Einkommen ohne Arbeit? Das Bedingungslose Grundeinkommen wird in der Krise populärer

Die Corona-Pandemie hat die Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen befeuert. Nach drei Petitionen mit rund 800.000 Unterschriften wird sich im Oktober auch der Bundestag mit dem Thema befassen.

Laut Wikipedia ist die Sache klar: „Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) ist ein sozialpolitisches Finanztransferkonzept, nach dem jeder Bürger – unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage – eine gesetzlich festgelegte und für jeden gleiche vom Staat ausgezahlte finanzielle Zuwendung erhält, ohne dafür eine Gegenleistung erbringen zu müssen“. Die Rede ist zum Beispiel von bis zu 1200 Euro für alle 80 Millionen Bundesbürger.

Selbst der Papst hat das bedingungslose Grundeinkommen jetzt ins Gespräch gebracht. Zu den bekanntesten Unterstützern der Idee gehört der Gründer der Drogeriekette dm, Götz Werner. Der von Michael Bohmeyer gegründete Verein „Mein Grundeinkommen“ hat mit Spenden ein soziales Experiment gestartet und verlost regelmäßig eine einjährige Förderung von 1000 Euro pro Monat. Das wirke befreiend und mache die Menschen glücklicher, ist sein bisheriges Fazit.

Von Erfolgen berichtete auch die BIG-Koalition in Namibia, wo die Bewohner eines Dorfes zwischen 2008 und 2012 ein bedingungsloses Grundeinkommen erhielten. Das Projekt, das auch vom evangelischen Hilfswerk Brot für die Welt unterstützt wurde, hatte das Ziel, die Regierung von der landesweiten Einführung zu überzeugen. Doch die Skeptiker überwogen, obwohl von positiven Effekten berichtet wurde, wie der Reduzierung von Arbeitslosigkeit und Unterernährung, von Kriminalität und Schulabbrüchen. Das Projekt sorgte weltweit für Aufsehen, ist aber auch methodisch und inhaltlich kritisiert worden. In Finnland gab es ein Experiment mit 2000 Arbeitslosen, die zwei Jahre lang 560 Euro monatlich erhielten. Dies habe das Wohlbefinden der Menschen deutlich erhöht, aber keinen Beschäftigungseffekt gehabt, ist das für die Initiatoren etwas ernüchternde Fazit.

Inzwischen sind unter dem Stichwort Grundeinkommen zahlreiche Konzepte in Umlauf, die Aspekte des BGE aufgreifen. Die Diakonie Deutschland sah sich zu einer eindeutigen Stellungnahme nicht in der Lage. Die Materie sei sehr komplex und die Erarbeitung eines Konzepts benötige deshalb Zeit. In Berlin wurde das Modell eines solidarischen Grundeinkommens entwickelt, bei dem fünf Jahre lang 1000 Arbeitslose einen Job erhalten für Gemeinwohltätigkeiten. Das Grundeinkommen wurde als Ersatz für Sozialhilfe empfohlen oder als negative Einkommensteuer, bei der von der Steuerschuld das Grundeinkommen abgezogen wird.

Wir haben zwei Autoren gefunden für ein Pro und Contra, die exemplarisch für die Befürworter und Kritiker ihre Argumente austauschen.

Rainer Lang

PRO: Grundeinkommen im Feldversuch testen!

Von Jomi Wagner

Jomi Wagner
Jomi Wagner ist Koordinator der Kampagne „Expedition Grundeinkommen“ für Schleswig-Holstein.

Wer im Kapitalismus lebt, benötigt Geld, um die eigenen Grundbedürfnisse erfüllen und die Grundrechte einlösen zu können. Daher greift der Sozialstaat schützend ein und garantiert ein finanzielles „Existenzminimum“. Allerdings hilft der Staat dabei nur denen, die bereits arm sind, und bestraft jene noch mit Kürzungen, die den Aufforderungen der „Jobcenter“ nicht pünktlich nachkommen: Er sieht seine Aufgabe nicht darin, Armut zu verhindern, sondern eher darin, sie zu verwalten und die Armen zu disziplinieren.

Anfang diesen Jahres hat jedoch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass dies grundrechtlich problematisch ist, und auch der Europäische Gerichtshof hat ähnlich argumentiert: Wenn der Staat den Menschen einen Betrag als Existenzminimum garantiert, darf er nicht unerwünschtes Verhalten sanktionieren, indem er diesen Betrag kürzt. Damit bricht er sonst sein sozialstaatliches Versprechen. Das leuchtet ein: Wenn es in seiner Höhe gekürzt werden kann, ist ein Minimum kein Minimum mehr und die Grundsicherung keine Absicherung, sondern eher ein Druckmittel, um die Menschen zur Arbeit zu nötigen, die sie ohne bessere Bezahlung offenbar nicht freiwillig machen wollen.

Mit den Hartz-4-Sanktionen kapituliert der Sozialstaat also seit 15 Jahren vor dem Interesse des „freien Marktes“ an billigen Arbeitskräften und nimmt hin, dass den Armen als „Strafe“ die Grundrechte verwehrt werden. Die Gesellschaft arrangiert sich mit der Tatsache, dass es Armut in ihrer Mitte gibt – de facto Armut qua Gesetz.

Wenn wir es als kapitalistische Gesellschaft mit den Grundrechten ernst meinen und Armut bekämpfen wollen, müssen wir konsequenterweise ein echtes Grundrecht auf Einkommen einführen. Der naheliegendste und einfachste Schritt wäre es, die Sanktionen beim ALG 2 abzuschaffen. Dies würde den Druck auf die Armen mindern, jede bezahlte Arbeit annehmen zu müssen, die ihnen im Jobcenter angeboten wird. Ihnen wäre zumindest das Existenzminimum als monatliche Einnahme staatlich garantiert – und damit die Einlösung ihrer Grundrechte.

Der Ansatz des bedingungslosen Grundeinkommens (vgl. www.grundeinkommen.de) stellt hingegen eine Alternative zur derzeitigen Sozialgesetzgebung dar, die ein allgemeines Recht auf Einkommen begründen soll, ohne dabei die Interessen der Unternehmen zu ignorieren. Entbürokratisierung und Förderung von Eigeninitiative können nicht nur den Menschen und der Staatskasse, sondern auch Unternehmen zugute kommen.

Ein Denkmodell dafür: Der zurzeit im Nachhinein abgerechnete Steuerfreibetrag wird stattdessen in Monatsraten an alle Steuerpflichtigen ausgezahlt. Wer ausreichend Einkommen erzielt, zahlt das staatliche Einkommen mit den Steuern wieder zurück.

Doch wie wirken sich solche Steuer- und Sozialmodelle in der gesellschaftlichen Realität aus? In vielen Ländern ist dies bereits erforscht worden. Jedoch lassen sich die Ergebnisse aus Namibia, Kanada oder Finnland nicht eins zu eins auf Deutschland übertragen; vieles hängt dabei auch von der Ausgestaltung der Regelungen ab.

Um das Grundeinkommen wissenschaftlich erforschen und die Diskussion auf eine solidere Basis stellen zu können, gibt es seit einigen Monaten die Expedition Grundeinkommen (www.expedition-grundeinkommen.de). Durch Volksbegehren auf Länderebene stoßen wir staatlich organisierte Feldversuche an, die 2023 beginnen sollen. Grundeinkommen sollte auch hierzulande dringend getestet werden!

CONTRA: Kein gerechtes Sozialmodell

Von Christoph Butterwegge

Prof. Dr. Christoph Butterwegge
Prof. Dr. Christoph Butterwegge lehrte von 1998 bis 2016 Politikwissenschaft an der Universität zu Köln (Foto: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons).

In der Corona-bedingten Ausnahmesituation fand das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) vermehrte Aufmerksamkeit. Es handelt sich dabei um einen steuerfinanzierten Universaltransfer, den alle Bürger/innen zwecks Sicherstellung ihres Lebensunterhalts ohne Bedürftigkeitsprüfung und Verpflichtung zur Erwerbsarbeit erhalten sollen. BGE-Befürworter/innen sehen darin auch eine Lösung für Arbeitsplatzverluste im Zuge der Digitalisierung und weiteren Modernisierung der Wirtschaft.

Messen lassen müssen sich die BGE-Konzepte an drei Prüfsteinen: 1. Stellen sie eine zweckmäßige Ergänzung oder einen gleichwertigen Ersatz für den bestehenden Sozialstaat dar? 2. Genügen sie einem zeitgemäßen Gerechtigkeitsverständnis, also der Forderung nach Bedarfs-, Leistungs- und Verteilungsgerechtigkeit? 3. Verringern sie die Armut in Deutschland?

1. Ergänzen kann das Grundeinkommen den Sozialstaat schon deshalb nicht, weil selbst einer reichen Gesellschaft die zur Finanzierung beider Sicherungsmodelle notwendigen Mittel fehlen. Würde es ihn ersetzen, fiele neben den steuerfinanzierten Transferleistungen (z.B. Hartz IV, Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Wohngeld) auch die Sozialversicherung weg. Millionen Renten müssten jedoch jahrzehntelang weitergezahlt werden, ohne dass noch Beiträge eingingen. Und wenn es keine gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung mehr gäbe, müssten alle Bürger/innen selbst vorsorgen. Von einem Grundeinkommen, das die meisten Modelle mit 1000 Euro oder weniger pro Monat ansetzen, wären noch die Prämien für Produkte der privaten Assekuranz zu entrichten.

2. Das bedingungslose Grundeinkommen schafft weder Bedarfs- noch Leistungs- oder Verteilungsgerechtigkeit. Mit einer Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip ist denjenigen am wenigsten gedient, die z.B. als Schwerbehinderte oder Bewohner/innen einer Stadt mit sehr hohen Mieten einen überdurchschnittlichen Unterstützungsbedarf haben. Schon die griechischen Philosophen der Antike wussten, dass man Gleiche gleich und Ungleiche ungleich behandeln muss, wenn es gerecht zugehen soll. Auf die Leistung oder Leistungsbereitschaft seiner Bezieher/innen nimmt das Grundeinkommen überhaupt keine Rücksicht. An der bestehenden Verteilungsschieflage ändert es genauso wenig, denn ein Millionär bliebe Millionär, ein Müllwerker bliebe Müllwerker und eine Minijobberin bliebe Minijobberin, weil sie zusätzlich erwerbstätig sein müsste, um in Würde leben zu können. Letztlich wäre das bedingungslose Grundeinkommen kaum mehr als ein Kombilohn für alle, die weiterhin arbeiten wollen, und der Niedriglohnsektor als Haupteinfallstor für Erwerbs- und spätere Altersarmut würde noch breiter, weil BGE-Bezieher/innen auch für weniger Geld arbeiten könnten, ohne Not zu leiden.

3. Während man absolute Armut mit dem Grundeinkommen beseitigen oder mildern kann, weil ein für alle gleich hoher Geldbetrag die Befriedigung der menschlichen Grundbedürfnisse (Nahrung, Wohnung, medizinische Basisversorgung) ermöglichen würde, bliebe die in der Bundesrepublik viel weiter verbreitete relative Armut bestehen, wenn alle wie mit einem Fahrstuhl gemeinsam ein Stockwerk nach oben befördert würden. Die von der EU bei 60 Prozent des mittleren bedarfsgewichteten Pro-Kopf-Einkommens angesetzte Armuts(risiko)schwelle stiege durch das Grundeinkommen so weit, dass man ihr mit seinem Zahlbetrag ohne zusätzliche Einkünfte nahe bliebe. Um dies zu ändern, müsste man daher trotz Grundeinkommensbezugs erwerbstätig sein, wodurch ein indirekter Arbeitszwang fortbestünde. Um die relative Armut zu verringern, muss man den Reichtum antasten, sprich: riesige Geldsummen umverteilen, was ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht tut. Durch höhere Kapital-, Vermögen- und Gewinnsteuern lässt es sich kaum refinanzieren, weil Steuererhöhungen selbst ohne die Verbindung mit einer solchen Radikalreform der Gesellschaft nie realisierbar waren.

Zum Weiterlesen:

Christoph Butterwegge: Grundeinkommen kontrovers. Plädoyers für und gegen ein neues Sozialmodell. Weinheim 2018; Die zerrissene Republik. Wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit in Deutschland. Weinheim 2020.

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