Stichwort: Visuelle Musik Kann man Bilder hören?

Kann man Bilder hören? Und Klänge sehen? Mit diesen Fragen befassten sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts Bildende Künstler wie Wassily Kandinsky und Paul Klee.

Auch der Komponist Alexander Skrjabin, der sich selbst als Synästhet bezeichnete, betrachtete Musik und Malerei als einander verwandte Künste: Skrjabin schrieb für seine Komposition Promethée. Le Poème du feu eigens ein Farbenklavier vor. Analogiebildungen zwischen den Künsten gab es am Beginn der Moderne viele. Sie führten zur Idee einer „Visuellen Musik“: Der britische Maler und Kunstkritiker Roger Fry prägte den Begriff Anfang der 1910er Jahre für die abstrakten Bilder Kandinskys, allen voran das Gemälde Improvisation 30, das auf Fry wie ein optischer Soundtrack wirkte.

Das Epizentrum von „Visueller Musik“ war also nicht die Klang-, sondern die Bildende Kunst, genauer die abstrakte Malerei. Dann kam der Film dazu: Anfang der 1920er Jahre ist das Genre des abstrakten, oder absoluten Films begründet worden, zu dessen Protagonisten Walter Ruttmann (Lichtspiel-Opus I, 1921) und Oskar Fischinger (Studien, 1929–34) zählen. In den abstrakten Filmen werden die Bilder aus geometrischen Formen und Farben zu einer unterlegten Musik gestaltet. Vor allem Oskar Fischinger zielte mit seinen absoluten Filmen auf eine Synthese von Musik und Bild, indem die bewegten Bilder sich am Rhythmus der Musik orientieren sollten. Die Musik war für Fischinger keine Begleitung, sondern Taktgeber für die Filmbilder. Eine Synchronisation von Bild und Musik im Film sollte in erster Linie emotionale Wahrnehmungen hervorrufen: Musiksehen und Bilderhören wurden zusammen gedacht, um die Wirkung des Musikhörens zu intensivieren. Daher wurden die Filme als „visuelle Sinfonien“ oder „Augenmusik“ betitelt. Neben neu komponierten Musikstücken fanden ›populäre‹ Werke der klassischen Musik Verwendung, z.B. Brahms’ Ungarische Tänze, Mozarts Rondo alla turca oder Auszüge aus Wagners Tannhäuser. Heute gelten diese Kurzfilme zu Musik als Avantgarde-Filme im Geist der abstrakten Malerei, aber auch als Vorläufer der modernen Musikvideos.

Aktuelle digitale Formate der „Visuellen Musik“ knüpfen daran an und wollen oft auch klassische Musik vermitteln. Künstler wie Stephen Malinowski, dessen Videos auf YouTube millionenfache Klickzahlen erreichen (siehe untenstehender Link), adressieren bewusst ein interessiertes Publikum, das nicht Noten lesen kann. Malinowski hat eine Software entwickelt, mit der Klänge in geometrische Formen übersetzt werden. Anders als im abstrakten Film sind seine Videos an Musiknotation angelehnt und gehen weniger frei mit dem abstrakten Formenmaterial um: Jedem Ton ist eine geometrische Form zugeordnet, und auch der Rhythmus wird bildhaft dargestellt. Insofern kann man in seinen Videos tatsächlich Bilder hören und umgekehrt Klänge sehen. What you get is what you see. Ain’t nothing more to it.

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