Scheitern oder Verweigerung? Erfahrungen einer Künstlerin

Hermann Preßler führte das folgende Gespräch über die Kultivierung des Scheiterns in der Kunst und das Denken in Kategorien von „Winnern“ und „Loosern“.

Frau Biehler, eigentlich haben Sie überhaupt keine Zeit…

Stimmt! Mein Terminkalender ist bis 25. September 2019 dicht. Bis dahin realisiere ich sechs große Installationen. Das ist ein bisschen viel und auch so nicht ganz gewollt, aber auf einen Schlag kamen die Einladungen, auch ein Stipendium ist dabei.

Man kann also schon an der Auftragslage scheitern.

Aber nein, ich hätte ja absagen können (lacht). Scheitern ist auf grundsätzlicher Ebene ein Thema in der Kunst, weil ohne die Erfahrung, dass sich das Material der Idee verweigert und man sich gegenüber dessen Eigendynamik und überhaupt Zufällen öffnen muss, oftmals verkopfte starre Bilder entstehen. Künstler haben viele Tricks entwickelt, wie sie das Scheitern in ihrer Arbeit geradezu evozieren und kultivieren, z.B. das Zeichnen mit der linken Hand, wenn die rechte zu flink geworden ist. Scheitern also als ein notwendiges Moment des künstlerischen Prozesses.

Manche scheitern mit ihrer Kunst, weil sie nicht gefällig sein wollen.

Sie scheitern dann nicht mit ihrer Kunst, sondern erfüllen nur bestimmte Kundenwünsche oder Marktforderungen nicht. Aber dennoch hat sich etwas verändert: Bis zu den 80er Jahren kehrten manche Künstler gerne ihr Anders-Sein oder ihre Sensibilität hervor, wodurch sie sich an den Härten der Gesellschaft scheitern sahen. Dieses Bild ist aber abgelöst worden durch den Selbstoptimierer mit neoliberalem Credo, der – zumindest in dem, was auf Facebook sichtbar wird – natürlich nicht scheitert. Inhaltlich muss sich eine künstlerische Haltung geradezu an der Verweigerung orientieren, um neue Wahrnehmungsräume zu eröffnen – da bin ich ganz auf Adornos Seite.

Scheitern Frauen eher daran, sich auf dem Kunst-Markt durchzusetzen als Männer?

Die Zahlen zeigen, dass wir Künstlerinnen unterrepräsentiert sind in den oberen Rängen von Macht und Geld – aber ist das Scheitern? Ich persönlich sehe den Preis, den berühmtere Kolleginnen und Kollegen zahlen, die in anderen Ligen spielen – den möchte ich nicht zahlen! Als Gescheiterte empfindet sich nur die oder der, die sich in das herrschende Denken in Märkten mit Loosern und Winnern, mit Tops und Downs begeben haben und den Wertekanon daraufhin ausrichten. Sehe ich aber diesen öffentlich verhandelten Teil der Kunst kritisch und als Auswuchs unserer kapitalistischen Sozialisation, dann fällt mir die Abgrenzung zum Hochglanz, der Geschwindigkeit und dem Geld leichter. Es kommt also immer auf die Systeme an, die bestimmte Werte setzen und Scheitern definieren.

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