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Heimat nicht den Rassisten überlassen

Im Alter von zwölf Jahren ist sie aus der Türkei nach Deutschland gekommen. Vier Jahrzehnte später ist die Grünen-Politikerin Muhterem Aras Landtagspräsidentin in Baden-Württemberg. In einem viel beachteten Buch stellt sie den Stellenwert von Heimat heraus.

Auch wenn sie zum Teil hässlichen Anfeindungen aus dem politisch rechten Spektrum ausgesetzt ist, wirkt Muhterem Aras in keinem Moment amtsmüde. Ihre erfrischende und zugewandte Art öffnet ihr die Herzen der Menschen. Seit 2016 ist die in Stuttgart lebende Steuerberaterin Landtagspräsidentin, zuvor wurde sie als Stimmenkönigin der Grünen im Land 2011 in den Landtag gewählt. Ihr entschiedenes Eintreten für Demokratie und die Rechte jedes einzelnen hat Aras über die Grenzen von Baden-Württemberg hinaus hohes Ansehen verschafft.

Heimat – kann die weg?

Muhterem Aras (Foto: Landtag Baden-Württemberg/Jan Potente)

Ihre Heimat verortet sie heute ganz klar dort, wo die Freiheit und die Würde des einzelnen gewährleistet sind. Das heißt, dass auch die Rahmenbedingungen stimmen müssen. Dies hat die Grünen-Politikerin in einem kürzlich erschienenen Buch mit dem bewusst provokanten Titel Heimat. Kann die weg? deutlich gemacht (Verlag Klöpfer und Narr, 2019). Zusammengetan hat sie sich dazu mit dem wesentlich älteren Hermann Bausinger. Der 83-Jährige hat als Begründer der empirischen Kulturwissenschaften an der Universität Tübingen den Heimatbegriff entstaubt und deutlich gemacht, wie bedeutsam und prägend lokale und regionale Traditionen sind. Als sich die beiden vor zwei Jahren näher kennenlernten, merkten sie schnell, dass sie trotz des Altersunterschiedes ein ganz ähnliches Verständnis von Heimat haben. So entstand die Idee für das gemeinsame Buch.

Mit „Schwarz Rot Gold“ setzen auch die Farben des Buchcovers ganz bewusst ein Zeichen. Sie sollen erinnern an die liberalen Traditionen, die in der deutschen Revolution von 1848 mündeten. Keinesfalls will Aras den Begriff „Heimat“ den Rechtspopulisten und Rassisten überlassen. „Dies wäre ein großer Fehler“, sagt sie. Denn Heimat könne gerade in Zeiten großer Umbrüche, wie es Globalisierung und Digitalisierung sind, den Menschen Orientierung geben.

Gegen die Auflösung des gesellschaftlichen Zusammenhalts

In jüngster Zeit haben sich die Angriffe gegen die kurdische Alevitin, die bei ihrer Amtseinführung 2016 von den Medien als erste „Muslimin“ im Amt der Landtagspräsidentin gewürdigt wurde, aus dem politisch rechten Spektrum gehäuft. Die Debatten sind heftiger geworden, bestätigen Abgeordnete wie Beobachter, seit die AfD im baden-württembergischen Landtag sitzt. Immer wieder muss die Landtagspräsidentin eingreifen und für Ruhe sorgen. Die Tatsache, dass Muhterem Aras türkische Wurzeln hat, ist für viele in der AfD eine Provokation. Für deren Abgeordnete Christina Baum ist dies „ein klares Zeichen, dass die Islamisierung doch voll im Gang ist“.

Einmal wurde von ihr sogar ein AfD-Abgeordneter aus dem Plenarsaal gewiesen, weil er die Landtagspräsidentin massiv kritisiert hatte. Auch für eine Gedenkstättenreise, bei der Aras ein ehemaliges Konzentrationslager besuchte, wurde sie vom AfD-Abgeordneten Emil Sänze scharf angegangen. Er hatte Aras wegen ihrer türkischen Wurzeln das Recht abgesprochen, sich zur Judenverfolgung in der Nazizeit zu äußern. „Eine lebendige Erinnerungskultur ist Staatsräson, ist Grundkonsens“, sagte die Landtagspräsidentin dazu. Wer diesen Grundkonsens angreife, den kritisiere sie – das sei ihre Aufgabe, betont sie.

Klar hat sie sich auch im Landtag nach dem antisemitisch motivierten Anschlag von Halle, bei dem der Täter nach einem gescheiterten Anschlag auf eine Synagoge wahllos zwei Menschen erschoss, positioniert: „Antisemitismus bedroht uns alle“, betonte Aras. „Denn Hass und Ausgrenzung greifen die Grundlagen unserer freiheitlich-demokratischen Ordnung an. In Halle wurde daraus eine konkrete, schreckliche Tat“, fügte sie hinzu.

Vor diesem Hintergrund ist ihr der Zusammenhalt in der Gesellschaft wichtig. Dieser „entsteht nicht, wenn man ihn in abgekapselten, homogenen Gruppen sucht. Eine solche Gesellschaft zerfiele in auseinanderdriftende Milieus – mit dem Ergebnis, dass die einen die anderen als Bedrohung empfinden“, steht im Buch. „Dann ist auch Integration zum Scheitern verurteilt. Das Gegenmodell ist also ein Gebot der Vernunft: Vielfalt als Leitlinie!“, heißt es weiter.

Heimat einladend interpretieren

Im Gespräch mit den evangelischen aspekten weist die Politikerin darauf hin, dass das Buch „eine andere Erzählung“ über Baden-Württemberg liefern solle als nur „die übliche Rede vom ökonomisch erfolgreichen Bundesland“. Dieses habe nämlich auch in Bezug auf die Einwanderung eine erfolgreiche Geschichte. Als die Politikerin selbst als Jugendliche nach Stuttgart kam, brauchte sie Zeit, um sich in der neuen Umgebung und Kultur zurechtzufinden und sich zu lösen von dem Land, in dem sie aufgewachsen war. Aus dieser Erfahrung weiß sie, dass Integration kein einfacher Prozess ist. Deshalb lautet ihr Appell auch, den neu Angekommenen Zeit zu geben und etwas Geduld zu haben.

Aras plädiert für Offenheit: „Ich verstehe Heimat nicht als ausgrenzend im Sinne von ›wir‹ gegen ›die‹. Ganz im Gegenteil: Wir sollten Heimat vielmehr als einladend interpretieren und zum Beispiel betonen, dass jeder, der unsere Werte teilt und sich auf dem Boden unserer Verfassung bewegt, hier eine Heimat finden, sich hier zugehörig fühlen und ein vollwertiges Mitglied unserer Gesellschaft werden kann. Dieser Heimatbegriff ist dann offen und integrativ.“

Heimat ist dort, wo ich die Werte teile.

Vor diesem Hintergrund sieht Aras ihre Heimat „dort, wo ich die Werte teile“. Zwar will sie ihre Wurzeln in der Türkei nicht verleugnen, aber als ihre Heimat betrachtet sie diese nicht mehr. „Die Kindheitsprägungen gehören zu mir, die will ich auch nicht verleugnen und wegdrücken“, erläutert Aras, die deshalb auch Wert darauf gelegt hat, dass ihre Tochter und ihr Sohn diese Wurzeln kennen und auch Türkisch lernen.

Heimat im Land des Grundgesetzes

„Für mich ist Deutschland Heimat, ohne dass ich eine Sekunde nachdenken muss“, betont sie im Gespräch und verweist auf das Grundgesetz als den Rahmen, der eben nicht nur eine formale, sondern auch eine emotionale Seite habe. Als „berührend“ in seiner Klarheit beschreit sie Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“.

Unter dieser Prämisse war für sie auch immer klar: „Wenn Heimat, dann richtig Heimat! Dann musst du dich auch einbringen, dich engagieren, Verantwortung übernehmen und in dieser Gesellschaft etwas verändern. Das war meine Motivation, in die Politik zu gehen“, erklärt sie im Buch. „Wer seinem Gemeinwesen Heimatgefühle entgegenbringt, wird sich eher und intensiver engagieren – hauptamtlich und ehrenamtlich. Gelebte Vielfalt verbreitert also das Fundament unserer Demokratie. Dafür lohnt es sich zu arbeiten“.

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