Fluch oder Segen? Als Berufsmusikerin durch die Corona-Zeit

Die Musikerin Katrin Wettin erzählt von ihren ganz persönlichen Erfahrungen während der Corona-Zeit, die für viele Musiker das Aus bedeutete – für sie nicht!

Ich bin als Geigerin mit meinem Ensemble von 23 Personen, Band und Kammerorchester, in ganz Deutschland, aber auch Portugal unterwegs. Wir verklassiken Rock- und Popmusik und verpoppen die klassische Musik. Wir haben wunderbare Erlebnisse und Erfolge (Fernsehauftritte, große Konzerte vor bis zu 20.000 Menschen, Konzerte in Portugal). Ich liebe Musik, die unter die Haut geht, mit der man Erinnerungen und Gefühle verbinden und wecken kann. Ein wichtiges Augenmerk lag für mich immer darauf, Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten, mit verschiedenen Musikgeschmäckern und verschiedenen Alters zusammenzuführen.

Trotz aller Hindernisse haben wir eine relevante Reichweite erreicht, viele Konzerte gespielt und viel Freude mit unserer Musik verbreitet. Und dann dieser plötzliche Knall … Auftrittsverbot.

Der Corona-Alptraum

Corona schlug wie eine Bombe ein, ein großer tiefer Krater in dem ich einfach für unbestimmte Zeit hinein fiel … da war nichts mehr, gar nichts … ein Alptraum. Doch dann klopfte doch noch der etwas klein gewordene Optimist bei mir an und bat mich, alles zu tun, um die Zeit zu überstehen. Es lenkte mich ab, um neue Projekte zu entwickeln, Ideen umzusetzen. Durch die entstandene Zeit blühte meine Kreativität auf und ich entwickelte Fähigkeiten, von denen ich gar nichts wusste. Menschen wandten sich ab, wahre Freunde halfen durch die schwere Zeit. Manche Nacht habe ich durchgeweint und an manchen Morgen wollte ich nicht aufstehen, aber meine Familie, mein Mut, mein Ehrgeiz und meine Träume gaben mir immer wieder die Kraft, weiterzumachen.

Weitermachen – aber anders

Wie konnte ich in einer Zeit, die das Zusammenkommen von vielen Menschen verhinderte, das tun, was doch Menschen zusammenbringt? Mein Mann und ich bauten unser Wohnzimmer um. Anstelle einer schönen Couch, auf der wir sonst mit einem Glas Wein den Blick auf den sich vorbeischlängelnden Fluss genossen, platzierten wir nun Boxen, Scheinwerfer, Videoleinwand, Nebelmaschine, Computer und Bildschirme und verwandelten unser Wohnzimmer in ein kleines Fernsehstudio. Wir waren schnell, und unser erster Livestream startete bereits knapp eine Woche nach Ausruf des ersten Lockdowns. Wir sendeten täglich kleine, einstündige Konzerte und versuchten damit, den Menschen da draußen ein kleines Gefühl von Gemeinsamkeit zu schenken. Sie lauschten nicht nur der Musik, sondern konnten auch durch die Kommentarfunktion Kontakt mit anderen Besuchern halten. Diese wurde rege genutzt und ergab ein Gefühl des gemeinschaftlichen Konzertbesuches und wirkte der Einsamkeit für eine Stunde entgegen. Mir gab es das Gefühl, nicht nutzlos zu sein und auch weiterhin Musik machen zu können.

Die Kirchentour

Aber die echten Kontakte, der Applaus fehlten mir schon sehr und so suchte ich nach Möglichkeiten, auch öffentliche Konzerte zu geben. Schwierig war die Menge der Menschen, die zusammenkommen durften. Es rechnete sich einfach nicht, nicht mal auf 0. Aber auch da kam mir eine gute Idee:  die Kirchentour.

Bei einer Belegung von nur 20 oder 30% des Raumes sind Kirchen optimal. Sie sind meist sehr groß, bieten also Platz für sehr viele Besucher, die Mieten sind günstig und in der Coronazeit verzichtete die eine oder andere Kirchgemeinde sogar auf diese. Es war ihnen wichtig, den Menschen einen sicheren Ort zu bieten, sie zusammenkommen zu lassen und somit für einen Moment ein wenig Normalität zu schenken. Daneben macht der Reiz einer Kirche jedes Konzert zu einem Erlebnis. Kirchen bieten einen ganz besonderen Raum, wo niemand das Gefühl hat, am falschen Platz zu sein; man kann sein, wer man ist und wer man sein will. Ich habe es unendlich genossen und auch nach Corona ist eine Kirche für meine Konzerte immer die erste Wahl.

Menschen die Musik näherbringen

Daneben gründete ich einen Reiseblog und nahm meine Fans mit auf eine musikalische Reise durch Deutschland. Ich besuchte spannende, interessante und geschichtsträchtige Orte und nahm da ein Musikvideo auf. Start war die größte Indoorhalle Europas, die LANXESSArena in Köln, weiter ging es zur TV-bekannten Davidwache auf der Reeperbahn und zum Holstentor. Dann schmetterte ich mein Winnetou-Lied von der Freilichtbühne in Bad Seegeberg, wandelte im Sommerhaus von Albert Einstein mit Mozart auf den Geigensaiten und ließ mir auf der GorchFock 1 den Wind ins Gesicht blasen. Viele weitere Orte haben wir besucht und es war ein großartiges Erlebnis.

Als der Wettbewerb vom MDR „5 freie Sendeminuten für freie Künstler“ ausgerufen wurde, nahm ich auch daran teil. Meine Idee, im Beethoven Jahr dem großen Komponisten einen Beitrag zu widmen, kam gut an und so gewannen wir den Wettbewerb. Wir produzierten in Eigenregie einen Fernsehbeitrag mit dem Hintergrund, Menschen, die nicht hören können, auf andere Art und Weise die Musik näherzubringen. Die Musik wurde getanzt, in Sand gemalt, und meine Schwester Anna stellte die Gefühle, die mich beim Hören ergriffen, in Gebärdensprache dar. So entstand unser Beitrag „Beethoven, Hör- und Sichtbar“.

Was bleibt?

Nun ist wieder Zeit vergangen, Corona noch nicht raus aus den Köpfen, aber verblasst. Was habe ich gelernt, was ist mir geblieben? Alles!!!

Ich habe neue Fähigkeiten und Facetten an mir entdeckt und auch entwickelt. Meine Kirchentour läuft nach wie vor und auch der Reiseblog wird weitergehen. Unser Wohnzimmer ist immer noch ein Livestream-Studio, aus dem wir regelmäßig senden, nur das wir im Sommer auf meine Terrasse umziehen. Im Schatten der Eichen, am Fluss, in meinem persönlichen Paradies können jetzt ganz privat jeden Montag 20 Gäste mit mir ein kleines Konzert und eine schöne Sommernacht mit Gesprächen und einem Glas Wein genießen. Es ist persönlich, es ist wichtig und bedeutet mir sehr viel. Selbstverständlich liebe ich die großen Konzerte vor Hunderten von Menschen, aber immer mehr genieße ich auch diese persönliche Atmosphäre und freue mich schon jetzt, wenn ich ab Mai wieder neue, interessante Menschen kennenlernen darf.

War Corona nun Fluch oder Segen? Für mich war es beides. Die Ungewissheit während dieser Zeit hat mich zermürbt, hat mich den einen oder anderen Tag hoffnungslos gemacht und die Nachwirkungen sind bis heute noch nicht überstanden. Segen, weil sich viel für mich geändert hat. Das Streben nach „immer mehr und immer größer“ ist einer Zufriedenheit und der Gewissheit gewichen, dass das Zwischenmenschliche, Freundschaft und Liebe so viel mehr zählen, um glücklich zu sein.

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