Scheitern als Erfolgsfaktor? Frauen und Männer setzen auf unterschiedliche Bewältigungsstrategien

Weibliche und männliche Selbstbilder, aber auch gesellschaftliche Rollenstereotype bringen es mit sich, dass Frauen zuweilen anders damit fertig werden als Männer, wenn sie Ziele oder Erwartungen nicht erfüllen. Doch schlichte Vernunft kann auch Ziele hinterfragen.

„Fehler sind die wunderbare Gelegenheit neu anzufangen – nur intelligenter.“ Dieses von Henry Ford überlieferte Zitat ist typisch für die Ratgeberliteratur zum Thema „Scheitern“. In der Tat sind erfolgreiche Menschen auf ihrem Weg vermutlich oft auch gescheitert. Misserfolg beeinträchtigt nicht ihre positive Selbstwahrnehmung, sondern wird als normales, zu überwindendes Hindernis angesehen. Solche Weisheiten wirken zynisch auf diejenigen, die vor dem Scherbenhaufen ihres Lebens stehen, weil sie Schmerz und die Hoffnungslosigkeit des Versagens herunterspielen. Sicher ist es erstrebenswert und überlebenswichtig, aus der Negativspirale des Scheiterns wieder herauszukommen. Produktiv verarbeitetes Scheitern kann dazu beitragen, eigene Grenzen besser zu erkennen, unrealistische Ansprüche zu relativieren, unerträgliche Situationen zu beenden und damit einen Neuanfang zu ermöglichen.

Was bedeutet Scheitern?

Aber was ist Scheitern überhaupt? Nicht jeder Fehler bedeutet Scheitern. Scheitern hat eine absolute Komponente. Das, was man erreichen wollte, ist nicht gelungen, und es wird auch in Zukunft nicht gelingen. Das kann sein: einen Marathon laufen, abnehmen, ein gutes Zeitmanagement finden u.Ä. Scheitern wird ungleich schwerwiegender, wenn das nicht erreichte Ziel zentral für den ganzen Lebensentwurf ist: ein abgebrochenes Studium, eine gescheiterte Ehe, „missratene“ Kinder, berufliche Erfolglosigkeit, Nichterfüllen eigener moralischer Standards. Solche Erfahrungen sind extreme Stressfaktoren und stellen ein hohes Risiko für die Gesundheit dar. Sie können nicht einfach übergangen und vorschnell als „neue Chance“ umgedeutet werden. Für ihre Bewältigung braucht es Zeit für Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion, und nicht zuletzt liebevolle Begleitung.

Scheitern und Geschlechtsrolle

Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede beim Scheitern? Eine sich speziell an Frauen richtende Ratgeberliteratur legt das nahe. Bei Verallgemeinerungen ist jedoch Vorsicht geboten, denn Frauen und Männer sind bekanntermaßen keine homogene Gruppe. Das Sprechen von Männern im Zusammenhang von Erfolg und Scheitern basiert meist unausgesprochen auf der Vorstellung einer „hegemonialen Männlichkeit“ – so die australische Soziologin Raewyn Connell –, welche die männliche Norm des weißen, erfolgreichen, heterosexuellen usw. Mannes vorgibt. Die Grautöne der Geschlechterrollen werden hierbei kaum berücksichtigt.

Was man als Scheitern ansieht, ob man die Schuld eher bei anderen sieht als bei sich selbst, ist aber vor allem eine Frage der Persönlichkeitsstruktur. Eine offene, unbekümmerte Person wird es leichter haben als eine nachdenkliche, skrupulöse; eine innerlich unabhängige, ja egozentrische Person wird Rückschläge eher verkraften als eine auf äußere Anerkennung bedachte.

Männer neigen zur Verdrängung des Scheiterns, Frauen zur Selbstblockade.

Geschlechtsspezifische Unterschiede interagieren mit solchen Persönlichkeitsmerkmalen. Gina Bucher, eine Autorin, die sich vor allem in Einzelinterviews mit Fehlschlägen auseinandersetzt, kommt zu dem Schluss, dass Männer zum Verdrängen des Scheiterns neigen und einfach so weitermachen wie bisher, Frauen sich hingegen so stark damit auseinandersetzen und an sich selbst zweifeln, dass sie sich selbst blockieren. Viele Männer banalisieren das Scheitern oder suchen die Gründe dafür nicht bei sich selbst, während manche Frauen eher zur Selbstzerfleischung neigen. Die bekannte Coaching-Frau und Beraterin Sigrid Meuselbach drückt es so aus: Männer scheitern als Helden, Frauen an sich selbst. Beide Bewältigungsstrategien sind nicht produktiv.

Was sich Frauen selbst zuschreiben und was ihnen zugeschrieben wird

Dabei spielt auch eine Rolle, wie man zum eigenen Erfolg steht. Bei vielen erfolgreichen Frauen ist das sog. „impostor“-Syndrom zu beobachten. Sie halten sich insgeheim für Hochstapler und befürchten irgendwann einmal aufzufliegen. Der eigene Erfolg wird weniger den eigenen Fähigkeiten als glücklichen Umständen zugeschrieben. Wenn man jedoch zu denen gehört, die davon überzeugt sind, den Erfolg verdient zu haben, sieht auch das Scheitern anders aus.

Jedoch sind die unterschiedlichen Reaktionen nicht nur individuell geschlechtsspezifisch zu erklären, sondern werden durch gesellschaftliche Erwartungen und Zuschreibungen gefördert. Wenn eine technikbegabte Frau immer wieder hört, dass Frauen doch nicht für Technik begabt seien, wird sie beim ersten Hindernis wahrscheinlich das Ingenieursstudium eher aufgeben, es sei denn, sie kann eine „Jetzt erst recht“-Haltung entwickeln. Entsprechend machen Frauen kaum Diskriminierung dafür verantwortlich, wenn sie berufliche Pläne trotz hoher Qualifikation nicht verwirklichen könnten.

„Nehmt’s sportlich“ (doch bleibt auch „weiblich“)!

Für Männer gehört das Sich-Messen, der Spaß am Wettkampf zum Rollenstereotyp, was im günstigsten Fall dazu führt, dass man unausweichliche Niederlagen „sportlich“ nimmt und sich nicht von weiteren Versuchen abhalten lässt. Für Männer, die in den männlichen Wettkämpfen um soziale Anerkennung schlechte Startchancen haben, ist das Rollenstereotyp eine Belastung. Nicht selten wird auch Frauen geraten, sie sollten Angriffe, Misserfolge o.Ä. nicht persönlich, sondern „sportlich“ nehmen. Geht das überhaupt? Generell tun sich viele Frauen schwerer mit Wettbewerb, weil sie – nach traditionellem Rollenverständnis – eher zur Verbundenheit hin erzogen werden, dahin, dass es möglichst vielen gut geht. Wenn eine Frau allerdings bereit ist, sich der Konkurrenz zu stellen und sie sich dann noch in einem hoch kompetitiven Umfeld bewährt, besteht das Risiko, dass sie als zu selbstbewusst, zu wettbewerbsorientiert und zu wenig locker wahrgenommen wird.

Der gesellschaftlichen Realität wird man nicht gerecht, wenn man den Umgang mit dem Scheitern individualisiert. Es gibt gesellschaftliche Hindernisse und unterschiedliche Startbedingungen für Erfolg, manche davon sind geschlechtsspezifisch. Diese Tatsache verschweigt das Diktum vom „Erfolg durch Scheitern“.

„Kleine Helden in Not“ – scheitern Jungen am Schulsystem?

Im Nachgang zu den PISA-Studien sind die Jungen als diejenigen in den Mittelpunkt gerückt, die durch die Schule benachteiligt würden. Es ist seit langem bekannt, dass Jungen grundsätzlich eher unter Entwicklungsverzögerungen leiden und krankheitsanfälliger sind als Mädchen. Dazu kommen spätere Einschulung, geringerer Schulerfolg, mehr Wiederholungen und Verhaltensauffälligkeiten. Die These von den Jungen als Bildungsverlierern wurde in den Medien schnell zu antifeministischer Polemik gewendet. Benachteiligung von Jungen geschehe durch mädchenkonforme Methoden und Verweiblichung des Lehrpersonals, wobei allerdings übersehen wurde, dass die Kombination von sozialen Faktoren und Geschlecht entscheidend für den Schulerfolg ist. Benachteiligt sind Jungen mit geringem ökonomischem, sozialem und kulturellem Kapital. Überhaupt sind die Unterschiede innerhalb der Geschlechter weitaus größer als die zwischen den Geschlechtern. Deshalb muss das komplexe Geflecht, in dem jede einzelne Schülerin und jeder einzelne Schüler steht, differenziert betrachtet werden. Auffällig wiederum ist, dass die Mädchen den schulischen Erfolg später nicht entsprechend in berufliche, soziale und finanzielle Münze umsetzen können.

Scheitern bewältigen

Scheitern und der Umgang damit hat viele Facetten. Manchmal kann das Aufgeben eines Ziels lebensrettend sein. Die Extrembergsteigerin Gertrud Kaltenbrunner brach die Besteigung des K2 ohne Sauerstoffflasche ab, nachdem ihr das Risiko zu groß geworden war. Ist das Scheitern oder Vernunft? Für Institutionen, Unternehmen, für die Gesellschaft kann Angst vor dem Scheitern Innovationen und Experimente verhindern und so langfristig zum Scheitern führen. Im persönlichen Bereich kann sie Lebensmöglichkeiten stark begrenzen.

Manchmal kann das Aufgeben eines Ziels lebensrettend sein.

Wann ist dann Scheitern endgültig? Bei der Lebensbilanz auf dem Sterbebett? Oder beurteilen das die Nachgeborenen? Ob ein System oder eine Idee gescheitert ist, kann man erst in der historischen Betrachtung sagen. Das Bewusstsein von dieser zeitlichen Dimension kann durchaus entlasten, ohne die Schwere einer Erfahrung des Scheiterns zu negieren.

Für das absolute Scheitern steht in der christlichen Theologie Jesus am Kreuz. Es gibt es, dieses Scheitern, das durch kein Drehen und Wenden zu einem Erfolg umzuinterpretieren ist. Dieses Scheitern ist – so nach christlicher Auffassung – nicht von Menschen zu bewältigen, sondern durch göttliche Gnade. Beim endgültigen Scheitern bleibt nur noch der Glaube an die Auferstehung.

Zum Weiterlesen

Bucher, Gina: Der Fehler, der mein Leben veränderte. Von Bauchlandungen, Rückschlägen und zweiten Chancen. München 2018 (Piper); Connell, Robert W.: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit, Opladen 1999;  Dieter Schnack, Dieter/Neutzling, Rainer: Kleine Helden in Not. Jungen auf der Suche nach Männlichkeit, Reinbek 1994.

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