Vertraut den neuen Wegen (EG 395) Einblicke in das Entstehen des neuen Gesangbuches

2028 soll in den Kirchen der EKD ein neues Gesangbuch erscheinen. Susanne Hasselhoff, Referentin für das neue Gesangbuch, berichtet, wo der Prozess gegenwärtig steht.

Viele denken beim Stichwort „Neues Gesangbuch“ an das Gesangbuch, das derzeit in unseren Kirchen ausliegt. Mittlerweile liegt es dort schon seit einer Generation und vieles ist geschehen, das 2017 dazu geführt hat, dass der Rat der EKD beschloss, dass das Gesangbuch grundsätzlich revidiert werden muss: Die Perikopenordnung hatte sich verändert, mit ihr die Wochenlieder; die Lutherbibel erschien 2017 in einer revidierten Version und mit ihr viele Änderungen in der Übersetzung der Psalmen; Gottesdienstliturgien wandelten sich und es entstanden vielerorts Traditionen neuer Kasualien.

Selbstverständlich wurde der Wunsch nach digitalen Möglichkeiten größer und die Vielzahl neuer Lieder verschiedenster Stilrichtungen machten eine Revision unumgänglich. Die Vision eines „doppelten Produkts“, digital und analog, führte dazu, dass auch die Inhalte komplett neu gedacht werden sollten. Und so wurde 2020 eine Gesangbuchkommission berufen, deren Mitglieder stellvertretend aus den 20 Landeskirchen innerhalb der EKD sowie Österreich und den Fachverbänden der Kirchenmusiker*innen kommen. Dazu wurden weitere Fachleute für bestimmte Arbeitsgebiete, z.B. Kindergottesdienst, Kirchentag und Leichte Sprache hinzugebeten. Es wurde neben dem Gremienbesetzungsgesetz auch auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Theolog*innen und Kirchenmusiker*innen sowie jung und alt geachtet. Dies führte zu einer gut 70-köpfigen Kommission mit einer dazugehörigen kleinen Steuerungsgruppe, die die Arbeit der Ausschüsse zusammenführt und die Empfehlungen für den Rat der EKD vorbereitet. Alle Mitglieder der Kommission sind nach eigenen Interessen in fünf Ausschüsse aufgeteilt: Liedauswahl, Textauswahl, Digitale Fragen, Konzeption und Gestaltung sowie Singvermittlung und Begleitpublikationen.

Leitlinien für den Entstehungsprozess

Grundsätzliche Entscheidungen wurden bereits zu Anfang der Projektarbeit getroffen und sind in den Leitlinien für ein neues Gesangbuch nachzulesen. Da geht es um eine gute Mischung von Liedern, die evangelische Traditionen durch die Epochen hindurch in aller Vielfalt abbilden, aber auch um modernes Liedgut in den verschiedenen Regionen innerhalb der EKD und in der weltweiten Ökumene. Theologisch ist der Anspruch, auf der Höhe der Zeit zu sein und dies selbstverständlich in den Texten abzubilden. Dies bedeutet auch, dass viele alte Texte kritisch hinterfragt werden und ein Umgang damit gefunden werden muss, wenn in alten Chorälen Bilder eines gewalttätigen Gottes auftauchen oder die nationalsozialistische Gesinnung des Autors bekannt ist. Antisemitismus, Rassismus und Genderdiskriminierung sind weitere Themen auf dieser Liste. Die Bearbeitungsmöglichkeiten reichen von Kommentierung, selbstverständlich auch dem Aussortieren mancher Lieder, Textveränderungen und Neutextungen. Hier wird aber erst mit dem Vorliegen der Redaktionsliste mit den jeweils für das Lied angemessenen Entscheidungen zu rechnen sein.

Viele alte Liedtexte müssen kritisch hinterfragt werden.

Die Leitlinien haben hierfür einen positiv formulierten Maßstab gesetzt:

„Die im Buch und in der Datenbank [Anm: damit ist das Digitale Gesangbuch gemeint] gesammelten Lieder und Gesänge schließen an die biblische Überlieferung und an Kernaussagen des christlichen Glaubens an. Sie spiegeln theologische Diskurse und Frömmigkeitsstile der kirchlichen Tradition und der Gegenwart und bewahren bzw. erschließen sie für die Bildung des christlichen Glaubens. Zentrale Bezugsgröße ist das Bekenntnis zum dreieinigen Gott, zu seiner Schöpfung, zur bleibenden Erwählung Israels, zu Gottes Menschwerdung in Jesus Christus, zu ihm als Gekreuzigtem und Auferstandenem, zu seiner Gegenwart im Heiligen Geist, der die Menschen zu christlicher Lebensgestaltung und Weltverantwortung befähigt. Die Lieder erzählen von Gott: seiner Güte und Barmherzigkeit, seinem gnädigen Zuspruch und heiligen Anspruch. Sie verbinden die Gemeinschaft der Glaubenden. Sie sind Ausdruck und Quelle von Freude, Lob und Dank, aber auch von Klage und Zweifel. Sie spenden Trost in Krisen und stärken die Hoffnung auf Gottes ewiges Reich. …“ (Leitlinien für ein neues Gesangbuch in der evangelischen Kirche – gedruckt und digital, Beschluss des Rates der EKD vom 25.2.2022).

Gegenwärtiger Arbeitsstand

Was das Ziel betrifft, zum Ende des Jahrzehnts in allen Kirchengemeinden ein neues Gesangbuch in digitaler und analoger Form, je nach eigener Präferenz, zur Verfügung zu stellen, ist nun etwa Halbzeit im Projekt. Das bedeutet, dass der Liedausschuss, der gut 20 Mitglieder hat, mehrere tausend Lieder gesichtet und nach einem intern entwickelten Verfahren bewertet hat, sodass im Laufe dieses Jahres eine erste Liederliste vorhanden sein wird. Der Textausschuss hat bei der Auswahl eine radikale Nutzer*innenorientierung für den Gottesdienst zu Grunde gelegt. Bei der Auswahl der Bekenntnisse bedeutet das z.B., dass im Buch nur noch die zentralen Glaubensbekenntnisse vorkommen werden. Eine größere Auswahl findet sich dann digital. Einfache Andachts- und Gottesdienstformulare wurden miteinander entwickelt und intern bereits erprobt, die weniger die agendarischen Gottesdienste im Blick haben – dafür gibt es Agenden – sondern die Befähigung aller Nutzer*innen des Gesangbuches, Andachten zu gestalten.

Der Ausschuss „Digitales“ steht nach der Erstellung eines Anforderungskatalogs und den Vorbereitungen zur Klärung von Rechtsfragen unmittelbar vor der Aufgabe, konkrete Angebote zu sichten, Machbarkeiten zu klären und die Produktentwicklung dann entsprechend zu begleiten. Dass das digitale und analoge Gesangbuch gut miteinander verzahnt und dennoch je für sich nutzbar sind, ist Aufgabe des Ausschusses für Konzeption und Gestaltung. Hier wurde im letzten Jahr bereits das Logo entwickelt und an der grafischen Gestaltung der Seiten gearbeitet sowie ein Konzept für die Gestaltung der verschiedenen Kapitel entwickelt, das nun mit Inhalten gefüllt werden kann.

Digitales und analoges Gesangbuch sollen gut miteinander verzahnt und dennoch je für sich nutzbar sein.

Neu, im Vergleich zum jetzigen Gesangbuch – es hat so etwas allerdings in der langen Gesangbuchgeschichte durchaus schon gegeben –, wird sein, dass am Ende kein langer Textteil mehr stehen wird, sondern sämtliche Texte jeweils thematisch in die Kapitel eingeordnet werden, so dass eher ein magazinhafter Charakter entsteht, der beispielsweise beim Durchblättern des Kapitels Taufe, Lieder, Gebete, Bekenntnis und theologische Kurzerklärungen und Impulse zur eigenen Tauferinnerung zusammenbringt. Um solche Ideen gut zu vermitteln und Lieder und Texte mit mehr Leben zu füllen, arbeitet der Ausschuss für Singvermittlung derzeit an einer Austauschplattform für das evangelische Singen und das Gesangbuch. Hier werden ab 2025 etliche kreative Angebote zur Verfügung gestellt werden. Im Hintergrund steht die Idee, dass das schönste Gesangbuch nichts nützt, wenn keiner singt. In diesem Sinne wird die Plattform für alle Aktiven im Bereich Gottesdienst und Kirchenmusik hoffentlich so etwas wie das Herz der Gesangbucharbeit werden – immer pulsierend, mit neuen Gedanken versorgend und lebendig.

Anfragen an den Prozess

Viele fragen sich heute, ob der ganze Gesangbuchprozess nicht schneller und einfacher gehen könnte. Diese Frage ist berechtigt. Es hätte sicher kleinere Projektmodelle gegeben. Die EKD hat sich aber dafür entschieden, für das meistgenutzte Buch in unseren Gemeinden neben der Bibel Zeit und Geld zu investieren, damit es weiterhin ein viel genutztes Buch bleibt. Dazu gehörte die recht mutige Entscheidung für einen agilen Prozess aller Landeskirchen und Österreich miteinander. So können Entscheidungen unmittelbar durch Beteiligte in die Landeskirchen hineingetragen werden. Das lässt sich nicht immer so umsetzen, wie es in der Struktur angelegt ist. Grund ist sicher die Vielfalt der Aufgaben in allen Bereichen und die eben doch begrenzte Zeit, die zur Verfügung steht.

Zur Frage der Beschleunigung eines solchen Prozesses gehört ebenfalls die Feststellung, dass sich letztlich hinter jedem Schritt größere Aufgaben verbergen, als zunächst vermutet. Ein digitales Gesangbuch z.B. urheberrechtlich korrekt anzubieten und dabei für die Nutzer*innen bezahlbar zu bleiben, stellt sich bei allen so selbstverständlich scheinenden technischen Möglichkeiten als Herausforderung dar – auch wenn wir sehr dankbar sind, dass mit der App „Cantico“ schon vieles getestet werden konnte. Das so normal erscheinende Dünndruckpapier wird nur an wenigen Orten in Europa hergestellt und bedruckt, so dass eine langfristige Planung nötig ist. Um finanziell und ökologisch nachhaltig zu agieren und nur die Menge Papier zu bestellen, die auch wirklich nötig ist, ist nicht nur ein fertiges Manuskript nötig, sondern letztlich auch die verbindliche Bestellung des Buches durch die Gemeinden. Die unzähligen Testdrucke, wie es sie zu Beginn der 90er Jahre gab, wird es nicht mehr geben können. Die von uns beauftragten Grafiker sagten dazu einmal: Denken Sie immer daran, dass für die Startauflage des Gotteslobs, immerhin 800 LKW Ladungen Papier nötig waren. Solche Zahlen verdeutlichen, um welche Ressourcendimensionen es rein praktisch manches Mal in dieser Arbeit geht.

Ohne das Engagement der Kommission und insbesondere das der Ausschussvorsitzenden, wäre ein solches Projekt überhaupt nicht vorstellbar. Dass es so ein hohes Engagement gibt, verdankt sich letztlich der Tatsache, dass hier Menschen zusammengekommen sind, die der festen Überzeugung sind, dass Glaube ohne Singen und gemeinsames Beten nicht vorstellbar wäre und dass wir dafür gute Materialien brauchen, die den Glauben unserer Zeit zum Klingen bringen können, in den Gottesdiensten verschiedenster Formen und auch im persönlichen Lesen, Singen und Beten.

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