Geheimdienste außer Kontrolle? Ein Bericht aus dem NSA-Untersuchungsausschuss

Die so genannte NSA-Affäre hat gezeigt, dass die totale Überwachung der Zivilbevölkerung und eine völlig entgrenzte Spionage durch Geheimdienste heute bereits traurige Realität ist. Konstantin von Notz, Grünen-Obmann im NSA-Untersuchungsausschuss, berichtet über die immer wieder sabotierte Aufklärungsarbeit und die Notwendigkeit von Reformen.

Im Sommer 2013 lüftete Edward Snowden einen Teil des Schleiers, der jahrelang still und verborgen über einem weltweiten Überwachungssystem der USA und einiger ihrer Verbündeten gelegen hatte. Die deutsche Bundesregierung reagierte darauf vermeintlich erstaunt. Zunächst versuchte man eigene Erkenntnisse oder gar Beteiligungen an dem System abzustreiten. Als bekannt wurde, dass auch das Handy der Kanzlerin abgehört worden war, stilisierte man sich gar zum Opfer. Man suggerierte, selbst stets im Rahmen des geltenden Rechts zu agieren, das Grundrechte hervorragend schütze. Der Kanzlerinnen-Ausspruch: „Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht“ klang zunächst aufrecht und entwickelte sich erst später zu einem Bumerang für Dienste und Kanzleramt.

Ein Untersuchungsausschuss soll für Aufklärung sorgen

Angesichts der von einer Reihe engagierter Journalistinnen und Journalisten veröffentlichten Dokumente waren die Aussagen der Bundesregierung jedoch von Anfang an wenig glaubhaft. Die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundestages, der nicht nur die Aktivitäten der sogenannten „Five-Eyes“-Staaten, sondern auch die der eigenen Geheimdienste beleuchtet, war deshalb unausweichlich.

Die Arbeit des Ausschusses begann mit einem gutachterlichen Blick auf die Praktiken deutscher Dienste und die Rechtslage. Das einhellige Urteil der Staatsrechtler Hoffmann-Riem, Papier und Bäcker fiel verheerend aus: Sie wiesen in überraschender Deutlichkeit auf eklatante Schutzlücken im geltenden Recht hin. Dabei hoben sie vor allem den mangelnden Grundrechtsschutz im Artikel 10 – sowie im BND-Gesetz hervor. Unisono betonten sie, die aus der Verfassung abzuleitende Pflicht des Staates, die Bürger vor Verletzungen ihrer Freiheitsrechte zu schützen und einen effektiven Schutz unserer digitalen Infrastrukturen sicherzustellen.

Beteiligung und Vertuschungsversuche der deutschen Regierung

Dieser Verpflichtung verweigert sich die Bundesregierung bis heute. Zudem behindert sie die Aufklärung durch das Parlament mit allen Mitteln. Dennoch konnte der Ausschuss zahlreiche wichtige Erkenntnisse gewinnen. So wurde dem BND eine weitreichende Kooperation mit amerikanischen und britischen Diensten nachgewiesen. Im Tausch gegen die begehrte Überwachungstechnik der NSA gewährte man Zugriff auf Daten aus deutschen Netzen und bei deutschen Netzbetreibern.

Die Bundesregierung wusste sehr genau um diese rechtswidrigen Praktiken ausländischer und deutscher Dienste. Man tolerierte diese nicht nur jahrelang, sondern trieb sie aktiv voran, zum Beispiel durch das Ausstellen höchst fragwürdiger „Freibriefe” des Kanzleramts. Mit ihnen wurden aufkeimende, rechtliche Bedenken bezüglich weitreichender Datenabgriffe ohne ausreichende Rechtsgrundlage ausgeräumt. Bundeskanzleramt und Dienste informierten selbst die zuständigen parlamentarischen Kontrollgremien, das wissen wir heute, jahrelang bewusst nicht bzw. falsch und sabotierten auf diesem Weg die verfassungsrechtlich verankerte demokratische Kontrolle.

Das Beispiel der Selektoren-Listen

Offensichtlich wurde dies beispielsweise angesichts der Diskussion um den Einsatz der sogenannten „Selektoren” – BND-eigener und von US-Diensten eingespeister Suchbegriffe, um die erfassten, gigantischen Datenmengen zu durchrastern. Nicht nur die USA setzten massenhaft missbräuchliche Selektoren ein, die angeblich von deutscher Seite trotz zahlreicher Hinweise niemals ordentlich geprüft bzw. weitergemeldet wurden. Die Hinweise darauf, dass auch der BND eigene Selektoren rechtswidrig einsetze, verdichteten sich.

Der Ausschuss kann dem Missbrauch bis heute nicht vollständig auf den Grund gehen, da ihm der Einblick in die entsprechenden Listen vom Kanzleramt weiterhin verwehrt wird. Allein eine von der Bundesregierung eingesetzte und nur von den Koalitionsfraktionen mitgetragene Vertrauensperson durfte die Listen einsehen. Eine effektive, unabhängige parlamentarische Kontrolle wird so vorsätzlich verunmöglicht. Gemeinsam wehrt sich die Opposition derzeit vor dem Bundesverfassungsgericht gegen diese Entmachtung des Bundestages und die Vorenthaltung originärer parlamentarischer Kontrollrechte.

Die Arbeit des NSA-Ausschusses wird systematisch sabotiert

Die Selektoren-Listen sind jedoch nur ein Beispiel für das anhaltende Hintertreiben der parlamentarischen Aufklärung durch die Bundesregierung. Ganze, klar unter den – interfraktionell beschlossenen – Untersuchungsauftrag zu subsumierende Bereiche können von den Abgeordneten bislang nicht untersucht werden. So wissen wir zwar, dass die Kooperation zwischen BND und amerikanischen Nachrichtendiensten weit über das bislang bekannte Maß hinausgeht. Oftmals erfahren jedoch auch wir Parlamentarier von immer neuen Enthüllungen erst aus den Medien.

Die Zusammenarbeit von BND und US-Nachrichtendiensten geht weit über das bekannte Maß hinaus.

Die Existenz verschiedener Operationen konnte der Untersuchungsausschuss bislang nicht bestätigen, da ihm der ordentliche Zugang zu den entsprechenden Akten vorenthalten wird. Allein den Obleuten und dem Vorsitzenden des Ausschusses wurde eine partielle Einsichtnahme vereinzelter Akten in den Räumen des Bundeskanzleramtes eingeräumt. Über deren Inhalte darf grundsätzlich jedoch nicht gesprochen werden – mit niemandem!

Die Frage, wie eine reguläre Arbeit des Gremiums und effektive Aufklärung  stattfinden kann, wenn nicht einmal alle Mitglieder des Ausschusses auf gleichem Kenntnisstand sind, beantwortet die Bundesregierung bis heute nicht. Zweifelhaft bleibt, wie unter diesen Umständen ein ordnungsgemäßer Abschlussbericht entstehen soll. Dieses äußerst bizarre und rechtlich nicht gedeckte Vorgehen steht in einer Reihe von Versuchen von Bundesregierung und Regierungsfraktionen, den Untersuchungsausschuss mit allen noch so abstrusen Mitteln an seiner Aufklärungsarbeit zu hindern.

Schlüsselfigur: Edward Snowden

Ein weiteres Beispiel ist die bislang hintertriebene Zeugenvernehmung Edward Snowdens, der zweifelsohne eine Schlüsselfigur der Affäre bleibt. Klar ist: Für die Erfüllung des Untersuchungsauftrages wäre seine Aussage von zentraler Bedeutung. Als Geheimdienst-Insider könnte er das veröffentlichte Material und Erkenntnisse aus mehreren hunderttausend Seiten Akten in die ihm bekannte Praxis einordnen und dem Ausschuss zu wichtigen Erkenntnissen verhelfen. An seiner Glaubwürdigkeit besteht kein Zweifel. Mittlerweile bestreitet nicht einmal mehr die Bundesregierung die Authentizität der veröffentlichten Dokumente. Dennoch weigert sie sich bis zum heutigen Zeitpunkt, die rechtlichen Voraussetzungen für eine Vernehmung in Berlin zu schaffen.

Die Opposition klagt auch hiergegen vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Verfassungsgericht deklarierte diesen Antragsgegenstand jedoch zu einer reinen Verfahrensfrage, für die es nicht zuständig sei. Mit dieser Haltung wendet sich das Gericht von seiner bisher minderheitenfreundlichen Rechtsprechung ab – bedauerlicherweise.

Welche Akten sagen die Wahrheit?

Die Bedeutung einer Vernehmung Snowdens wird auch angesichts einer möglichen Akteneinsicht heute von niemandem ernsthaft mehr bestritten. Denn strukturelle Probleme beim Aktenzugang relativieren derzeit die grundsätzlich richtige Weisheit „Die Wahrheit liegt in den Akten“: Der Ausschuss erhält bis heute jedoch weder die BND-Akten noch alle Akten des Verfassungsschutzes im Original. Stattdessen legt die Regierung den Mitgliedern eine eigens für sie erstellte Kollektion von Akten vor. Diese wird übrigens von den in den Akten agierenden Personen zusammengestellt, also von denjenigen, die die Konsequenzen von Rechtsbruch und Versagen zu tragen hätten.

Welche Akten dem Ausschuss zur Verfügung stehen, bestimmen die, die etwas zu vertuschen haben könnten.

Dienste und Regierung scheinen so bestimmen zu wollen, was untersuchungsgegenständlich ist und was nicht. Auch diese Praxis steht im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Danach soll sich ein Untersuchungsausschuss grundsätzlich auf Basis vollständiger Akten ein selbstständiges Bild vom Untersuchungsgegenstand machen können. Der Ausschuss erhält jedoch ganz überwiegend nur solche Akten, aus denen unzählige Seiten herausgenommen oder großflächig geschwärzt wurden. Die Begründungen hierfür beschränken sich meist auf pauschale, unüberprüfbare Verweise. So wird an Tausenden Stellen lapidar auf das Staatswohl, die zu schützende Methodik der Nachrichtendienste, eigene Definitionen der Untersuchungsgegenständlichkeit und andere Gründe verwiesen, um dem parlamentarischen Gremium die Kenntnisnahme zu verweigern. Die Bundesregierung entzieht sich so vorsätzlich ihrer verfassungsrechtlichen Darlegungslast.

Die Geheimdienste sägen an dem Ast, auf dem sie selbst sitzen

Die Legitimation geheimdienstlicher Tätigkeit in Rechtsstaaten besteht in einer engen rechtsstaatlichen Bindung durch gesetzliche Aufgabenbeschränkung und eine effektive parlamentarische Kontrolle. Wenn aber die Dienste Rechtsbindung und Kontrolle hintertreiben und sabotieren, sägen sie an dem rechtsstaatlichen Ast, der ihre Existenz begründet. Ein Parlament, das sich das gefallen ließe, würde nicht nur sich selbst delegitimieren, es würde auch einer Erosion des Vertrauens des Souveräns in Rechtsstaatlichkeit Vorschub leisten.

Den unverhohlenen Versuchen der Bundesregierung, ganze Bereiche exekutiven Handels aus Vergangenheit und Gegenwart der parlamentarischen Kontrolle komplett zu entziehen, gilt es sich deshalb auch weiterhin mit aller Entschlossenheit entgegenzustellen. Dies muss in dem Bewusstsein geschehen, dass die hier geschilderten geheimdienstlichen Tätigkeiten eben nur einen Aspekt der heutigen Gefährdung unserer informationellen Selbstbestimmung darstellen.

Der Staat sollte mit gutem Beispiel vorangehen

Die informationelle Selbstbestimmung ist kein Relikt des vergangenen Jahrtausends, sondern essentiell zur Wahrung unserer Freiheit in der Zukunft. Statt sie in Frage zu stellen, müssen wir sie dringend ausbauen. Der Staat selbst muss mit gutem Beispiel vorangehen. Er darf eben nicht all das machen, was heute technisch möglich ist. Es ist bigott, mit dem Finger auf datensammelnde US-Geheimdienste und Unternehmen zu zeigen, gleichzeitig aber die Befugnisse der völlig enthemmt überwachenden eigenen Geheimdienste nicht einzuhegen. Wir müssen die parlamentarische Kontrolle verbessern und uns endlich vom System der anlasslosen Massenüberwachung und -rasterungen verabschieden.

Insgesamt müssen wir endlich verstehen, welche Bedeutung dem Grundrechtsschutz der Menschen im digitalen Zeitalter zukommt. Wir müssen verstehen, dass die Errungenschaften, die uns Internet und Digitalisierung bringen, nur genutzt werden, wenn die Menschen der eingesetzten Technik auch tatsächlich vertrauen können. Hier liegt noch ein weiter Weg vor uns. Diesen zu gehen ist für Rechtsstaaten alternativlos.

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