Die geistliche Kraft der Musik Bibel und Bild

„Wir haben euch aufgespielt und ihr habt nicht getanzt; wir haben Klagelieder gesungen und ihr habt nicht geweint.“ (Mt 11,17)

Das Bild, das sich früher in der Chiesa di San Giobbe in Venedig befand, wirkt auf den ersten Blick wie ein Wachsfigurenkabinett. Die Figuren passen nicht zueinander, sie sind aus zweitausend Jahren zusammengewürfelt, und ihre Mienen wirken wie erstarrt. Überdies sind mir die Heiligen ganz rechts (Sebastian und Ludwig von Toulouse) als Lutheraner weniger geläufig. Trotz allem geht für mich von dem Bild des Malers Giovanni Bellini eine eigentümliche Faszination aus, und das liegt an der Kraft, die zusammenbindet, was auf den ersten Blick auseinanderfällt. Das Museale der Szenerie wird durch zwei Lichtpunkte durchbrochen: Zum einen ist es Maria mit Jesus im Zentrum, zum anderen die musizierenden Gestalten zu ihren Füßen. Sie sind es, die der angestaubten Menagerie Leben einhauchen.

Um die Situation besser zu verstehen, hilft die Identifikation. Ganz links Franz von Assisi, daneben Johannes der Täufer und Hiob. Das Ensemble erklärt sich historisch, denn Franziskaner hatten die Kirche als Armenhaus gegründet und es Hiob gewidmet, dem Inbegriff aller Kranken und Leidgeprüften. Auf der rechten Seite schließen sich Dominikus, der Gründer des gleichnamigen Ordens, an und die Heiligen. Aber wie kommt der prächtig im Ornat dargestellte Bischof in das Bild? Dieses Detail des Tableaus ist interessant, denn Ludwig wurde auch wegen seines Traktates über die mehrstimmige Musik gerühmt.

Zur Zeit Bellinis war Venedig das unbestrittene Zentrum der Musik. Die venezianischen Schulen erregten in ganz Europa großes Interesse. Wer etwas auf sich hielt, pilgerte nach Venedig oder wurde vom Fürsten geschickt, um bei Monteverdi, Gabrieli und Willaert die Kunst der mehrstimmigen Musik zu erlernen. Das Bild Bellinis ist unter dem Titel Sacra Conversazione bekannt geworden, für eine heilige Unterhaltung wirken die Beteiligten aber zu isoliert. Wie in einer Typologie hat der Maler die Formen der Frömmigkeit aufgereiht: Franziskus wendet sich an ein Publikum, Dominikus hat sich im Buch vertieft, befasst sich mit den Ordensregeln, Johannes konzentriert sich auf Christus, die anderen verharren im Leid, blicken abwesend oder andächtig. Und Maria hebt ihre Hand, als wolle sie um Ruhe bitten. Wenn in diesem Bild überhaupt etwas „unterhaltend“ wirkt, dann ist es die Musik.

Bellini hat mit diesem Bild die geistliche Kraft der Musik festgehalten, bei ihm gibt weder der Chor noch der psalmodierende Liturg den Ton an, sondern drei Instrumentalisten: Zwei Lauten und eine Rebec. Für Johannes Tinctoris, einem Musiktheoretiker dieser Zeit, war gerade die Rebec das bevorzugte Instrument, „weil durch dieselbe mein Geist zum Affekt der Frömmigkeit emporsteigt und mein Herz zur Betrachtung der himmlischen Freuden auf das intensivste“ angespornt wird. Die Musik tröstet, versöhnt, sie überwindet Grenzen, deshalb hebt Bellini sie als zentrale geistliche Kraft hervor. Deshalb stellt er sie in die Tradition der Sacra Conversazione – der heiligen Unterhaltung, die die Frommen verbindet und versöhnt.

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