In der Altersgruppe der 25–29-Jährigen ist der Anteil der Kirchenaustritte am höchsten. Warum wenden sich gerade junge Menschen besonders häufig von der Kirche ab?
Über den Verfall der beiden großen Kirchen in Deutschland, den kontinuierlichen Rückgang ihrer Mitglieder und ihre stetig abnehmende Bedeutung innerhalb der Gesellschaft ist von vielerlei Seite geschrieben worden. Ich möchte hier aus der Perspektive des theologischen Nachwuchses versuchen, Gründe für diese Entwicklung gerade auch in meiner Generation zu benennen. Wenn dabei etwas unpräzise von „der Kirche“ die Rede ist, dann ist hier in erster Linie die evangelische Kirche in Deutschland im Blick.
I. Vielfalt der Gründe für das Nachwuchsproblem
In den letzten Jahren wurden immer wieder Bücher zu Bestsellern, die ein spezifisches Problem der Kirche ausgemacht, dieses als den Grund für ihren Verfall beschrieben und damit den Schluss nahegelegt haben, man müsse nur an dieser oder jener Stellschraube drehen, und schon käme wieder alles ins Lot mit der Kirche. Zu denken ist hier etwa an Erik Flügges Der Jargon der Betroffenheit. Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt (2016).
Will man jedoch ernsthaft über die Krise der Kirche diskutieren, gilt es, sich die Vielschichtigkeit dieses Phänomens klarzumachen. Die Säkularisierung als der seit Jahrzehnten kontinuierlich fortschreitende Loslösungsprozess weiter Teile der Gesellschaft von der verfassten Institution Kirche ist als ein solcher anzuerkennen. Tendenzen innerhalb von Theologie und Kirche, die „Säkularisierungsthese“ für überholt zu halten, sind wiederum selbst als überholt anzusehen. Tatsächlich steht sich die Kirche bei der Analyse des Status quo, den man zunächst einmal zu akzeptieren hat, bevor man ihn verändern kann, gerne selbst im Weg.
Es ist nicht nur der demographische Wandel
Das gilt auch für den „demographischen Wandel“. Viele Jahre hat man innerhalb der evangelischen Kirche die rapide zurückgehende Kirchenmitgliedschaft allein mit dem demographischen Faktor zu rechtfertigen versucht. Dass allerdings nicht erst gestern ein erheblicher Teil des Schwundes der Kirchen auf bewusste Kirchenaustritte zurückgeht, muss ernstgenommen werden (vgl. die Studie des Forschungszentrums Generationenverträge an der Universität Freiburg Langfristige Projektion der Kirchenmitglieder und des Kirchensteueraufkommens in Deutschland (www.ekd.de/ekd_de/ds_doc/projektion-2060-ekd-vdd-factsheet-2019.pdf). Viele, gerade junge Menschen wenden der Kirche den Rücken zu – hier gilt es, nach Gründen zu fragen und diesem Trend entgegenzuwirken.
Kirchenaustritte junger Menschen
Ein wesentlicher Grund ist der finanzielle. Nicht von ungefähr ist die Altersgruppe 25–29 Jahre diejenige mit den höchsten Austritten: Mit dem Empfang des ersten Gehaltes entscheiden sich viele junge Menschen, dass sie den Betrag der Kirchensteuer gerne für etwas anderes verwenden möchten. Doch zu einer solchen Entscheidung kommen vor allem diejenigen, die bereits in den Jahren davor kaum eine enge Bindung zu einer Kirche aufgebaut haben. Die mir im Religions- und Konfirmandenunterricht begegnenden Kinder und Jugendlichen haben nur noch in seltenen Fällen eine ausgeprägte religiöse Sozialisation erfahren.
Ferner steht die von jungen Menschen immer stärker abverlangte Mobilität sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich in einer Spannung zu einem kirchlichen Leben, das nach wie vor vorwiegend parochial in Gemeindestrukturen denkt und agiert. So ist für viele Menschen meines sozialen Umfeldes der Auszug aus dem Elternhaus eine Art „Sollbruchstelle“ gewesen: Das Engagement in der Heimatgemeinde findet ein Ende und die Bindung zu ihr nimmt ab, ohne dass am neuen Wohnort Entsprechendes entstehen würde.
Präsenz im Digitalen
Das Internet und die sozialen Netzwerke sind längst nicht mehr nur ein Medium wie eine E-Mail, während das „eigentliche Leben“ analog verläuft. Sie sind vielfach selbst zum Lebensraum von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen geworden. Gerade die Pandemie und der durch sie ausgelöste enorme Digitalisierungsschub haben das eindrucksvoll gezeigt. Wer im Digitalen nicht präsent ist, ist im Leben vieler junger Menschen überhaupt nicht präsent. Nico Buschmann, Studienfreund, junger Pfarrer in Köln und Beauftragter für Digitalisierung in der EKiR sagte mir neulich in einem Gespräch: „Wenn wir als Kirche nicht in den sozialen Netzwerken aktiv sind, ist das wie wenn jemand eine*n Pfarrer*in einlädt, um auf dem Marktplatz vor vielen Menschen zu sprechen, und diese*r einfach nicht kommt.“ Was wäre das für ein fatales Bild von Kirche!
Alternative Sinn- und Deutungsangebote
Jeder Kirchenaustritt dokumentiert unterbliebene oder misslungene Vermittlungs-Anstrengungen.
Die gleichen Faktoren gelten grundsätzlich auch für den mangelnden „professionellen“ Nachwuchs. Entscheiden sich doch (von Ausnahmen abgesehen) vor allem diejenigen für eine Arbeit im kirchlichen Dienst, die eine religiöse Sozialisation in der Familie erfahren und in ihrer Heimatgemeinde bereits als Kind und Jugendliche*r integriert worden sind. Würden die hier genannten allgemeinen Faktoren des Nachwuchsproblems erfolgreich angegangen werden, würde dies m.E. zugleich zu einer Entspannung des Nachwuchsmangels im professionellen Bereich führen.
II. Vorschläge zur Förderung des Nachwuchses
Da der Untertitel dieses Beitrags mit einem Fragezeichen versehen ist und das „Wegbrechen“ der „jungen Generation“ ja nicht total, sondern im Sinne einer Schrumpfung geschieht, möchte ich hier einige positive Vorschläge machen. Diese werden ergänzt durch Auszüge einer Instagram-Umfrage des Kanals „ekhn.gemeinsam“ aus dem letzten Monat bzw. der Anfrage eines Users an Pfarrer Nico Buschmann.
Priorität der Kinder- und Jugendarbeit
Die Kirchengemeinden sollten den Schwerpunkt auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen legen. Viele andere Gemeindegruppen agieren sehr gut auch ohne „professionelle“ Unterstützung. In den Gemeinde-Fusionsprozessen wird deutlich: Wer es als Gemeinde in der Vergangenheit versäumt hat, eine aktive Kinder- und Jugendarbeit aufzubauen, der – und so drastisch muss man das sagen – stirbt aus und wird über kurz oder lang an lebendigere und jüngere Gemeinden angeschlossen werden.
Junge Menschen verantwortlich einbinden
Chancen der Digitalisierung nutzen
Glaubwürdig und verständlich kommunizieren