Gebet und Hit eines Jahrtausends Zur Wirkungsgeschichte des Sonnengesangs in Literatur, Musik, Film und Bildender Kunst

nacque al mondo un sole – zur Welt kam eine Sonne
Dante, Paradiso XI 50

Der Sonnengesang des Franz von Assisi hat Schriftsteller und andere Künstler über Jahrhunderte hinweg zu eigenen Werken inspiriert. Übersetzungen, Nachdichtungen und vielfältige Bezugnahmen zeugen von der Faszinationskraft der Heiligenfigur und der Wirkmächtigkeit seiner Dichtung. Charakteristische Beispiele für die vielfältigen Adaptionen dieses einzigartigen Textes seien hier vorgestellt.

» Deutscher Text des Sonnengesangs

In seinem Lob auf Franz von Assisi (er nennt die Stadt „Ascesi” und versteht das als Sonnenaufgangsrichtung) assoziiert Dante Franziskus mit dem Sonnenlicht und spielt so auf den Sonnengesang an, das Schöpfungslobgebet, das den heute omnipräsenten Ruhm des Heiligen begründet und mitträgt. Franziskus – Licht aus Assisi hieß eine große Ausstellung in Paderborn (2011/12). Auch etwa Rilke verbindet unseren Heiligen mit dem Lichtmotiv. Im letzten Gedicht des Stundenbuchs (1905) heißt es über Franz: „Er kam aus Licht zu immer tieferm Lichte” – im Schlussvers erscheint Franziskus dann als „der Armut großer Abendstern”.

Der Sonnengesang des Franzikus ist Vorbild und Ausgangspunkt für eine eigene literarische Gattung: die Lauden, geistliche Lob-, aber auch Bußlieder, die in Italien um 1300 gepflegt wurden. Mit seinem Sonnengesang hat Franziskus auch moderne Dichter beeindruckt und beeinflusst, etwa Gabriele D ‘Annunzio, der in seinem Garten, dem Vittoriale am Gardasee, eine Franziskusstatue aufgestellt hat. Er ist einer der Franziskusschwärmer des späten 19. und 20. Jahrhunderts, zu denen in der deutschen Literatur neben Rilke vor allem Hermann Hesse gehört. 1904 widmete er Franz von Assisi ein Büchlein und übersetzt den Sonnengesang in ansprechend treuer Weise. Sein Romantitelheld Peter Camenzind (1904) verehrt den Heiligen – „Meine fast verliebte Vorliebe für den heiligen Franz von Assisi” (Kapitel IV) – und sublimiert sein Alkoholproblem zu einer Zusatzstrophe zum Sonnengesang. Der Romanheld „schloss zwischen Trieb und Gewissen einen halb ernsten, halb scherzhaften Vertrag. Ich nahm in den Lobgesang des Heiligen von Assisi  ‚meinen lieben Bruder, den Wein‘ mit auf“ (Schluss von Kapitel V).

Lyrische Neufassungen des Sonnengesangs

Angesichts der Vielzahl von Übersetzungen im 20. Jahrhundert sei daran erinnert, dass der Sonnengesang um 1820 erstmalig ins Deutsche übertragen wurde. Die ersten Übersetzer sind wohl zwei prononciert katholisch-ultramontane Literaten, Joseph Görres (1776–1848) und Johann Friedrich Heinrich Schlosser (1780–1831), aber auch ein evangelischer Theologe, Ludwig Theobul Kosegarten (1758–1818), mithin ein ökumenischer Einsatz der Übersetzungsgeschichte. Da Letztgenannter 1818 in Greifswald starb, scheint seine wohl 1824 gedruckte Übersetzung die erste zu sein. Schon 1804 hatte Kosegarten sein legendenhaftes Gedicht „Franziskus von Assisi“ publiziert, wo er auf den Sonnengesang anspielt:

Sonn ‘ und Mond und alle hellen Sterne
Lud er ein zu Gottes Lieb ‘ und Lobe;
Feu ‘r und Wasser, Baum und Blum ‘ und Vöglein
Nannt ‘ er seine Brüder, seine Schwestern,

(… aus Legenden, Berlin 1804, zitiert nach A. Groeteken, Die goldene Legende, Mönchen-Gladbach 1912, S. 52).

Während Schlosser (1842, vielleicht schon 1825) und Görres recht wörtlich übersetzen, schreibt Kosegarten eine freie hymnische Bearbeitung. Dem achtfachen „Laudato si“ („Gelobt seist du“) des Originals entspricht hier neunmaliges „Gelobt sey“. Zitiert seien der Anfang und die Verse 20 bis 25.

Gelobt sey Gott der Herr, der Herrliche,
Der Höchst ‘ und Größt ‘ und Schönste. Sein allein
Ist Reich und Macht und Herrlichkeit. (…)
Gelobt sey Gott der Herr, der Herrliche,
Um unsre Brüder, um die mächt ‘gen Vier,
Die Heldischen, die Allbesiegenden,
Feu ‘r, Wasser, Luft und Erde. Lustig ist
Das Feuer, keusch das Wasser, scharf die Luft,
Die Erde gabenvoll und gebensfroh.

Hier fasst Kosegarten in sechs Versen die vier den Elementen gewidmeten Versgruppen (Laissen) zusammen, die das mittlere Drittel des Sonnengesangs (Vers 12–22) bilden. Daran lässt sich wohl ablesen, dass er den Aufbau des Originals erkannt hat. Im ersten Drittel des Sonnengesangs folgen auf die einleitende Anrufung Gottes die Sonnenlaisse und die den anderen Gestirnen gewidmete. Das letzte Drittel wendet sich dem Menschen zu. Frei erfunden sind bei Kosegarten die sieben auf die zitierten folgenden Verse, in denen der Dichter-Übersetzer die vier Jahreszeiten Revue passieren lässt. Während der Vogelprediger und Tierfreund Franziskus die Tiere im Sonnengesang gar nicht erwähnt, ergänzt sein Übersetzer in den Versen 38–42:

Gelobt sey Gott der Herr, der Herrliche,
In seinen Kindlein, die mit Zungen ihn,
Mit hellen Kehlen preisen. Nachtigall,
Ihn preisen soll dein schmetternder Gesang,
Ihn preisen, Grille, soll dein schwirrend Lied.

Rafael Alberti: „Der große Bruder in der Malerei“

Das in meinen Augen schönste und interessanteste moderne Gedicht, das sich eng an den Sonnengesang anlehnt, ist ein spanisches  – hier Auszüge mit meiner Übersetzung:

Giotto

Laude, Señor Dios mio,
al hermano pincel. El se ha mojado
de tu divino rostro de rocio
y al fundirle la sangre,
iluminado. (…)
Laude, Señor Dios mio,
al hermano color, a los colores
al fraternal violeta,
al verde, al blanco, al rojo, al amarillo,
al negro, al oro, al rosa
y al que es lengua pintando tus loores
cuando se eleva airosa
a humilde, a pobrecillo
päjaro fiel mi mano: (…)
el claro azul, el buen añil hermano. (…)
Laude, Señor Dios mio,
porque me armaste dulce, carinoso,
y en una edad oscura
me concediste el habito glorioso
del hermano mayor de la Pintura.

Lob sei, Gott mein Herr,
dem Bruder Pinsel, befeuchtet
vom Tau deines göttlichen Gesichts,
vermischt mit Blut, das leuchtet.
Lob sei, Gott mein Herr,
dem Bruder Farbe, allen Farben:
dem brüderlichen Violett,
dem Grün, dem Weiß, dem Rot, dem Gelb,
dem Schwarz, dem Gold, dem Rosa,
und jener Farbe, Zunge deines Lobs
aus meiner Hand, so hoch erhoben,
ein demütig-armer
Vogel der Lüfte:
Das klare Blau, der gute Bruder Indigo.
Lob sei, Gott mein Herr,
dir selbst, da du mich schufst so mild und liebend,
in einer dunklen Zeit
verliehst du mir die Ehrenkutte
des ersten Bruders in der Malerei.

Das Gedicht Rafael Albertis (1902–1999) aus seinem Malereizyklus A la pintura (1948) passt zum Sonnengesang, weil Giotto die Oberkirche von San Francesco in Assisi ausgemalt hat. Alberti hatte einen Teil der Francozeit im italienischen Exil verbracht. Wie das Vorbild beginnt er mit Gotteslob.

Als Geschwister gelobt wird das Arbeitsmaterial des Malers, vom Pinsel ausgehend (V. 2), getaucht in göttlichen Schweißtau und in das Blut des höchsten Inspirators seiner Kunst. Die ausgelassene zweite Versgruppe evoziert die zu freskierende Wand und deren Putz. Die ebenfalls übersprungene dritte widmet sich Stift, Feder und Schwester Licht. Auf Mensch und Architektur (Versgruppe IV) folgen die zehn angeführten Farbenverse. Das Violett (V. 22) wird wohl deshalb als erster Bruder herausgestellt, weil es der Haupt- und Zielfarbe Blau (V. 29) nahesteht, als Farbe des Gotteslobs und der Transzendenz – wie auch noch in der Farbsymbolik Kandinskys. Blau ist die in Giottos Fresken dominierende Hintergrundfarbe, etwa in der berühmten Vogelpredigt. Die Verse 23 und 24 zählen rasch sieben Farben auf; „colores” (Farben, V. 21) reimt auf „tus loores” (Lob im Plural, V. 25). Im Schlussbild erhebt sich in luftige („airosa”, V. 26) Höhen die Hand des Malers, als demütiger („humilde“ – man vergleiche das Schlusswort des Sonnengesangs, das mit dessen erstem Wort kontrastiert) und armer („pobrecillo“ entspricht dem italienischen „poverello“, kleiner Armer, verbreiteter Beiname des Heiligen) Vogel, Lieblingstier Franz von Assisis. Auf einem Fresko Giottos erscheint Gottes Hand als Vatersymbol hoch über Francesco, der seine Kleider abgelegt und seinem leiblichen Vater zurückgegeben hat.

In den Schlussversen steht, wie im Sonnengesang, Dank im Vordergrund. Dankbar, aber auch selbstbewusst spricht Giotto als Rollen-Ich: Er durfte, sanft und liebenswert, in der finsteren Epoche des Mittelalters der große Bruder (Gegensatz zu „pobrecillo“) in der Malerei sein.

Heimito von Doderer: „Das Lied von Bruder Sonne“

Beschließen wir die literarischen Beispiele mit dem Hinweis auf einen Prosatext. Erst seit 2009 liegt gedruckt vor, was ein großer österreichischer Autor über Franz von Assisi schrieb, nämlich Heimito von Doderer (1896–1966), unter dem Engeltitel Seraphica. In der Zeit seiner Suche nach der eigenen Berufung zum Schriftsteller schildert er die Berufung des Heiligen. 1925, nach seiner Promotion, besucht Doderer Assisi. Das noch untypisch wirkende Frühwerk des Endzwanzigers lehnt sich eng an alte franziskanische Schriften an. Ein früher Publikationsversuch scheitert. Leitmotivisch erscheinen Sonne, Feuer und Glut als Antriebskräfte und Lieblingselement des Heiligen – bald aber auch die Gefahr der Erkaltung und Erstarrung. 1940 konvertiert Doderer und lässt sich katholisch taufen auf den Namen Franciscus Seraphicus. Sein nicht leicht zugänglicher Text versucht, aus der Musik Kompositions- und Strukturanregungen zu gewinnen. Die folgende Passage dieser Franziskuserzählung bezieht sich auf den Sonnengesang, gesehen als Trost für den kranken Heiligen:

Wenn er aber von schwerer Krankheit befallen wurde, begann er jenes Loblied von den Geschöpfen Gottes zu singen, welches er gemacht hatte; und danach ließ er es seine Gefährten singen, damit er, in Gottes Lob versenkt, seiner Schmerzen und der Bitterkeit seiner Leiden vergesse.

Und da er bedachte und sagte, dass die Sonne schöner sei als die anderen Geschöpfe, und dass sie noch mehr unserem Herrn gleicht, und weil in der Schrift selbst der Herr eine „Sonne der Gerechtigkeit“ genannt wird – so nannte er jenes Loblied auf die Geschöpfe Gottes (da ihn der Herr seines Reiches versichert hatte) „das Lied von Bruder Sonne“.

(Heimito von Doderer, Seraphica (Franziscus von Assisi), Montefal, Zwei Erzählungen aus dem Nachlaß, München: C.H. Beck 2009, S. 32; meine Darlegungen folgen weitgehend dem Nachwort des Herausgebers Martin Brinkmann).

Verfilmungen und Vertonungen

Dass musizierende Engel den kranken Heiligen trösten, wird im Barock mehrfach dargestellt (Beispiele im Ausstellungskatalog Franziskus Licht aus Assisi, München: Hirmer 2001 S. 375f.). Der Sonnengesang wurde gewiss von Anfang an gesungen; einzelne der zahlreichen erhaltenen Handschriften lassen Platz für die Eintragung von Neumen – aber die Urmelodie ist verloren, was der Romancier Julien Green in seinem Buch Bruder Franz (1975, S. 304) emphatisch bedauert: „Was gäben wir darum, hätten wir sie heute“. Von Joseph Görres ab gilt Franziskus, Sohn einer Südfranzösin, als Troubadour Gottes (1826) oder als Spielmann Gottes: Francesco giullare di Dio lautet der Titel des wohl schönsten der zahlreichen Franziskusfilme, zuletzt 2004 mit Mickey Rourke in der Rolle des Heiligen. Heribert Prantl schrieb dazu kurz nach der Wahl von Papst Franziskus in der Süddeutschen Zeitung (16./17.3.2013, S. 2): „Kein Heiligenleben ist so oft verfilmt worden wie seines; am besten von Rossellini. „Gaukler Gottes“ hat der seinen ergreifend schlichten Film über das bettelnde und betende Abenteuer des Mannes genannt, der reich war, sich arm machte und es mit aller Kraft blieb“.

Den Verlust der Urmelodie wollen Komponisten ab Franz Liszt durch Vertonungen des Sonnengesangs ausgleichen.

Den Verlust der Urmelodie wollen Komponisten ab Franz Liszt durch Vertonungen des Sonnengesangs ausgleichen. Solche stammen etwa von Honegger, Hindemith und Carl Orff, sodann von so vielen neueren Komponisten, dass eine CD nicht weniger als vierzehn Vertonungen von Orff ab bündelt: Der Sonnengesang des Franz von Assisi. Vierzehn Interpretationen (TAU – AV-Produktion CH- 6370 Stans TAU 9604, 1996). Moderner musikbezogener Höhepunkt dürfte Olivier Messiaens Oper Saint François d ‘Assise von 1983 sein, für die sich der jüngst verstorbene Opern- und Festspielleiter Gérard Mortier besonders engagiert eingesetzt hat (mit Aufführungen bei den Salzburger Festspielen und bei der Ruhrtriennale). An drei Stellen, einmal in jedem Akt, zitiert Messiaen, der selbst das Libretto geschrieben hat, aus dem Sonnengesang.

Als Abschluss der Musikbeispiele sei die englische Hymne von Henry William Draper (1855–1923) erwähnt, deren deutsche Übersetzung Eingang in das Evangelische Gesangbuch fand (Nr. 514: „Gottes Geschöpfe kommt zuhauf…“), gesungen auf die Melodie eines barocken, katholischen Marienliedes, sodass hier wieder ökumenische Zusammenhänge in den Blick treten. Wie im frei behandelten Sonnengesang selbst ist der Schlussteil dem Menschen und dem Tod gewidmet – in der deutschen Übersetzung allerdings fehlt die Todeslaisse. Vom Wasser heißt es, es musiziere mit.

Hingewiesen sei schließlich noch auf den 1950 geborenen italienischen Liedermacher Angelo Branduardi, der seit dem Heiligen Jahr 2000 immer wieder den Sonnengesang (auch in deutscher Sprache) und andere frühe franziskanische Texte vorträgt. Die 1946 geborene amerikanische Rock- und Popsängerin Patti Smith erklärte nach der Wahl von Papst Franziskus, sie habe dafür gebetet, dass der neue Papst sich den Namen Franziskus gebe – als Nichtkatholikin fuhr sie zu einer Generalaudienz und schüttelte dem Papst die Hand (s. FAZ vom 2.4.2013). In Franco Zeffirellis Musikfilm Brother Sun, Sister Moon (1972) verweisen Titel und Titelsong Donovans (geboren 1946) klar auf den Sonnengesang  und das berühmte Geschwistermotiv. Brüder und Schwestern wechseln sich dort – wie auch im Filmtitel – regelmäßig ab.

Adaptionen in der Bildenden Kunst

Von Cimabue und dem von Alberti bedichteten Giotto ab ist Franz von Assisi ein beliebtes Sujet der Malerei wie der Bildhauerei. Große Maler haben ihn dargestellt, etwa Fra Angelico, Dürer, Caravaggio und Georges de la Tour, Rubens und Rembrandt, die großen spanischen Maler El Greco, Ribalta und Zurbarán und viele andere mehr. Oft wird er mit einem meditationsfördernden Totenkopf abgebildet, sein Hauptattribut aber sind die Wundmale. Dürer und andere stellen die Stigmatisation mit einem sechsflügeligen Seraph dar. Der Sonnengesang spielt in den klassischen Darstellungen seines Autors keine Rolle, was sich erst im 20. Jahrhundert ändert: in Illustrationen zum Text, in Kirchenfenstern  oder Skulpturen mit Sonnengesangszitaten oder dem singend dargestellten Heiligen. Letzteres etwa im israelischen Yafo/Jaffa vor dem Franziskanerkloster Sankt Peter. Klöster des Ordens sind natürlich bevorzugte Aufstellungsorte solcher Kunstwerke. Franziskus ist im Übrigen der berühmteste Heilige, dessen Namen eine Weltstadt (in der spanischen Namensform) trägt:  San Francisco.

Franziskus ist im Übrigen der berühmteste Heilige, dessen Namen eine Weltstadt (in der spanischen Namensform) trägt: San Francisco.

Zur Gegenwart hin werden gewiss prominente Künstlernamen bei diesem Sujet seltener (der Expressionist Schmidt-Rottluff beispielsweise schuf 1919 einen Franziskus-Holzschnitt) – mit einer berühmten Ausnahme, die Hervorhebung verdient: Joan Mirò (1893–1983). 1975, also mit mehr als achtzig Jahren, schuf er eine große exklusive Mappe (eines der 250 Exemplare liegt in der Staatsbibliothek München). Sie bietet zum italienischen Text mit katalanischer Übersetzung ein Vorwort, das Mirò als Anreger des Werkes bezeichnet – übrigens seine einzigen Illustrationen eines literarischen Textes. Die 35 Zeichnungen und Aquatinten beziehen sich konsequent auf den Sonnengesang, Franziskus erscheint nicht. Einsehbar sind die Illustrationen im Gesamtverzeichnis der Druckgraphik Miròs (Miró Engraver, hrsg. von Jacques Dupin, Barcelona 1992, Bd III, S. 175 – 189), eine kleine Wiedergabe des Ganzen scheint es nicht zu geben. Erkennbar sind vier Sonnen, vier Mondsicheln (zwei zu- und zwei abnehmende), Sterne sowie vor allem Elementdarstellungen: Fünf blaue Wassertropfen – überhaupt steht Blau für das Element Wasser, Rot für das Feuer, Grün und wohl Braun für die Erde. Menschen sind nicht erkennbar. Alles in allem eine ebenso reizvolle wie „überraschende kosmische Kalligraphie“, wie es im Vorwort heißt.

Auch moderne Skulpturen dienen der Veranschaulichung des Sonnengesangs: Neun mehr als drei Meter hohe Natursteinskulpturen von Hubert Flörl aus Wörgl bilden mit Texttafeln des Sonnengesangs einen zwei Kilometer langen Besinnungsweg in Oberschönau (Tirol, 2005). Erkennbar ist jeweils der Heilige – sein Kopf umgeben und überragt von Evokationen der Elemente. Auch in der Rhön, an der Thüringer Hütte (Franziskanerkloster Kreuzberg), gibt es einen – auch mit Skulpturen versehenen – Franziskusweg.

Franziskus, ein Jahrtausendheiliger

Als Fazit aus all diesen Wirkungsbeispielen bietet sich ein Zitat an, dem ich auch den Titel dieses Beitrags verdanke. Der bereits zitierte Heribert Prantl schreibt: „Franz von Assisi ist ein Jahrtausendheiliger. (…) Sein Sonnengesang, dieser paradiesische Lobpreis der Schöpfung, ist Gebet und Hit eines Jahrtausends.“

Am Ende stehe ein unerwartetes letztes Wort aus Ernst Jüngers 2013 aus dem Nachlass publizierter Sammlung Letzte Worte (hrsg. Von Jörg Hagenau, Stuttgart: Klett Cotta 2013, S. 48). Aus Lenins letzten Worten wird angeführt: „Wenn wir unser Land, Rußland, hätten retten wollen, hätten wir zehn Männer wie Franz von Assisi gebraucht. Mit zehn solchen Männern hätten wir Rußland retten können.“

Als letztes Wort von Franziskus steht dort (S. 189) ein Zitat aus dem Sonnengesang: „Sei willkommen, Bruder Tod!“

Bibliographischer Hinweis

Siehe vom Verfasser „‘Das schönste Beispiel geistlicher Dichtung seit den Evangelien‘: Franz von Assisis Sonnengesang“, in Große Texte des Mittelalters, Erlanger Ringvorlesung 2003, hrsg. von Sonja Glauch, Erlangen 2005, S. 145–162.

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