Editorial: Jugend Ausgabe 4/2017

Liebe Leserin, lieber Leser!

So vernahm man es am Anfang des 20. Jahrhunderts: „Die Jugend wird gegenüber einem konservativen oder stagnierenden Alter immer revolutionär gesinnt sein.“ (Klabund)

Jugendforscher wie unser Autor, der Freiburger Soziologe Albert Scherr, erklärt mir hundert Jahre später, warum es keinen Generationskonflikt mehr gibt: Zum einen sei die Geschwindigkeit des sozialen Wandels zu hoch, um sich im Wechsel der Generationen abbilden zu können. Zum anderen seien die Zeiten vorbei, in denen eine konservative ältere Generation einer veränderungswilligen jüngeren gegenüberstand. Rosige Zeiten also für die Jugend von heute?

Weit gefehlt, meint der zurzeit in Berlin lehrende Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann. Die jungen Leute bedrücke die Aussicht auf eine brüchige Berufskarriere, ihr Lebens-Arbeitseinkommen werde deutlich geringer ausfallen als das ihrer Eltern, und weniger Rente als diese werden sie auch erhalten. Es liege also näher, sich mit den Eltern zu alliieren, als gegen sie zu rebellieren.

Was die „Generation What?“ der 18- bis 34-Jährigen selbst über ihre Situation denkt, hat das Heidelberger Sinus-Institut im Auftrag öffentlich-rechtlicher europäischer Rundfunkanstalten in einer neuen empirischen Studie erhoben. Dabei kommt nicht nur die deutsche, sondern die europäische Jugend in den Blick. Die von der Politologin Heide Möller-Slawinski präsentierten Zahlen zeigen allerdings ein gewisses Protestpotenzial: Weil 45 Prozent der jungen Generation in Europa der Politik völlig misstraut, würden sich in naher Zukunft noch mehr (nämlich 53%) bei einem großen Aufstand gegen die Macht beteiligen.

So eindeutig also fällt das Bild „der“ Jugend gar nicht aus. Ich habe einige wenige mit der Frage konfrontiert, was ihnen persönlich wichtig sei. Der Tenor ihrer Statements lautet ähnlich: In einer unsicheren Welt wünschen sie sich Freundschaft und Verlässlichkeit.

Und wie steht es um die Jugendszene mit ihren einst deutlich voneinander abgegrenzten Milieus? Die Leiterin des Archivs der Jugendkulturen in Berlin, Gabriele Rohmann, sieht Konvergenzen. „Ein Stück weit globalisiert und kommerzialisiert“, treffen sich in heutigen Jugendkulturen Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen und Bildungs-Schichten. Und hinzugekommen ist seit einigen Jahren eine dezidiert politisch rechte Szene.

Bleibt der Blick auf die Jugendarbeit der Kirchen. „Wo wir waren, da war vorne“, zitiert unser Redaktionsmitglied Rainer Lang einen kirchlichen „Jugendarbeiter“, als es Jugendliche noch fortzog aus autoritären Elternhäusern in die emanzipatorische Gemeinde-Gruppe. Die Rede ist von den 70er-, frühen 80er-Jahren. Hat die Kirche heute überhaupt noch einen Kompass für ihre Zielgruppe, die im Glauben eine individuelle, variable und in der Kirche eine unbewegliche Größe sieht?

Sollte das Schwerpunktthema dieser Ausgabe Sie zu Erinnerungen an Ihre eigene Jugend animieren, wäre uns das natürlich recht. Aber auch der thematische „Rest“ dieses Heftes wird an Ihren Interessen hoffentlich nicht vorbeigehen.

Herzlich grüßt Sie
Hermann Preßler

Zum Weiterlesen

Schreiben Sie einen Kommentar