Ist Zivilcourage eine christliche Tugend? Warum für Christen mehr als persönliche Stärke dahinter steckt

Weil Zivilcourage immer ein bewusstes Eintreten für den Schutz des guten Miteinanders ist, ohne dass Gesetze dazu verpflichten könnten, gilt sie als Tugend. Aber kann man sie auch eine „christliche Tugend“ nennen?

Mit Tugend bezeichnet man nach Überzeugung philosophisch-ethischer Tradition keine von außen aufgezwungene, sondern eine im Inneren des Menschen gewachsene, dauerhafte Handlungsfähigkeit und -bereitschaft: die beständige Fähigkeit zum guten Wollen und Handeln. Dafür ist Zivilcourage sicher ein gutes Beispiel. Aber kann man sie auch eine christliche Tugend nennen?

Ja und Nein. Nein, wenn man behaupten wollte, sie wäre nur eine christliche Tugend. Das ist so unsinnig wie zu behaupten, Mut und Gerechtigkeit wären nur Christinnen und Christen möglich. Zivilcourage ist aber jedenfalls auch eine christliche Tugend, sofern man Tugend spezifisch christlich definiert. Und das heißt: Sofern man Tugend nicht einfach als durch beharrliches Üben erworbene Fähigkeit des Menschen, sondern letztlich als Befähigung des Menschen durch Gott zum guten Handeln versteht.

So wie Paulus den Korinthern seine Kompetenz als Apostel erklärt: Gott hat uns fähig gemacht, Diener des Neuen Bundes zu sein (2. Kor 3,5f), so lassen sich ebenfalls spezifisch christliche Gründe angeben für die Motivation zur Zivilcourage. Grundlegend zum Beispiel mit der von Gott verbürgten Hoffnung auf eine Welt, in der Gerechtigkeit herrscht und nicht Machtwillkür. Sie kann Menschen dazu bringen, mutig für Gerechtigkeit einzutreten, wo immer sie Zeugen von Ungerechtigkeit werden, auch wenn es Nachteile, ja selbst gravierende Nachteile für sie mit sich bringt.

Ganz besonders ist es natürlich das Vorbild, das Jesus Christus selbst gegeben hat, das Menschen, die sich in seiner Nachfolge wissen, zur Zivilcourage anregen und im Glauben an ihn dazu befähigen kann. Er hat sich nicht nur beharrlich gegen die herrschenden Meinungen und Gesetze für Schwache, Bedrohte und Ausgegrenzte eingesetzt. Er hat mit seinem Leben und Sterben sogar selber das Opfer seines Ansehens, seiner Unversehrtheit gebracht, ohne auszuweichen. Unzählige Christinnen und Christen sind ihm darin gefolgt und haben Mächtige und Machtgierige damit die Grenzen ihrer Macht spüren lassen.

Schließlich ist es die lebensschaffende und -gestaltende Kraft Gottes, der Heilige Geist, die es Menschen ermöglicht, überhaupt die Sensibilität aufzubringen, den Blick, das Hören – und dann auch das Sprechen zu wagen. Es ist der Geist Gottes, der sie dazu bringt, nicht nur die sie jeweils umgebende Lebenswelt selektiv nach dem ihnen Angenehmen und Nützlichen abzuscannen, während alles, was nicht diesen Kriterien entspricht, einfach ausgeblendet wird. Durch diesen Geist werden Menschen offen dafür, Ungewöhnliches wahrzunehmen und auf Alarmzeichen hin zu überprüfen, auf gewaltschwangere oder gewalttätige Worte, Körpergesten, auf Übergriffe, aber auch auf bedrohliches staatliches, politisches, gesellschaftliches Handeln.

Christlicher Glaube geht davon aus, dass Liebe im Sinne vorbehaltloser Zuwendung zum Anderen keine reine Übungssache, sondern tatsächlich ein Geschenk Gottes, eine Befähigung mit dem Geist Gottes ist. Solche Liebe macht befreite Aufmerksamkeit, sie macht befreites Handeln möglich, das nicht um sich selbst kreisen muss, sondern sich wirklich dem Anderen widmen kann.

Wenn Zivilcourage also als christliche Tugend verstanden werden kann, dann in dem grundlegenden Sinne, dass Menschen, die den Blick auf sich selbst und die Welt aus Perspektiven wagen können, zu denen christlicher Glaube befähigt, dass solche Menschen zu einer liebevollen Sensibilität, zu gläubiger Beharrlichkeit und hoffnungsvollem Mut im Eintreten für Gerechtigkeit durch ihren Glauben befreit und berufen sind.

Zum Weiterlesen

Schreiben Sie einen Kommentar