Das Wort „Jenseits“ ist aus der Mode gekommen. In früheren Zeiten war das Wort durchaus üblich im religiösen Sprachgebrauch. Da wurden verschiedene Sphären unterschieden, das Diesseits auf der einen Seite, das Jenseits auf der anderen. Gerne wurde das Jenseits unterteilt in Himmel und Hölle. Doch spätestens die moderne Kosmologie hat dieses Denken in Sphären unmöglich gemacht.
Ein Jenseits zu dem uns bekannten physikalischen Universum ist nicht lokalisierbar. Die Vorstellung eines Universums, das aus einem Big Bang entstand, wird nicht nur unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geteilt. In der westlichen Moderne ist es zu einer alltäglichen Anschauung geworden. Die Jenseits-Diesseits-Unterscheidung basiert auf der Vorstellung einer Grenze zwischen zwei Sphären. Aber genau diese Grenze ist nicht mehr beschreibbar. Das Universum ist in den Grundzügen erforscht, es ist in sich geschlossen, nichts deutet auf eine Grenze hin.
Allerdings gibt es auch heute noch verzagte und unfreiwillig komische Versuche, das antike Weltbild zu verteidigen: Kürzlich hatte ich Gelegenheit, an einer astrophysikalischen Veranstaltung zum Thema „Schwarze Löcher“ teilzunehmen. Dort wurde berichtet, dass evangelikale Theologen in den USA den Ereignishorizont der Schwarzen Löcher als Eingang zur Hölle auslegen. Der Versuch einer modernen Bestimmung der Grenze wirkt tapfer, ist aber aus guten Gründen kaum überzeugend. Das Schwarze Loch ist eine physikalisch genau beschreibbare Entität, in die man nichts Religiöses hineinlesen sollte. Gleiches gilt für die Spekulation, das Jenseits existiere in Paralleluniversen. Hier gibt es viel Mutmaßungen und wenig Ertrag.
Da lohnt es sich, einmal genauer hinzuschauen, was denn mit dem Jenseits in der christlichen Tradition gemeint ist. Wer heute von Gott redet, wird oft aufgefordert, die Frage zu beantworten, wo denn Gott sei. Die klassische Antwort lautet: Gott ist im Jenseits. In den biblischen Traditionen wird dieses Jenseits zumeist mit dem Himmel identifiziert. Das Jenseits ist also, wo Gott ist.
Nun ist aber eine entscheidende Aussage des Evangeliums, dass Gott bei den Menschen ist, dass Gott nah ist. Viele Predigten Jesu fordern dazu auf, Gottes Sphäre, das Himmelreich, das Reich Gottes, gerade im Nahen, im alltäglichen Umfeld zu entdecken. Im Zentrum der christlichen Botschaft steht die Aussage, dass Gott in Jesus Christus Mensch wurde und unter uns wohnte, dass wir ihm etwa in den armen Menschen, in den bedürftigen Menschen begegnen.
Das führt zu der Frage, ob die theologische Kosmologie mit einer göttlichen Sphäre, die sich in der Spätantike entwickelte und im Mittelalter ausgestaltet wurde, nicht nur aus moderner Perspektive, sondern auch aus biblischer Perspektive strittig ist. Wird das Jenseits als Sphäre Gottes in der Bibel durchgehend räumlich und separiert vom Rest der Welt verstanden?
Statt einer räumlichen Grenze zwischen Diesseits und Jenseits ist die Haltung einiger biblischer Texte, Gottes Präsenz gerade in dieser Welt zu suchen. Eine solche Auffassung kommt besonders gut in einem Vers des Lukasevangeliums zum Ausdruck: „Man wird auch nicht sagen: Siehe, Hier! oder: Da! Denn seht, das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lukas 17,21). Das Jenseits als Sphäre Gottes ist uns näher, als wir vermuten.