Weltmacht Religion Ein neuer Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit

Weltreligionen sind Weltmächte im wörtlichen Sinne: durch ihre globale Verbreitung und ihre massive Wirkung für das Denken und Handeln von Menschen. Mehr und mehr beeinflusst diese Erkenntnis auch die deutsche Entwicklungspolitik. Ein Insider-Bericht aus dem zuständigen Ministerium.

Das Reformationsjubiläum und der Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin rufen das Thema Religion(en) in diesem Jahr besonders in Erinnerung. Ansonsten wird im eher stark säkularisierten Europa oft vergessen, dass wir in einer religiös geprägten Welt leben. Religion beeinflusst das Denken und Handeln der meisten Menschen auf diesem Planeten – die Weltreligionen sind tatsächlich und im ganz wörtlichen Sinne eine „Weltmacht“. Und sie werden weiter an Bedeutung zunehmen: Für 2020 wird ein globaler Anstieg des Anteils von Menschen mit religiöser Identität von heute 80 auf dann 90 Prozent prognostiziert (Pew Foundation, 2015).

Vertrauen in religiöse Institutionen

In der Entwicklungszusammenarbeit mit unseren Partnern weltweit beobachten wir häufig, dass Religionsvertreter in vielen Entwicklungsländern sogar ein deutlich höheres Vertrauen genießen als der Staat. Beispiel Nigeria (World Values Survey, 2014): Dort sagen 97 Prozent der Menschen, dass ihnen Religion wichtig ist. 91 Prozent bringen religiösen Einrichtungen großes Vertrauen entgegen. Hilfsorganisationen kommen auf einen Wert von 62 Prozent, aber die nationale Regierung lediglich auf 38 Prozent. Nicht nur hier haben wir erkennen müssen: Die Bedeutung von Dialogprozessen zwischen den Religionen in Nigeria ist für das gesamte Land und das friedliche Miteinander entscheidend. Erst durch die Diskussion über das jeweilige Friedensverständnis von Christen und Muslimen konnte die Toleranz für den Anderen gestärkt werden. In einer gemeinsam verfassten Schrift wurde das Verbindende unterstrichen und in die Gemeinden getragen.

Wichtiger Beitrag für das gesellschaftliche Miteinander

Aus dem Glauben ziehen viele Menschen nicht nur Kraft für ihr eigenes Leben – er hilft ihnen auch, die Welt, das gesellschaftliche Miteinander, die Mitmenschen und sich selbst zu verstehen. Und es sind vor allem die Religionsgemeinschaften, die sich den Armen und Marginalisierten in besonderer Weise zuwenden. In vielen Ländern wären eine Gesundheitsversorgung oder ein Bildungssystem ohne den Beitrag von Religionsgemeinschaften undenkbar. Auch in akuten Krisen helfen religiöse Akteure. Durch ihre lokalen Netzwerke gehören sie zu den Ersthelfern, die nicht nur ihre Sakralbauten in Flüchtlingsheime oder Lazarette umbauen, sondern erhebliche finanzielle Mittel mobilisieren.

Es geht nicht ohne die Religionen

Daraus konnten wir für unsere Entwicklungszusammenarbeit nur eine ebenso logische wie zwangsläufige Schlussfolgerung ziehen: Wenn wir in Europa, als Staatengemeinschaft und weltweit die globalen Herausforderungen gemeinsam angehen und bewältigen wollen – und nichts Geringeres (er-)fordern die Sustainable Development Goals bis 2030 (vgl. evangelische aspekte 1/2017) – wird das nicht ohne die Religionen gehen. Wir müssen uns also zum einen der Frage stellen, welchen Beitrag die Religionen zu nachhaltiger Entwicklung und Frieden leisten können. Und zum anderen: Wie wir mit der ambivalenten Rolle – mit dem positiven und negativen Potential von Religion – umgehen.

Ambivalenz der religiösen Prägungen

Denn Religionen handeln nicht nur segensreich: Menschen werden vielerorts zu Geiseln religiös motivierter Gewalttaten. Der Terror des sogenannten Islamischen Staates, von Boko Haram und der Lord’s Resistance Army oder die religiös begründete Unterdrückung und systematische Verletzung der Rechte von Frauen und Minderheiten verdeutlicht besonders grausam, dass Religion häufig auch zur Legitimation von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen missbraucht wird.

Oft liegen positive und negative Potenziale dicht beieinander: Religion kann identitätsstiftend wirken und Menschen zusammenbringen – sie kann aber auch andere Menschen ausgrenzen. Religiöse Autoritäten können Brandlöscher in Konflikten sein – aber auch Brandbeschleuniger. Religionsgemeinschaften können Verfolgte sein – aber auch Verfolgende. Um Extremisten, Rassismus und Diskriminierungen den Nährboden zu entziehen, wollen wir deshalb die positive Kraft der Religionen für ein friedliches Zusammenleben nutzen und gemeinsame, grundlegende Werte identifizieren. Wenn wir etwas verändern wollen, müssen wir mit denen zusammen arbeiten, die Einfluss auf das Denken und Handeln der Menschen haben.

Der neue Ansatz

Mit der strategischen Zusammenarbeit mit Religionen als Partnern in der Entwicklungszusammenarbeit betrat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung erstmalig im Ressortkreis neues Terrain. Wir haben zunächst ein nationales Thementeam als Beratungsgremium aufgebaut und das Thema durch eine neue Dialogreihe „Religion matters“ sowie die internationale Konferenz „Partner für den Wandel – Beitrag der Religionen zur Agenda 2030“ im Februar des vergangenen Jahres im politischen Dialog verankert. Kurz darauf wurde die erste „Religionsstrategie“ in der Geschichte des BMZ vorgestellt. Und wir wagten auch den internationalen Schritt: Gemeinsam mit wichtigen Gebern, multilateralen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen haben wir die „International Partnership on Religion and Sustainable Development“, kurz: PaRD, gegründet, die inzwischen 50 Mitgliedsorganisationen umfasst. Im letzten Monat haben wir dort eine neue Plattform zum Thema Gleichstellung der Geschlechter ins Leben gerufen. Ziel ist die gezielte Förderung von Menschen, die sich seit Jahren innerhalb ihrer Religionsgemeinschaften für Frauen stark machen.

Umsetzung in sieben Pilotvorhaben

Nach der Veröffentlichung zahlreicher Publikationen stehen wir aktuell vor der Umsetzung der Religionsstrategie durch sieben Pilotvorhaben im Rahmen unserer bilateralen Entwicklungszusammenarbeit, die sich auf die Länder Burundi, Jordanien, Tansania, die Zentralafrikanische Republik, Nigeria, Nordirak und die Afrikanische Union konzentrieren. Wir unterstützen z.B. die Afrikanische Union bei der Umsetzung ihrer Strategie zur Bekämpfung von religiösem Extremismus. Da tauschen sich junge Aktivistinnen und Aktivisten aus Afrika und Europa über Gründe aus, weshalb islamistische Gruppierungen oft so anziehend wirken. Und natürlich wird da auch kritisch über religiöse Inhalte diskutiert.

Es geht nicht ohne Verständigung über Werte

Unser neuer Ansatz, die Resonanz darauf und erste Erfahrungen zeigen: Viele globale Herausforderungen sind nicht bzw. nicht ausschließlich technischer oder struktureller Natur. Sie haben etwas mit den dahinter liegenden Wertevorstellungen bzw. Wertekonflikten zu tun. Die Verständigung darüber, in was für einer Welt wir leben möchten und an welchen Werten wir und andere sich orientieren, ist kein Randthema, sondern Kern der Debatte um nachhaltige Entwicklung.

Nur wenn wir auch mit denen sprechen, die die „westlichen Werte“ kritisieren, sind wir selbst fähig, die Probleme der Zukunft anzugehen und diese gemeinsam zu lösen. Nicht der Dialog ist die Gefahr, sondern die Verweigerung des Dialogs. Menschenwürde, Empathie, Toleranz, Gleichberechtigung und ein Leben in Freiheit sind dabei die Themen, die den Religionen der Welt wichtig sind. Sie finden sich in der Goldenen Regel wieder. Unsere Religionsstrategie denkt und handelt dialogisch – partnerschaftlich eben.

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