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Zustimmungs- oder Widerspruchsregelung?

Rund 9.400 Menschen warten in Deutschland aktuell auf ein Spenderorgan. Kann ihre Situation durch die aktuell diskutierten Gesetzesänderungen verbessert werden? Und was bedeuten die geplanten Änderungen aus christlich-ethischer Sicht?

Durch mehrere Gesetzesänderungen will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) 2019 die Wartezeiten auf eine Organspende verkürzen und die Verfügbarkeit von Spenderorganen erhöhen: Zum einen sollen die Verfahren in den Krankenhäusern durch ein bereits im Bundestag beratenes Gesetz zur „Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“ optimiert werden. Zum anderen plädiert Spahn dafür, die seit 2012 geltende Entscheidungslösung durch eine doppelte Widerspruchslösung zu ersetzen, was allerdings bislang noch nicht Gegenstand eines Gesetzesentwurfs ist.

Nach aktuell geltendem Recht ist eine Organentnahme nur erlaubt, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten einer Organ- und Gewebespende ausdrücklich zugestimmt hat – beispielsweise auf einem Organspendeausweis oder in einer Patientenverfügung – oder wenn die Angehörigen der Entnahme gemäß dem mutmaßlichen Willen der verstorbenen Person nach deren Tod zustimmen. Bei der doppelten Widerspruchslösung würde hingegen automatisch jeder als Organspender gelten, der nicht zu Lebzeiten einer Organ- oder Gewebespende ausdrücklich widersprochen hat – zum Beispiel in einem Widerspruchsregister – und dessen Angehörige dem auch nach dem Tod nicht widersprechen.

Eine erste positive Entwicklung ist durch die anhaltende Diskussion und die erhöhte Aufmerksamkeit für die Organspende bereits spürbar. Im Jahr 2018 haben mehr Krankenhäuser Kontakt mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation aufgenommen, um die Möglichkeit einer Organspende zu besprechen. Auch die Zahl der Organspender ist im vergangenen Jahr gestiegen: 955 Menschen wurden Organe entnommen, 2017 waren es noch 797. Damit hat die Zahl der Organspender pro Million Einwohner von 9,7 auf 11,5 zugenommen.

Limonade und Bücherschreiben – Warten auf ein Spenderherz

Von Jörg Metzinger

Jörg Metzinger ist seit 2002 Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Schafbrücke (Saarbrücken), die zur Evangelischen Kirche im Rheinland gehört, erteilt Religionsunterricht und spielt Gitarre in Blues(rock)-Bands.

Rhabarberlimonade von einer Lehrerkollegin, eine Johnny Lee Hooker CD von Schwester Rita, ein Gemeindemitglied bringt Siegfried Lenz‘ Novelle Schweigeminute… Piepende Monitore auf Rollatoren, braune Soße über pappigen Frikadellen, auf den Fluren Geruch nach Exkrementen. Sensible Pflegekräfte in Grün und Blau, Assistenzärzte mit guter Spritzenführung: Ich habe 424 Tage auf einer kardiologischen Intensivstation der Uniklinik Heidelberg gelebt, zeitweise wartend mit bis zu acht weiteren Patienten. 424 Tage bis zur Transplantation, Stationsrekord, meiner seltenen Blutgruppe und großen Körperlänge geschuldet. Wir waren eine skurrile WG, feierten Geburtstage, Weihnachten, Silvester zusammen, zwischen Dialyse-Gerät, Ergometer und Kardioversions-Set. Sogar zwei Konzerte haben wir organisiert, mittendrin, eins davon mit Bluesfreunden aus dem Saarland und mir an der Gitarre. Mein Bewegungsradius: fünfzig Meter. Nur erlaubt mit WLAN-Überwachung durch den Monitor auf meinem Rollator. Ich kannte auf den Fluren jede Ecke und auch fast alle, die hier arbeiten.

Manche meinen, ich hätte dort „die Zeit totgeschlagen“. Nein, ich habe versucht, in der Uniklinik auf fünfzig Metern zu leben, soziale Kontakte aufzubauen, zu schreiben, zu malen, zu lesen, Gitarre zu spielen. Langeweile hatte ich eigentlich nicht, die Tage vergingen rhythmisch und gleichförmig. Da war die  Sehnsucht nach den Menschen, Orten, Gerüchen, Beschäftigungen zu Hause. Sie hat mich angetrieben, aber manchmal auch in die Verzweiflung. Ein Gefängnis – nur ohne Freigang.

Pflegekräfte, Ärzte, Mitpatienten, vor allem natürlich meine Frau und mein Sohn haben mir geholfen, diese lange Zeit zu überstehen. Genauso überlebenswichtig waren die nie abreißenden, oft intensiven Kontakte zu Freunden, Bekannten und vielen Gemeindegliedern, die mich nicht vergaßen. Die unzähligen guten Wünsche, die Karten und Briefe, die Reaktionen auf Facebook und WhatsApp, Besuche, Telefonate, Gebete und für mich angezündete Kerzen. Diese Anteilnahme hat mich überwältigt.

Auch den Glauben habe ich nicht verloren. Selbst nicht in der Stunde des Todes – wie es in alten Gebeten etwas pathetisch heißt. Ich habe Kraft bekommen, deutlich, in Gebet, Traum, Vision. Herrlichkeit und Furcht Gottes sind mir begegnet, überraschend direkt durfte ich das erfahren. Wieder so alte Worte, aber ich finde keine besseren.

Über den Herzspender? Die Informationen bleiben aus guten Gründen unter Verschluss. Ein Arzt hat mir beim Ultraschall gezeigt und erklärt, dass es ein junger Mensch gewesen ist. Ich danke also dem für mich anonymen Menschen und dessen Angehörigen, die mich durch ihre Bereitschaft zur Organspende weiterleben lassen. Von einem „zweiten Leben“ möchte ich nicht sprechen. Diese Krankheit hat mich natürlich verändert, aber ich bin auch der alte geblieben. Manche überhöhen die Bedeutung einer Herztransplantation. Ich habe gelernt, zwischen dem Himmel, an dem die Flugzeuge fliegen, und dem Himmel, von dem die Bibel spricht, zu unterscheiden. Ähnlich ist es mit dem Herzen. Das Herz ist ein Muskel, so bewundernswert konstruiert, dass man an Gott glauben kann. Der Motor des Körpers, nicht mehr, nicht weniger. Wenn der kleine Prinz sagt, „nur mit dem Herzen sieht man gut“, dann ist aber etwas anderes gemeint.

Strukturelle und organisatorische Verbesserungen in der Organspende sind wichtig

Von Axel Rahmel

Dr. med. Axel Rahmel ist Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation.

Die Regelungen zur Organspende lassen sich nicht allein auf medizinische und rechtliche Aspekte reduzieren. Die Frage, „Will ich nach meinem Tod Organe spenden?“, sollte jeder für sich persönlich und selbstbestimmt beantworten. Damit diese Entscheidung am Lebensende zum Tragen kommt, muss aber sichergestellt werden, dass sie in den Krankenhäusern auch abgefragt wird und mögliche Organspender an die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) gemeldet werden. Als Koordinierungsstelle für die postmortale Organspende unterstützt die DSO die Krankenhäuser im gesamten weiteren Organspendeprozess.

Studien zeigen auf, dass in den Krankenhäusern am Lebensende häufig nicht an die Möglichkeit einer Organspende gedacht wird. In vielen Kliniken ist die Organspende ein eher seltenes Ereignis, das nicht in die routinemäßigen Abläufe integriert ist. Die Gründe hierfür liegen sicher auch in der zusätzlichen Belastung, die eine Organspende für die Krankenhäuser in personeller und finanzieller Hinsicht darstellt. Ein weiterer Grund mag die Hemmschwelle sein, Angehörige im Moment ihrer Trauer auf eine Organspende anzusprechen.

Der Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zur Verbesserung der Strukturen und der Zusammenarbeit bei der Organspende setzt an den richtigen Stellen an. Er stärkt die Position der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken. Ihre Aufgabe ist es, mögliche Organspender zu erkennen und sich um die Abläufe zu kümmern. Dazu ist es wichtig, dass sie von anderen Tätigkeiten entlastet werden und dass sie grundsätzlich einbezogen werden, wenn auf den Intensivstationen Ärzte und Angehörige Entscheidungen am Lebensende eines Patienten treffen müssen. Außerdem soll die Finanzierung der Organspende verbessert werden, so dass das Engagement der Kliniken für die Organspende nicht mehr – wie in der Vergangenheit mitunter geschehen – zu einem finanziellen Nachteil führt.

Die gesetzlichen Regelungen geben aber nur einen Rahmen vor, der mit Leben gefüllt werden muss. Hier setzt der Initiativplan Organspende an, der unter der Federführung der DSO mit Unterstützung des Bundesgesundheitsministeriums gemeinsam mit weiteren Partnern entwickelt wird. Dabei geht es um Maßnahmen, die die Prozesse in den Krankenhäusern vor und nach Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls betreffen und um eine stärkere gesellschaftliche Verankerung der Organspende.

Parallel zum Gesetzentwurf wird über eine Änderung der gesetzlichen Regelung zur Einwilligung in die Organspende diskutiert und die Einführung einer Widerspruchslösung vorgeschlagen. Eine Regelung, die eine bewusste Entscheidung fördert und den Patientenwillen im Blick hat, würde die Angehörigen entlasten, die ansonsten in letzter Instanz diese schwierige Entscheidung treffen müssen. Hier könnte die Lösung, die in den Niederlanden eingeführt wird, als Modell dienen: Die Bürger werden dort wiederholt nach ihrer Entscheidung zur Organspende gefragt. Wer hierauf nicht reagiert wird im Register als Person, die der Organspende nicht widersprochen hat, geführt. Eine solche Regelung, die die Autonomie des Einzelnen in den Vordergrund stellt, könnte eine Kultur der Organspende auch in Deutschland fördern. Innerhalb der Bevölkerung wäre es selbstverständlich, sich zu entscheiden; für die Kliniken wäre es selbstverständlich an die Organspende zu denken.

Organspende braucht Vertrauen

Von Margot Papenheim

Margot Papenheim ist Referentin im Fachbereich Evangelische Frauen in Deutschland des Evangelischen Zentrums Frauen und Männer. Mehr zur Positionierung der Evangelischen Frauen in Deutschland unter www.organspende-entscheide-ich.de

Die Organspende-Zahlen in Deutschland sind in den letzten zehn Jahren dramatisch gesunken. Das Drehen an diversen Stellschrauben – wie bessere Finanzierung von Entnahmeoperationen oder mehr Freistellung für Transplantationsbeauftragte – wird allein keine Trendwende herbeiführen. Und auch nicht die mindestens ethisch fragwürdige Regelung, dass künftig die Transplantationsbeauftragen der Entnahmekrankenhäuser bereits vor Feststellung des Hirntods uneingeschränkt Einblick in die Patient*innenakten der Intensivstationen bekommen sollen, um „vorab“ potenzielle Organspender*innen zu identifizieren.

Darum tritt u.a. Bundesgesundheitsminister Spahn für die Einführung einer (doppelten) Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz ein. Als Evangelische Frauen in Deutschland sind wir dezidiert der Meinung: Die gesetzliche Grundlage für Organspende kann nur die freiwillige – und umfassend informierte – Entscheidung von (erwachsenen!) Menschen sein. Denn:

Definitionsgemäße Voraussetzung einer Spende ist Freiwilligkeit. Eine Widerspruchsregelung definiert jeden Menschen per se als potenzielle*n Organspender*in. Vom Vollzug der Organspende im Falle des Hirntodes würde ihn nur der ausdrückliche Widerspruch bewahren. Das wäre keine geringfügige Veränderung der geltenden Entscheidungslösung, sondern ein Paradigmenwechsel – und eine Pervertierung des Spende-Gedankens.

Zudem setzt die gesetzliche Definition der gesamten Bevölkerung als potenzielle Organspender*innen die Annahme einer Art „Sozialpflichtigkeit“ des toten menschlichen Körpers (als „Ersatzteillager“) voraus. Dies entspricht nicht unserem christlichen Menschenbild. Und es ist unseres Erachtens auch nicht vereinbar mit der grundgesetzlich garantierten, unantastbaren Würde des Menschen, die über den Tod hinaus zu achten ist.

Das Argument, dass laut Umfragen „die meisten Menschen es doch eigentlich wollen“ und nur zu bequem sind, einen Ausweis auszufüllen – oder die Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod scheuen – sticht nicht. Laut Umfrage der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hätten bereits 2014 über 35 Prozent der Bevölkerung einen ausgefüllten Organspende-Ausweis haben müssen. Laut DSO-Statistik fanden im selben Jahr in den Entnahmekrankenhäusern 1.584 Gespräche zur Entscheidung zur Organspende statt – dabei lagen 194 Erklärungen der potenziellen Spender*innen vor; das sind 12,2 Prozent. Was wohl auch damit zu tun hat, dass Menschen in Umfragen so antworten, wie es vermeintlich politisch korrekt ist. Das reale Verhalten steht auf einem anderen Blatt.

Schließlich: Eine Widerspruchsregelung würde – vielleicht – zunächst die Organspende-Zahlen steigen lassen. Das Vertrauen der Bevölkerung in das Organspende-System würde sie ebenso wenig zurückgewinnen wie alle bisherigen Werbekampagnen für Organspende – verbunden mit moralischen Appellen und/oder Herunterspielen der Komplexität des Themas. Vertrauen braucht umfassende Information. Auch die Information, dass Spende-Organe (anders als Gewebe) nicht Leichnamen, sondern hirntoten Menschen entnommen werden. Information, die auch die ethischen Fragen anspricht, die mit der Transplantationsmedizin verbunden sind. Vertrauen ist die einzig tragfähige Grundlage, auf der Menschen sich für Organspende entscheiden. Daran könnte nicht einmal eine gesetzliche Widerspruchsreglung etwas ändern.

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