Im Horizont des Segens Die „Ehe für alle“ als Herausforderung für Theologie und Kirche

Erst die lange und heftige Diskussion über „Segnung“ oder „Trauung“ gleichgeschlechtlicher Paare, dann die Debatte, wer den Begriff der „Ehe“ für seine Beziehung zu Recht verwenden darf. Und was die Bibel dazu „sage“? – Texte „sprechen“ nur, indem wir sie verantwortlich „zur Sprache“ bringen.

Es ist bemerkenswert: Obwohl die Ehe längst an Selbstverständlichkeit verloren hat und die Kirchen einen Rückgang der kirchlichen Trauung zu verzeichnen haben, rückt die Ehe durch die im Juni 2017 getroffene Entscheidung des Bundestages zur „Ehe für alle“ erneut in den Fokus öffentlicher Debatten. Während sie vom Rat der EKD begrüßt wird, lehnt die Evangelische Allianz diese Zustimmung als „Katastrophe“ ab. Zwar bleibt das Recht der Kirchen, über die kirchliche Trauung selbst zu bestimmen, von der neuen Gesetzeslage unberührt. Gleichwohl fordert die „Ehe für alle“ die evangelische Kirche einmal mehr heraus, Auskunft über ihr Verständnis von Ehe und Trauung zu geben.

Meine Überlegungen setzen am Kern evangelischer Trauung an, dem Zuspruch des Segens. Ich beginne mit einer persönlichen Erinnerung. Sie wirft ein Blitzlicht auf das Ringen um den Segen für gleichgeschlechtliche Paare.

„Endlich kommen wir in dieser Kirche einmal richtig vor.“

Die Orgel war verklungen, der Segen über dem Paar gesprochen. Ich war erleichtert. Dieser Gottesdienst im westfälischen Münsterland vor 17 Jahren hatte die Kirchengemeinde zu spalten gedroht. Anlässlich der Eintragung seiner Lebenspartnerschaft hatte der junge Mann mich um den Segen für seine Partnerschaft gebeten, und zwar in der Kirche, in der er konfirmiert worden war und in der er sich ehrenamtlich engagierte. Sein Anliegen hatte hochemotionale Debatten in der Gemeinde ausgelöst. Einzelne sind aus der Kirchengemeinde ausgetreten. Am Ende durften wir einen Gottesdienst zum Thema Partnerschaft feiern. Alle Anklänge an eine Trauung sollten vermieden werden. Das Paar war dann mit einem riesigen Herz aus Rosen auf dem Auto und in schwarz-weißer Festkleidung erschienen. Nach dem Gottesdienst sehe ich eine alte Frau in der Kirchenbank sitzen. Auch sie war ein Gemeindeglied, gehörte aber nicht zur Festgesellschaft. „Danke“, sagt sie nach einer Weile. „Endlich, endlich kommen wir in dieser Kirche einmal richtig vor. Auf diesen Moment habe ich so lange gewartet.“

Was damals als unerhört galt und für extreme Verunsicherung gesorgt hat, ein homosexuelles Paar in einem öffentlichen Gottesdienst zu segnen, ist inzwischen in fast allen evangelischen Kirchen in Deutschland in Varianten möglich. Viele Synoden haben das Thema intensiv diskutiert. Einige Landeskirchen haben die Segnung von homosexuellen Paaren der Trauung gleichgestellt. Andere betrachten sie als seelsorgerliche Handlung und achten auf eine erkennbare Unterscheidung von der Trauung. Die Württembergische Landeskirche hat als einzige auf ihrer Synode am 29.11.2017 die Segnung von homosexuellen Paaren mit knapper Mehrheit untersagt, und damit ihrerseits für eine Zerreißprobe in der Landeskirche gesorgt.

Weder „Katastrophe“ noch Schnellschuss

Die positive Stellungnahme des Rates der EKD zur „Ehe für alle“ war also keinesfalls hastig oder übereilt, sondern steht im Kontext einer über 30 Jahre währenden theologischen Auseinandersetzung. Diese ist kontrovers geblieben. Der Beschluss des Bundestages ruft die entscheidende theologische Frage nur noch einmal auf: Ist es biblisch und theologisch möglich und sachgemäß, die Bitte heterosexueller und homosexueller Paare um den Trausegen gleichwertig zu behandeln?

Sowohl Befürworter als auch Gegner einer Gleichstellung homosexueller Paare in Sachen Segnung und Trauung nehmen für sich in Anspruch, ihre Position in Orientierung an der Bibel als verbindliche Richtschnur zu formulieren. Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede in der Frage, wie die Aussagen der Bibel zu werten seien. Das ist nämlich nicht so einfach wie es scheint. Weder das Alte noch das Neue Testament sprechen von Ehe und Familie in unserem Sinn. Die bürgerliche Kleinfamilie ist in der Bibel gar nicht im Blick. Der in Trauungen zitierte Satz aus dem Schöpfungsbericht „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei“ (Gen 2,18) nimmt das Zusammenleben von Mann und Frau als grundlegende soziale Größe in den Blick, zielt aber nicht auf die Rechtsinstitution der Ehe ab.

Die Bibel nicht durch die Brille des bürgerlichen Gesetzesbuches lesen

Die Bibel mit ihren unterschiedlichen und weit über 2000 Jahre alten Traditionen setzt patriarchale Gesellschafts- und Geschlechterverhältnisse voraus. Viele zeitgebundene Aspekte, wie etwa die Polygamie oder die Schwagerehe, den selbstverständlichen Einbezug von Sklavinnen, schließlich die Unterordnung der Frau unter den Mann lehnen wir heute ab. Sie sind aber alle in der Bibel bezeugt. Andere grundlegende Aspekte geben auch heute Orientierung: Die Bibel sieht Geschlechtlichkeit und Sexualität grundsätzlich als gute Gabe der Schöpfung und schützt sie. Dabei wird Dauer, Verlässlichkeit und Fürsorge in der „Ehe“ hochgeschätzt, sie gilt im Alten Testament als Urbild für die Beziehung Gottes zu seinem Volk, im Neuen Testament zwischen Christus und der Gemeinde. Ehebruch und Ehescheidung sind als Übel charakterisiert, nur um der „Härte des menschlichen Herzens willen“ da (Mk 10,5; Mt 19,8). Kinder und das Kindeswohl haben einen besonderen Stellenwert. (Mk 9,36; 10,13-16).

Keine der biblischen Aussagen hat eine auf Liebe gründende homosexuelle Beziehung im Blick.

Homosexualität war weder im Alten noch im Neuen Testament eine vorstellbare Lebensform. Sie diente nicht der Fortpflanzung und galt als verachtenswerte, missbräuchliche Sexualpraxis mit Abhängigen, vielleicht auch im Kontext kultischer Praktiken. Aus diesen Gründen wird sie durchgehend abgelehnt (Lev 18,22; 20,13; vgl. Dtn 22,5; Röm 1,26, 1. Kor 6,9f; 1Tim 1,10). Keine dieser Aussagen hat indes eine auf Liebe gründende homosexuelle Beziehung im Blick. Es ist deshalb nicht sachgerecht, sie auf eine verbindliche, auf Treue angelegte gleichgeschlechtliche Partnerschaft anzuwenden.

Das Evangelium setzt neue Maßstäbe

Das Neue Testament kennt neben der Hochschätzung der Ehe auch eine kritische Haltung: Jesus und Paulus waren nicht verheiratet. Die Jünger Jesu verließen ihre Ehen und Familien. Paulus zieht die Ehelosigkeit der Ehe vor (1. Kor 7,32-34). Entscheidend für das Zusammenleben ist das Liebesethos im Geist Jesu Christi. Von daher kommt er zu dem Schluss: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; ihr seid allesamt einer in Jesus Christus“ (Gal 3,28). Diese paulinische Richtschnur bietet ein am Evangelium orientiertes grundlegendes Kriterium auch in der gegenwärtigen Frage, wer den Trausegen empfangen darf: Im Horizont des Evangeliums spielen weder Volkszugehörigkeit, noch sozialer Status noch Geschlecht eine Rolle.

Das evangelische Verständnis der Ehe und der Trauung

Die Ehe ist in reformatorischer Sicht kein Sakrament, sondern ein „weltlich Ding“. Sie unterliegt dem geschichtlichen Wandel und ist keine objektive „dogmatische“ Größe. Die Ehe wird hoch geschätzt: Das alltägliche Leben und insofern auch die Ehe wird als Ort der Gottesgegenwart aufgewertet. Von daher basiert sie auf Treue und Vertrauen, Liebe und Zuwendung zwischen den Eheleuten sowie zwischen Eltern und Kindern.

Die Ehe ist in reformatorischer Sicht kein Sakrament, sondern ein „weltlich Ding“.

Die evangelische Trauung ist ein Segensgottesdienst anlässlich der Eheschließung, ein rite de passage an der Schwelle zu einer neuen Lebensform. Im Traugottesdienst bittet das Paar um den Segen Gottes für die Ehe. Segen bedeutet keinesfalls einfach die Befriedigung der Bedürfnisse und Wünsche von Personen. Es geht auch nicht darum, etablierte Lebensformen oder Sexualformen zu bestätigen. Segen ist eine Gabe Gottes. Er setzt eine empfangende Haltung voraus. Im Segen wird dem Menschen der Beistand Gottes zugesprochen. „Der Segen am Beginn des Eintritts in eine Lebensform hat […] die Aufgabe, verbindlich die Zusage Gottes zur Sprache zu bringen, dass ein gemeinsames Leben möglich und verheißungsvoll ist“, meint der Theologe Christian Grethlein. Dies meint durchaus „kritische Solidarität“ Gottes (Klaus-Peter Jörns). Die Traufragen und das gegenseitige Versprechen konstituieren die Ehe dabei nicht, sondern machen öffentlich deutlich, in welcher Orientierung die Eheleute ihre Ehe führen möchten, nämlich von der Verheißung und Treue Gottes her, und von daher ein Leben lang in Liebe und gegenseitiger Achtung. Auch die Offenheit für Kinder und die Fürsorge für sie gehören hierher.

All diese Aspekte der Segenspraxis in der Trauung gelten für homosexuelle und heterosexuelle Paare. Da sie liturgisch in jeder Trauung biographiebezogen zur Sprache gebracht werden, spricht meines Erachtens nichts gegen die Gleichstellung homosexueller und heterosexueller Paare im Blick auf den Trausegen. Im Horizont des Segens bleibt der in ihm begründete Respekt vor dem Urteil Gottes bezüglich aller unserer Lebensformen gewahrt.

Zum Weiterlesen

Peter Dabrock, Renate Augstein u.a.: Unverschämt schön. Sexualethik: evangelisch und lebensnah. Gütersloh, 2015; Isolde Karle: Liebe in der Moderne. Körperlichkeit, Sexualität, Ehe. Gütersloh, 2014.

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