Anders denken! Biblische Fundstücke

Erneuerung des Denkens tut immer not, sagt Rabbi Jesus. „Werdet wie die Kinder. Lebt mehr im Geist. Und selig ist, wer sich an mir nicht ärgert.“

Die Evangelien setzen wie bekannt mit einem Sinneswandel ein: Ändert die Perspektive. Denkt anders… Das griechische Meta-noeite „Kehret um“ meint nicht so sehr den frömmelnd-religiösen Umkehr-Ruf, wie ab und an zu hören. Gemeint ist der Eintritt in eine veränderte Existenzweise. Dieser Eintritt, oder die Rückkehr dahin – auch so macht Umkehren ja Sinn –, lässt sich zwar als Umkehrung beschreiben. Der Umkehr-Metanoeite-Ruf lässt sich jedoch gleichfalls übersetzen: Ändert euer Denken!

Biblischer Befund

Allein: Die Ansicht, dass am Beginn des Evangeliums ein Umkehr-Ruf steht, scheint bei genauer Lektüre nicht einmal ganz textsicher. Das Johannes-Evangelium zum Beispiel hat die Szene gar nicht. (An dessen Stelle steht der Nikodemus-Dialog über die „Geburt aus Geist“, Joh 3,3-8.) Auch Lukas hat sie nicht. Das Markus-Evangelium setzt am klarsten so ein. Meta-Noeite! lesen wir ohne Schnörkel, ohne Wenn und Aber. Kehrt um! Gottes Gegenwart – sein Herrschaftsbereich, sein Reich – ist nahe herbeigekommen (Mk 1,15).

Wobei die Begründung die Spur legt, worin der Wechsel zu sehen ist. Matthäus folgt offensichtlich dieser Spur und nennt dem Hörer den lange vorgebahnten Pfad, indem er dem Perspektiv-Wechsel die alte Israel-Prophezeiung voranstellt: Das Volk, das in Finsternis wandelt, sieht ein helles Licht… (Mt 4,16).

Grund für die Umkehr ist derselbe wie bei Markus: das anbrechende Himmelreich. Lukas vollends springt direkt in die Änderung der Perspektive. Am Anfang der Wirksamkeit sehen wir den Wanderprediger selbst, wie er den Prophetentext auslegt: Dieses Wort ist heute vor euren Ohren erfüllt (Lk 4,21).

Allgemeiner und spezieller Gottesdienst

Nach eingängiger Lehrbuch-Definition lässt sich unterscheiden zwischen einer allgemeinen und der speziellen Form des ausgeübten Gottesglaubens sowie des Gottesdiensts. Die spezielle Form meint die Gottesdienstfeier: Im zelebrierten Gottesdienst feiert die versammelte Gemeinschaft an einem bestimmten Ort zu bestimmter Zeit. Der allgemeine Gottesdienst findet in jeder Minute statt: Bei jeder Alltagstätigkeit, bei jedem Tun und jedem Lassen – im Denken insgesamt.

Erneuerung des Denkens

Zum alltagsbestimmenden Denken korreliert das „mit Herzen, Seele und Verstand“ (aus Mt 22,37). Paulus, dessen Briefe noch vor den Evangelien verschriftet vorliegen, ist da besonders aufschlussreich. Während nur einige Anklänge an einen klassisch-prophetischen Umkehr-Ruf wie beim Täufer Johannes (Mt 3,2; Mk 1,4; Lk 3,3) zu hören sind – in Röm 2 ist es die Güte Gottes, die zur Umkehr führen soll –, ist der Beginn des neuen Kapitels von Römer 12 paradigmatisch. Nach den testaments-artigen Sätzen im großen Hauptteil des Römerbriefs eröffnet der Apostel den finalen Schlusskomplex: „Nun also“ – nachdem ihr dies alles vernommen und erfahren habt – „lasst euch verändern durch die Erneuerung des Denkens.“ Erneuert euer Denken, wird dann auch im Epheserbrief zu lesen sein (Eph 4,23).

Vernünftiger Gottesdienst

Das Anders-Denken ist durch drei Merkmale gekennzeichnet:

  1. Es ist Denken „weil“, nicht ein Denken „damit“. Also ein Denken mit Begründung (das einen Grund hat), nicht ein Denken, das erst noch etwas begründen oder errichten muss. Was da bedacht wird, ist schon da, muss nicht erst denkend oder handelnd herbeigeholt oder herbeigeführt werden. Mit einem Evangelien-Wort: Es ist schon mitten unter uns.
  2. Weil was bedacht wird, schon da ist, hat dieses Denken mehr die Form eines (existenziellen) Nachvollzugs und allmählichen Entfaltens von etwas Gegebenem als die Form einer intellektuellen Denkanstrengung.
  3. Und weil es ein anders Denken ist, das vom bisherigen Denken sich unterscheidet, hat es nichtsdestoweniger die Veränderung des Denkenden zur Folge: Dem anders Denkenden erschließt sich etwas. Er erfährt den Sinn von etwas (vgl. gr. logos; nous), das ihm zuvor nicht deutlich war. So findet für ihn eine neue Sinngebung statt, die ihn die Existenz, seine Sicht auf Gott und diese Welt aus anderer Perspektive sehen lässt: Ihm zu einem neuen Selbstverständnis verhilft, mithin ihn in die neue Seinsweise eintreten macht.

Ziel ist der vernünftige Gottesdienst (Röm 12,1; gr. logike latreia), der sich darin äußert, dass die geänderte Seinsweise im gesamten Leben auch bemerkbar wird. Ein Leben wohlgemerkt nicht den Schemata der Welt entlang (12,2ff). Man fühlt sich erinnert an die Bergpredigt, wo nach dem Referat ihr wisst ja, dass zu den Alten gesagt ist… Jesu Erläuterung anschließt: ich indes erkläre euch dazu folgendes… Der Rabbi erschließt durch seine Auslegung den ursprünglichen Sinn und bezieht die alten Texte in neuer Weise auf die Gegenwart.

Jesu Sein „für uns“

Ebendies gilt für die gesamte Existenz des „Menschensohnes“ Jesus aus Nazareth. Dass dieser exemplarisch und konstitutiv sein gesamtes Sein als „Pro-Existenz“ für andere verstand, ist heute kirchliches und sogar gesellschaftlich bekanntes Allgemeingut geworden. Jesus predigte und bringt Gott für uns. Ein Text wie das Nizänum thematisiert dieses für uns gleich zweimal in dem knappen Formular. Das katabatische Moment steht dabei durchgängig im Vordergrund: Gott kommt zum Menschen (von oben nach unten), und – erst – im zweiten Moment ergibt sich eine anabatische (von unten nach oben aufsteigende) Ausrichtung.

Was das für uns (Lk 22,19) alles beinhaltet, ist oft jedoch nur stückweise entfaltet. Wichtiges Moment: Die in Vielem Fragment bleibende Pro-Existenz und durchaus ja „originelle“ Seinsweise Jesu (ortlos, poetisch-gleichnishaft, von Menschen als untauglich verworfen, für unsinnig befunden und gekreuzigt, von Gott jedoch bestätigt und an Ostern zu dauerhaftem Leben auferweckt) erschließt die alte von Gott erneuerte Sinngebung von Schöpfung, menschlicher Existenzweise darin und ihre Vervollkommnung im richtigen Geist. Dabei gilt: Das Senfkorn genügt.

Anders denken

Der Inhalt des Anders Denken!  ist etwas bereits Erfülltes: Und braucht daher nur – immer wieder neu – zugeteilt, zugemessen, immer neu nachvollzogen zu werden. Dies ist ein viertes Merkmal der Denkveränderung. Es ist ein permanent gemeinter Perspektivwechsel! Lebensgeschichtlich: Sehen, was schon alles gegeben ist (Werdet wie die Kinder). Lebensperspektivisch: Damit umgehen, was von Gott versprochen ist (Handelt wie die Raben). Spirituell: In dem auch bewusst leben, was durch die jesuanische Reich-Gottes-Ansage ja schon längst als in Kraft gesetzt gilt (das biblische Schon jetzt). Weil das anders Denken ein Signum christlicher Existenz darstellt, ist es auf sämtliche Tätigkeitsfelder kirchlicher Arbeit zu beziehen.

Sinnstiftung im Ton

Wenn auch manche fragen, ob ein neues Kirchen-Gesangbuch nötig ist („wir haben schon ein starkes“), ist aktuell eine markante Gelegenheit, gesammelte Liedschätze, speziell das Evangelische Gesangbuch, gerade auch als kirchliches Hausbuch zu würdigen; und zu explorieren. Dazu zählt etwa (Referenz ist hier das württembergische EG) die solide informative Liedkunde mit Kurzbiographien und Musikgeschichte, die Aufschlüsselung christlicher Ur-Worte (wie Freude, Gemeinschaft, Verantwortung, Gerechtigkeit, Vertrauen…), theologisch gehaltvolle Andachts-Formulare zum Kirchenjahr, die substanzielle Wahrnehmung von Bekenntnistexten als kontinuitäts-wahrende und -stiftende Vergewisserung (Stuttgarter Schulderklärung, die bisher leider nur rudimentär enthaltene, ökumenisch anschlussfähige CA, sprechende Katechismus-Stücke u.a.), der Schatz der Tagzeitengebete inkl. Komplet, und natürlich das Liedgut selbst vom altkirchlichen Hymnus bis zu Go down, Moses: Gesangbücher zeigen, wie durch Jahrhunderte im jeweiligen Sprachtypus das biblische Wort je und je mit- und einander zugesungen wurde!

Geist & Verstand: Der Logos Jesu als Sinn-Aufschließung zur Schrift

Und Jesus erschloss ihnen das Wort (den Logos), so wie sie es hören konnten, berichten die Evangelien (Mk 4,33; vgl. Lk 4,43; Mt 4,23). Das Wort ist hier, wie etwa gerne beim Geschichtsschreiber Lukas als absolute in sich feststehende Größe verwendet (Apg 6,7 u.ö.). Im Logos inbegriffen ist der Sinn (von etwas), das Verständnis, der Verstand – er weist für einen hebräischen Hörer stets auch auf das bereits ergangene Wort in Prophetie und den fünf Büchern der Thora zurück. Rabbi Jesus wird mit seinen Midraschim (kommentierende Erläuterungen) mithin als Schriftausleger in bester jüdischer Tradition vorgestellt. Als profunder Textexeget, wie das Johannes-Evangelium akzentuiert; Joh 1,18c, gr. exegesato: das Göttliche, das niemand eigentlich sehen kann, hat jener für uns ausgelegt.

Kreatives Geistgeschehen

Die Worterschließung bringt noch ein fünftes, entscheidendes Merkmal des verändernden Denkens in Jesu Nachfolge: Das Denken dieses Logos führt in den ursprünglichen Schöpfergeist und -willen Gottes selbst zurück! (Diese Auslegungs-Tendenz ist auch daran zu erkennen, dass die Christenheit kaum eigene Schöpfungsrede formulierte: Sie übernahm schlicht die Rede von der Schöpfung aus dem biblischen Tanach.) Es ist ein kreatives Geistgeschehen („Gott ist Geist“). Ein Rück-Ruf in etwas, das von Anfang an bestand.

Ökumenisch sensible Publizistik

Um solches Denken „unter die Leut‘“ zu bringen, hilft eine stabil aufgestellte evangelische Publizistik ungemein. Es sind ja durchaus rege Zeiten in der Nachfrage nach Wegweisung, Sinngebung und durchgeklärten Denkweisen. Dass manche Buchhändler dazu überzugehen scheinen, klassisch-christliche Literatur tendenziell aus dem Verkaufsregal zu nehmen, ist erstklassige Chance für die vielen christlichen Buchhandlungen, auch die messe-artigen wie in Münsterschwarzach oder die Kirchentags-Buchhandlung. Soweit sie es verstehen, das Buchangebot profiliert aufzustellen, eher Niveauloses bei der Gelegenheit gerne hinter sich zu lassen und einem spirituell ausgedünnten Buchhandel ein geistreiches, fein sortiertes theologisches Angebot zu offerieren. („Seid das Salz der Erde“)

Beherzt wieder Gesetz predigen

Die umstrittene, in Methodik und Zeitpunkt kritisierbare Mitgliederbefragung KMU (ob direkt nach einer „Jahrhundert-Pandemie“ Repräsentatives zur „durchschnittlichen Lage“ der untersuchten Gruppe erwartbar war?) hat erbracht, dass sich fast Drei-Viertel der Mitglieder als der Kirche verbunden, eng verbunden oder als Christ(in) bezeichnen – wobei die Sicht auf die Kirche selbst variieren kann. Ein eindrucksvoller Wert, der zeigt, dass ein hoher Prozentsatz eine gesunde evangelische Kirchenauffassung hat. Gemäß oben genannter Lehrbuch-Definition „zählt“ ja im übrigen keineswegs etwa „nur“ die Anzahl treuer „Kirchspringer“, die zudem viel höher ist, als oft annonciert.

Seit jüngsten Aufstellungen, die Ev. Kirche lebe eine allzu billige Gnade, darf man indes endlich auch wieder beherzt „Gesetz“ (!) predigen: So und so soll es in der Kirche sein – keine faulen Ausreden!

Rück-Ruf in Gottes Verheißungen

Systematisch gesehen ist Umkehr der lebenslange (Rück-)Ruf in die Taufzusage: Gottes Geist erfüllt, was er verspricht. Wie generell zu bedenken ist, dass der Metanoeite-Ruf historisch zuerst sich an das bereits erwählte Volk Gottes richtete. An das die Verheißungen und Gottesworte bereits „auf vielfache Weise“ ergangen sind und waren. Auch der Rückbezug auf das Reich Gottes bezieht sich ja auf eine bereits bekannte Größe (z.B. Ps 22,29).

Doch selbst der scharfe Umkehr-Ruf bei Markus ist in gleich zwei weiche Wattebäusche gepackt (Mk 1,14-16). Nach der vorgeschalteten Begründung: Die Zeit ist erfüllt, Gottes Reich ist nahe… lautet es ja keineswegs: Kehrt um, und quält euch mit neuen Vorschriften. Sondern: Anders Denken! Verlasst euch auf das Evangelium.

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