alltagserfahrung. Die in der Entscheidung verworfenen Möglichkeiten müssen nicht alle am Ort der Entscheidung liegen, sondern verändern, wenn man es pathetisch mag, das ganze Universum.

    Die Frage, wie es möglich ist, dass etwas „nur“ möglich ist und nicht real, mag philosophisch knifflig sein. Unseren Alltag ficht das nicht an. Und so meine ich, dass es nicht darum geht, mit Hilfe der Quantenphysik und ihren kaum vorstellbaren, mathematischen Zusammenhängen mühsam eine neue, ganzheitliche Weltsicht zu gewinnen, die dazu dem gesunden Menschenverstand widersprechen soll und nur eine kleine Elite begreifen kann. Vielmehr können wir die eigentlich verstörende Überhöhung der klassischen Physik zur Weltsicht zu den Akten historischer Irrtümer legen und unser Leben in seinen Herausforderungen annehmen, wie sie sich schon immer stellten: Laufend treffen wir Entscheidungen und tragen damit zur Weltgestaltung bei, bei der manifest wird, was eben noch offen war. Wir können das in Freiheit tun, tragen aber auch die Verantwortung.

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  2. Ob es verborgene Variablen gibt, kann man nur wissen, wenn man die göttliche Übersicht hat. Das ist die lückenlose Kenntnis aller Bedingungen im Universum. Die haben wir nicht.

    Empirische Erkenntnis ist immer mit Zweifeln behaftet. Sie betrifft die Bedingungen, unter denen Möglichkeiten in der Zeit sich erfüllen. Nicht mit Zweifeln behaftet ist nur die logische Erkenntnis. Das ist die Erkenntnis der Möglichkeiten und ihrer Verhältnisse.

    Die Möglichkeiten sind die Begriffe alias Universalien alias Formen alias Ideen.

    “Ich habe eine Idee” bedeutet “ich sehe eine Möglichkeit”.

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