Warum wir den freien Willen nicht brauchen Determination und Freiheit schließen sich nicht aus

Als frei bezeichnen wir eine Handlung, wenn sie durch unseren eigenen Willen bestimmt ist. Das Theorem von der Willensfreiheit geht aber darüber hinaus. Danach sind wir nur dann ganz frei, wenn auch nichts Fremdes unseren Willen bestimmt. Aber wie kommt es dann zu unseren Entscheidungen?

Was meinen wir, wenn wir eine Handlung als „frei“ bezeichnen? Freiheit ist ein Reflexionsbegriff. Er bezeichnet nicht einen positiv aufweisbaren Sachverhalt, sondern reflektiert auf die Abwesenheit eines solchen, und zwar in der Regel auf die Abwesenheit einer Beeinträchtigung. Ein Mensch kann fieberfrei sein, ein Volk frei von Fremdherrschaft oder einem Tyrannen (vgl. Robert Spaemann: Personen. Versuche über den Unterschied zwischen „etwas” und „jemand”. Stgt., 21998, S. 209ff). Wir haben konkrete Vorstellungen von dem, was Freiheit nicht ist, insofern wir Freiheit stets gegen erzwungene und von außen festgelegte Handlungen abgrenzen (vgl. Michael Pauen: „Freiheit, Schuld und Strafe“. In: E.-J. Lampe; M. Pauen; G. Roth (Hg.): Willensfreiheit und rechtliche Ordnung. Ffm., 1998, S. 41-71, S. 45). Wir können daher sagen, dass sich eine freie Handlung von einer erzwungenen Handlung unterscheidet. Frei ist ein Mensch, wenn er ohne „äußeren Zwang“ seinen Wünschen, seinen Ansichten, seinen Trieben und seiner Natur gemäß handeln kann und dabei nicht durch äußere Umstände entscheidend beeinträchtigt ist.

Freiheit setzt selbstbestimmtes Handeln voraus

Mit diesen Überlegungen ist bereits ein wesentliches Element der Rede von Freiheit in Bezug auf menschliches Handeln in den Blick gekommen: Wir bezeichnen eine Handlung als „frei“, wenn eine Handlung selbstbestimmt ist. Selbstbestimmt sind Handlungen, wenn sie sich auf ihren faktischen Urheber und seine Motive, Wünsche und Intentionen zurückführen lassen. Eine selbstbestimmte Handlung unterscheidet sich von einer erzwungenen Handlung somit dadurch, dass letztere eben nicht einem Wunsch und einer Überzeugung und damit nicht der Natur des Handelnden entspringt. Eine Person, die nicht ihren Wünschen, Überzeugungen und Motiven gemäß handeln kann, ist in ihren Handlungen nicht frei. Wir sprechen daher von Freiheit, wenn die Handlungen in der Natur (man könnte auch sagen: dem So-Sein der Person) begründet sind und wenn die Person daher für die Handlungen „etwas kann“, weil sie ihren Wünschen, Motiven und Intentionen entspringen. Eine so verstandene Autonomie ist eine wesentliche Voraussetzung für Freiheit.

Freiheit meint nicht Zufall

Eine zweite Voraussetzung ist für Freiheit wesentlich: Abgegrenzt werden muss die Freiheit auch von Zufällen. Zufälle sind definiert als Ergebnisse, die nicht durch die Ausgangsbedingungen festgelegt werden, sie können genauso gut eintreten wie ausbleiben. Zufällig zustande gekommene Handlungen sind daher dem Einfluss des Handelnden entzogen. Der entscheidende Unterschied zwischen einem Zufall und einer freien Handlung besteht somit darin, dass freie Handlungen durch ihren Urheber bestimmt werden, so dass sie im Nachhinein auf ihn zurückführbar sind. Eine freie Handlung muss sich auf genau die Person zurückführen lassen, die das Subjekt der jeweiligen Handlung ist. Es muss also möglich sein, mit Bezug auf die handelnde Person zu erklären, warum die Handlung so und nicht anders ausgefallen ist.

Auf die Handlungsalternativen kommt es an

Insofern also unsere Handlungen nicht in erster Linie durch Zwang oder Zufall beherrscht werden, kann eine Handlung als frei bezeichnet werden. Auch unser Gefühl der Freiheit ist hierin begründet: Ein wesentlicher Gesichtspunkt für das Gefühl der Freiheit ist, dass wir Handlungsoptionen haben. Das heißt: Wir müssen uns glaubhaft vorstellen können, dass wir jetzt oder in einer vorgestellten Situation A oder auch B tun könnten. Von daher können wir formulieren: Voraussetzung dafür, sich in einer Handlung als frei zu erleben (und diese daher auch so zu bezeichnen), ist die Existenz von Handlungsalternativen. Wenn eine Person in ihrer Entscheidung keine Alternativen hat, fühlt sie sich auch nicht frei.

Handlungsfreiheit vs. Willensfreiheit

Als frei bezeichnen wir also eine Handlung, wenn unser Wille begründet, warum eine Handlung so und nicht anders ausgefallen ist. Von daher können wir auch formulieren: Frei bin ich, wenn ich alternative Handlungsmöglichkeiten habe und daher auch anders handeln könnte, wenn ich anders handeln wollen würde. Die Behauptung der Existenz der Willensfreiheit geht aber darüber hinaus: Es wird behauptet, dass es für die Rede von der Freiheit nicht ausreicht, dass eine Person auch anders handeln könnte, vielmehr sei nur dann von Freiheit zu reden, wenn die Person auch anders wollen könnte. So wird verlangt, dass selbst, wenn sämtliche Umstände, also auch die Wünsche, Charaktermerkmale und Überzeugungen einer Person vollkommen gleich bleiben, neben der faktisch vollzogenen Handlung A auch eine alternative Handlung B zustande kommen kann (so z.B. Gottfried Seebaß: „Die Signifikanz der Willensfreiheit“. In: ders.: Handlung und Freiheit. Philosophische Aufsätze. Tübingen, S. 191-246, S. 200f). Wenn diese Forderung erfüllt wäre, läge dann tatsächlich eine größere Freiheit vor?

Das Prinzip der Urheberschaft

Nur dem ersten Anschein nach haben wir es bei dem Theorem der Willensfreiheit mit einer besonders anspruchsvollen Variante von alternativen Handlungsmöglichkeiten zu tun. In Wahrheit wird aber die Rede von Freiheit aufgehoben; denn diese Auffassung verstößt gegen das Prinzip der Urheberschaft: „Urheberschaft setzt voraus, dass man mit Bezug auf die Person erklären kann, warum diese unter den gegebenen Umständen eine Handlung A statt einer Handlung B ausgeführt hat. Diese Bedingung wird verletzt, wenn es die Präferenzen des Handelnden unter den gegebenen Umständen völlig offen lassen, ob Option A oder Option B realisiert wird. In diesem Fall würde die Bezugnahme auf den Handelnden gerade keine Erklärung für den Ausgang der Handlung liefern“ (Michael Pauen; Gerhard Roth: Freiheit, Schuld und Verantwortung. Grundzüge einer naturalistischen Theorie der Willensfreiheit. Ffm., 2008, S. 49f).

Freie Entscheidungen setzen Motive, Wünsche, Intentionen der handelnden Person voraus, die sie realisieren kann. Sie lassen sich auf den Urheber zurückführen. Undeterminierte Handlungen wären gerade nicht motiviert und hätten daher auch keinen Anhalt an der Person. Eine Handlung, die nicht in den Wünschen, Motiven, Ansichten und Intentionen des Handelnden begründet wäre, wäre dem Handelnden auch nicht zuzuordnen. Sie wäre daher auch von der Person her nicht zu verantworten.

Die übertriebene Forderung ultimativer Urheberschaft

Das Theorem der Willensfreiheit impliziert eine weitere Forderung, die ultimative Urheberschaft: Es wird verlangt, dass nur dann von Freiheit zu reden sei, wenn eine Handlung sich nicht auf Bedingungen zurückführen lasse, die dem Einfluss des Handelnden entzogen seien. Der Begriff von Willensfreiheit geht davon aus, dass der Wille dann frei ist, wenn er aus sich heraus, selbstinitiiert und ohne außer ihm liegende Gründe eine Handlung bestimmt (vgl. Hans-Ludwig Schreiber: „Ist der Mensch für sein Verhalten rechtlich verantwortlich?“. In: B.-R. Kern; E. Wadle; K.-P. Schroeder; Ch. Katzenmeier (Hg.): Humaniora. Medizin – Recht – Geschichte. Bln., 2005, S. 1069-1078). Zwar mögen äußere und innere Bedingtheiten jeglicher Art, wie Ansichten, Wünsche oder Motive vorliegen, welche die Handlung einer Person in die eine oder andere Richtung drängen – die Letztentscheidung darüber, wie gehandelt wird, liegt jedoch – laut dieser Vorstellung – bei diesem freien Willen.

Was sollen wir uns unter einem motivlosen Willen vorstellen?

Die Schwäche dieses Arguments ist leicht einsichtig: Ein Willensakt bedarf eines Motivs. Was müssen wir uns aber unter einem motivlosen Willen vorstellen? Auf den ersten Blick scheint die Antwort nahe zu liegen: Ein freier Wille ist der Wille, der entscheidet, was für mich ein Motiv wird und was nicht. Nun ist es aber auch nicht möglich zu sagen, dass der freie Wille sich darin „austobt“ zu entscheiden, was für eine Person jeweils ein Motiv ist und was nicht, wenn der Wille in irgendeiner Weise mit einem Individuum in Zusammenhang gebracht werden soll. Denn wenn der Wille sich gänzlich frei, also unbeeinflusst von der Persönlichkeit mit ihren bewussten und unbewussten Motiven und Zielen, entscheidet, ist diese Voraussetzung nicht gegeben. Zudem stellt sich ein weiteres Problem: Wenn ich behaupte, dass sich der Wille unter den gegebenen Motiven für ein Motiv, das in der konkreten Handlung leitend sein soll, ohne Voraussetzung im So-Sein der Person, entscheidet, dann ergibt sich die Frage, wovon diese Entscheidung abhängt. Hängt sie nicht von der jeweiligen Stärke der Motive ab, wäre erneut die Frage zu stellen, woher der Wille sich bestimmt, und natürlich auch, inwiefern dieser Wille mit der Person in Zusammenhang gebracht werden kann.

Meta-Motive als Horizont jeder Entscheidungsfindung

In dieser Weise formuliert auch Robert Spaemann: „Die Entscheidung für die Grundrichtung des Wollens hat nicht selbst den Charakter eines Willensaktes. […] Ein Willensakt bedarf eines Motives. Aber von welchem Motiv sollte die Entscheidung darüber, was für mich ein Motiv ist, geleitet sein? Wir kämen hier in einen unendlichen Regress. Die Richtung des Wollens ist nicht wieder durch einen Willensakt bestimmt“. Es kann kein „Wollen-wollen“ geben und daher bedarf es „einer dem Wollen vorausgehenden Haltung […], um den Willen zu motivieren“. Diese Haltung hat nicht den „Charakter des Wollens, sondern qualifiziert unmittelbar das Sein der Person, aus dem alles Wollen hervorgeht“ (R. Spaemann: Personen, S. 228f.). Was für uns ein Motiv wird, bestimmen unsere Bedürfnisse, Sehnsüchte und Gefühle – nennt man sie nun mit Gerhard Roth „Meta-Motive“ (Freiheit, Schuld und Verantwortung, S. 129) oder mit Robert Spaemann das „fundamentale Aussein-auf“. Von hier aus gewinnen Gründe ihren Charakter des Grundseins. Diese „Meta-Motive“ bzw. das „fundamentale Aussein-auf“ verdanken sich nicht unserer freien Entscheidung, vielmehr bilden sie den „vorgegebenen Horizont des Mit-sich-zu-Rate-Gehens“ (R. Spaemann: Personen, S. 227) und Abwägens, in dem sich das herrschende Motiv durchsetzt. Was uns als das Bessere unter den gegebenen Gesichtspunkten erscheint, das tun wir. Und es erscheint uns so, weil wir sind, wie wir sind.

Freiheit unter den Bedingungen des Determinismus

Wir können daher festhalten: Wir haben Freiheit im Sinne einer Handlungsfreiheit verstanden. Von Freiheit sprechen wir, wenn unsere Handlung sich unseren Wünschen und Motiven verdankt und weder Resultat von Zwang noch von Zufall ist. Entscheidend ist, dass wir Handlungsalternativen haben und auch anders handeln könnten, gesetzt den Fall, wir wollten anders. Wir können auch sagen: Unsere Handlungen sind frei, wenn sie durch unseren Willen determiniert (verursacht) sind.

Freiheit meint nicht, in einer determinierten Welt Reste von Unbestimmtheit nachzuweisen.

Damit ist deutlich, wie unter den Bedingungen des Determinismus von Freiheit gesprochen werden kann. Es geht also nicht darum, an dem Freiheitsbegriff festzuhalten, indem wir versuchen nachzuweisen, dass es in einer determinierten Welt Reste von Unbestimmtheit gibt, die dazu führen, dass menschliche Handlungen doch nicht festgelegt sind. Grundlage der Behauptung ist vielmehr die Einsicht, dass es widersinnig wäre, den Ausdruck „können“ so zu verstehen, dass er keine Festlegung der Handlung durch den Urheber zuließe. Von diesem Verständnis der Freiheit als Handlungsfreiheit unterscheidet sich das Verständnis der Freiheit, wie es im Theorem der Willensfreiheit enthalten ist: Frei sind wir nicht, wenn wir handeln können, wie wir wollen, sondern wenn wir wollen können, wie wir wollen.

Das Theorem der Willensfreiheit führt in die Irre

In gewisser Hinsicht ist die Formulierung „wollen können, wie wir wollen“ selbstverständlich und es braucht nicht über sie gestritten zu werden: Wenn wir tun, was wir wollen, wollen wir natürlich auch, was wir wollen, eben weil wir es ja wollen. Aber was wollen wir? Die Formulierung „wollen, was wir wollen“ zeigt, dass nicht erklärt ist, was wir wollen – wir kommen immer auf das Wollen zurück, und wenn es eine Art Überwollen ist. Wenn das, was wir wollen, aber nicht einfach ein Zufall sein soll, so dass wir uns nicht erklären könnten, warum wir eigentlich wollen, was wir wollen, so bedarf das Wollen eines Motivs, das unser Wollen bestimmt, sich aber nicht dem Wollen verdankt. Ein Wollen, das nicht durch unser So- Sein (unsere Motive, Sehnsüchte und Wünsche) verursacht ist, könnte mit uns auch nicht in Zusammenhang gebracht werden. Wir wären nicht der Urheber solcher Handlungen. Wir haben daher im Anschluss an Gerhard Roth und Michael Pauen den Begriff der Willensfreiheit als selbstwidersprüchlich erkannt, da er miteinander unvereinbare Implikationen besitzt. Das Theorem der Willensfreiheit zerstört daher, was es garantieren will: die Rede von menschlicher Freiheit.

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Michael Roth: Willensfreiheit? Ein theologischer Essay zu Schuld und Sünde, Selbstgerechtigkeit und Skeptischer Ethik. Rheinbach 2011.

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4 Gedanken zu „<span class="entry-title-primary">Warum wir den freien Willen nicht brauchen</span> <span class="entry-subtitle">Determination und Freiheit schließen sich nicht aus</span>“

  1. Die komplizierten Ausführungen der Gegner wie auch der Befürworter der Willensfreiheit verwirren anstatt dass sie Klarheit bringen. Auch mit wissenschaftlichen Messmethoden wird die Frage nach der Willensfreiheit nicht geklärt werden. Mit der Selbstbeobachtung und -erkenntnis ist die Frage aber einfach beantwortet. Das “schmeckt” natürlich jenen nicht, die vom wissenschaftlich Streit profitieren.

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  2. “weil sie ihren Wünschen, Motiven und Intentionen entspringen. ”
    Was macht es für einen Unterschied, ob man von inneren oder äußeren Faktoren determineirt ist? Ziemlich willkürlich.
    Kompatibilisten verurteilen andere, obwohl sie für ihren Willen nichts können: “Du hättest die Person zwar nicht nicht umbringen können, aber da du nun Mal diesen Willen ungewollt hattest, bist du schuldig.”

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  3. Die Erkenntnisse zum unfreien Willen sind die Bestätigung meiner Überzeugung. Erst spät habe ich erkannt, dass meine Unzufriedenheit mit mir selbst darin begründet lag, stets anderen Menschen gefallen zu müssen. Diese unerreichbaren Maßstäbe legte ich auch bei anderen Menschen an, was wiederum zur Ablehnung meiner Person führte. Es war im wesentlichen das Ergebnis meiner Erziehung. Heute weiß ich, dass Fluch oder Segen des unfreien Willens am Ende von uns selbst abhängt und prinzipiell weder gut noch schlecht ist, sondern nur das wahre Wesen eines Menschen bloßlegt. Wichtig ist die Übereinstimmung von Wollen und Handeln ohne zwanghaften Antrieb. Ich fühle mich so paradox es klingt, erst jetzt durch das Wissen um diese Unfreiheit frei und zufrieden.

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