Die gemeinsame Sprache der Barmherzigkeit Bibel und Bild zur Losung des 1. September 2015

Ich will den Herrn laut preisen mit meinem Mund und inmitten vieler ihn loben. (Psalm 109,30)

„Ich singe dir mit Herz und Mund, HERR, meines Herzens Lust, ich sing und mach auf Erden kund, was mir von dir bewusst“ (EG 324). Gemeinsam laut Choräle zu singen ist ein Grundelement protestantischer Gottesdiensttradition. Die Liedtexte von Paul Gerhardt haben evangelische Gemeinden über viele Generationen miteinander verbunden. Im Lied gehören schon für Martin Luther reformatorische Theologie und Spiritualität, Bekenntnis und Lobpreis zusammen. „Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen…“ (EG 362). Zeige mir dein Gesangbuch und ich sage dir, wer du bist.

„Laudato si“ – ein Lied, das in Deutschland zu den Lieblingsliedern von Kindern und Jugendlichen im Religions- und Konfirmandenunterricht gehört, wird am 15. Mai 2015 zur Überschrift der Enzyclika von Papst Franziskus. Mit Bedacht hat der Papst die ersten Worte des so genannten Sonnengesangs seines Namenspatrons Franziskus von Assisi an den Anfang des Briefs gestellt, der die weltweite Christenheit an die Sorge für das gemeinsame Haus und die Verantwortung für die Schwester, Mutter Erde erinnert. „Diese Schwester schreit auf wegen des Schadens, den wir ihr aufgrund des unverantwortlichen Gebrauchs und des Missbrauchs der Güter zufügen, die Gott in sie hineingelegt hat.“

„Amazing Grace – how sweet the sound…“ Bei der Trauerfeier des Pfarrers und Senators Clementa Pinckney, der in seiner Kirche, der Emanuel African Methodist Episcopal Church in Charleston, South Carolina, bei einem rassistischen Anschlag erschossen worden war, beendet Präsident Obama seine Rede am 17. Juni 2015 singend. Er singt das Lied von der alles überwindenden Gnade Gottes in dem Bewusstsein, dass Gewalt und Gegengewalt nur in Teufelskreisen enden können.

Der gemeinsame Ursprung aller christlichen Gesänge und Gesangbücher liegt im Buch der Psalmen. Es ist das Gebetbuch der Bibel, das Christen zusammen mit ihren älteren Geschwistern aus dem jüdischen Gottesvolk weiter singen und sagen – mit Herz und Mund. Doch der Mensch, von dem wir die Worte aus dem 109. Psalm hören, war kein Papst und kein Präsident. Er war einsam und isoliert, ausgegrenzt aus der Gemeinschaft, verleumdet und mit übler Nachrede überzogen. Sein Gebet zitiert vieles und bringt die bösen Worte der feindlich gesinnten Menschen vor Gott.

Gott soll für Gerechtigkeit sorgen. Erst dann kann am Schluss auch der Lobpreis erklingen. Denn Gottes Lob ist niemals ohne Zusammenhang. Und der bittere Zusammenhang in Psalm 109 ist die Erfahrung des Beters, dass ihn seine Feinde gewissermaßen mit den Gebeten des eigenen Gesangbuchs bekämpfen: „Wenn er gerichtet wird, soll er schuldig gesprochen werden, und sein Gebet werde zur Sünde. … Der Schuld seiner Väter soll gedacht werden vor dem HERRN, und seiner Mutter Sünde soll nicht getilgt werden. Der HERR soll sie nie mehr aus den Augen lassen, und ihr Andenken soll ausgerottet werden auf Erden.“ So beten die Feinde. „Gott steht dem Armen zur Rechten, dass er ihm helfe von denen, die ihn verurteilen“, antwortet der Psalmbeter in seinem Lobpreis.

„Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen“, hat Dietrich Bonhoeffer dem Theologennachwuchs im pommerschen Predigerseminar während der Nazidiktatur gesagt. Rassismus ist ein Gift, das auch Glaubende und religiöse Gemeinschaften befallen kann. Lobgesänge sind da kein automatischer Schutz. Entscheidend bleibt auch heute, ob gemeinsame Lieder und Gebete, mit denen wir als große Gemeinschaft Gott loben wollen, auch anderen Menschen eine Tür öffnen, Fremden und Minderheiten, die Schutz suchen.

Gottes Barmherzigkeit ist unser gemeinsamer Ursprung. Und menschliche Barmherzigkeit ist die gemeinsame Sprache der Konfessionen und Religionen, die Gott die Ehre erweist.

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