Arbeit und Sinn Der Stellenwert von Erwerbsarbeit verändert sich

Trends wie „Quiet Quitting“ und der Wunsch nach einer Work-Life-Balance fordern die moderne Arbeitswelt heraus. Die Zeiten, in denen der persönliche Lebenssinn selbstverständlich in der Arbeit gesehen wurde, sind vorbei. Trotzdem ist eine sinnstiftende Arbeit weiterhin fast allen wichtig.

Arbeit ist ein zentraler Bestandteil des menschlichen Lebens. Sie ist sowohl notwendige Mühe und Belastung als auch eine potenzielle Quelle der Selbstverwirklichung. Im besten Fall sichert sie nicht nur den Lebensunterhalt, sondern prägt die Identität, ermöglicht soziale Teilhabe und kann dem Leben einen Sinn verleihen.

Sinnstiftende Arbeit

Sinnstiftende Arbeit vermittelt das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein und durch die eigene Tätigkeit einen Beitrag zu leisten – sei es für die Gesellschaft, die Umwelt oder das persönliche Umfeld. Durch Arbeit tragen wir Verantwortung – sowohl für uns selbst als auch für andere. Sie ist ein Schlüssel zur sozialen Anerkennung und zur Verwirklichung individueller Ziele.

Umgekehrt hat Arbeitslosigkeit ebenso weitreichende Folgen: Neben dem finanziellen Druck führt sie oft zu Isolation, einem Verlust des Selbstwertgefühls und psychischen Belastungen. Denn Arbeit ermöglicht nicht nur den Zugang zu materiellen Gütern, sondern auch die Integration in ein soziales Netz, das entscheidend für unser Wohlbefinden ist.

Prekäre Arbeitsverhältnisse

Auch Menschen, die Arbeit haben, finden darin in der modernen Arbeitswelt keineswegs zwangsläufig ihren Sinn. Schlechte Arbeitsbedingungen und prekäre Arbeitsverhältnisse – wie befristete Verträge, Mehrfachbeschäftigung, niedrige Löhne und hohe Lebenserhaltungskosten – destabilisieren die Lebenssituation vieler Menschen. Auch die Arbeitsteilung kann negative Folgen haben: Sie führt oftmals dazu, dass die Arbeit als monoton oder bedeutungslos wahrgenommen wird. In solchen Situationen empfinden viele Menschen Arbeit überwiegend als Mühe und Belastung, als Mittel zum Geldverdienen, ohne Verbindung zu höheren Zielen oder Werten. Für Menschen, die in anderen Ländern der Erde mit ihrer täglichen Arbeit ums Überleben kämpfen, gilt das allemal.

Mehr als Last und Mühe

Der Anspruch, dass Arbeit sinnstiftend sein soll, ist eine Entwicklung der Neuzeit. Bis ins Mittelalter galt Arbeit lediglich als notwendige Mühsal und man begrenzte sie nach Möglichkeit auf das zum Lebensunterhalt notwendige Maß. Das änderte sich erst mit den Handwerkerzünften, deren Mitglieder sich stark mit ihrer Arbeit identifizierten. Entscheidend für das moderne Verständnis von Arbeit wurde die Reformation mit Martin Luthers Neubewertung des Berufs als Berufung (vgl. den folgenden Beitrag von Torsten Meireis). Von da an arbeitete man nicht nur, um zu leben, sondern man lebte zunehmend, um zu arbeiten.

Fortsetzung der Schöpfung Gottes

Luthers Neubewertung von Arbeit prägt bis heute die theologische Tradition: Nach Einschätzung der Theologin Dorothee Sölle setzt Arbeit die Schöpfung Gottes fort, unabhängig davon, ob sie in der Produktion im Service, im Gesundheitswesen oder in der Kultur verrichtet wird. Sinn der Arbeit findet Sölle in den folgenden drei Dimensionen: „Selbstausdruck des Menschen, soziale Beziehungshaftigkeit und Versöhnung mit der Natur“ (D. Sölle: Lieben und arbeiten, 1985).

Ähnlich sieht es die EKD in ihrer Denkschrift Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der Arbeitswelt von 2015: „Arbeit gehört zum Menschsein. In ihr wird der Mensch zum Mitgestalter der Welt, Menschen entfalten in ihrem Tun das vom Schöpfer übertragene Mandat der Weltverantwortung. Der Mensch als Geschöpf und Ebenbild Gottes ist dazu befreit und beauftragt, Gottes Schöpfung beständig weiterzuentwickeln, gerade um sie im Sinne des biblischen Auftrags zu bewahren.“

Emotionale Distanz zur eigenen Arbeit

Damit ist ein hoher Anspruch formuliert, dem heutige Arbeitsverhältnisse vielfach nicht gerecht werden. Oft kommt es dann zu einer wachsenden emotionalen Distanz zur eigenen Arbeit. Die Verbundenheit zum Arbeitgeber ergibt sich nur noch aus der formalen Verpflichtung („innere Kündigung“), und die Motivation sinkt, sich über die notwendigen Aufgaben hinaus für die Arbeit einzusetzen. Darunter leidet die Identifikation mit dem eigenen Arbeitsplatz und der eigenen Tätigkeit. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Demnach fehlt der Hälfte der Beschäftigten in Deutschland die Motivation am Arbeitsplatz. Am motiviertesten seien vor allem ältere Beschäftigte: 63% der befragten Babyboomer-Generation gaben an, bei ihrem Arbeitgeber ihr Bestes zu geben. In der „Generation Z“, bei der die Umfrage Menschen bis 29 Jahren berücksichtigt, lag der Anteil bei 43% (vgl. ZEIT online, 6. Januar 2025).

Über der Hälfte der Beschäftigten in Deutschland fehlt die Motivation am Arbeitsplatz.

Viele gesellschaftliche Veränderungen führen dazu, dass sich die Beziehung zwischen Arbeit und Sinn verschiebt. In einer individualisierten Gesellschaft suchen Menschen eigene Wege, um Erfüllung zu finden. Arbeit kann dabei als Mittel betrachtet werden, diesen Sinn zu entdecken. Doch wenn Arbeit rein mechanisch ist oder keinen erkennbaren Nutzen für die Gemeinschaft bietet, führt dies zu Frustration und dem Wunsch nach Veränderung. Gerade in der „Generation Z“ (Geburtsjahrgänge von ca. 1995 –2010) zeigen sich hohe Erwartungen an eine sinnvolle Arbeit und unterstützende Arbeitsumgebungen, nicht selten werden diese sogar höher bewertet als finanzielle Vorteile.

Arbeit ist nicht alles

War für die Nachkriegsgenerationen Arbeit selbstverständliche Voraussetzung für den Aufbau von Wohlstand und maßgeblich für den eigenen Platz in der Gesellschaft, hat sich für jüngere Generationen, die den erarbeiteten Wohlstand „geerbt“ haben, ihr Wert zunehmend relativiert. Immer häufiger ist z.B. in der heutigen Arbeitswelt von „Quiet Quitting“, vom „stillen Rückzug“ die Rede – ein Phänomen, das vor allem durch Social Media Popularität gewann. Es handelt sich hierbei nicht um eine Form der „inneren Kündigung“, sondern um das bewusste Setzen persönlicher Grenzen im Hinblick auf die Arbeit. Leitend ist die Überzeugung, dass Überstunden und außergewöhnlicher Einsatz nicht selbstverständlich zum Berufsalltag dazugehören. Die bewusste Begrenzung der Arbeit ist nicht notwendigerweise Ausdruck dafür, dass die Arbeit nicht gerne gemacht wird. Unter dem Hashtag „Quiet Quitting“ wird auf Social Media jedoch betont, dass „nicht nur für die Arbeit“ gelebt wird. Ebenso wird Erfolg nicht nur über beruflichen Aufstieg und materiellen Wohlstand, sondern auch wesentlich durch Lebensqualität und Zufriedenheit definiert.

Work-Life-Balance

Statt das eigene Leben ganz der Arbeit zu widmen, ist immer mehr Menschen eine gute Work-Life-Balance wichtig. Dabei geht es nicht nur um die Vermeidung von Überarbeitung (Stichwort: „Burn-out“), sondern v.a. um eine aktive Gestaltung des Lebens, in der sowohl berufliche als auch private Bedürfnisse Berücksichtigung finden. Die Balance zwischen Arbeit und Freizeit soll Zeit für Familie, Freunde, Erholung und persönliche Interessen lassen. Besonders die Angehörigen der jüngeren Generationen fordern diesen Ausgleich. Dadurch wächst der Wunsch nach mehr Flexibilität sowohl im Hinblick auf die Arbeitszeiten als auch auf die Arbeitsorte. Viele Unternehmen reagieren auf diese Entwicklungen und versuchen ihre Attraktivität durch flexiblere Arbeitsbedingungen zu steigern, z.B. durch Gleitzeit, verkürzte Arbeitswochen, reduzierte Wochenstunden, hybride Arbeitsmodelle usw.

Ein ganzheitliches Leben mit Zeit für Familie, Freunde, Erholung und persönliche Interessen.

Eine besondere Rolle spielt in diesem Zusammenhang die Anerkennung von Care-Arbeit. Diese wird in der Regel unbezahlt geleistet und bleibt häufig unsichtbar. Menschen, die Care-Arbeit leisten, tragen doppelte Belastungen, da sie sowohl berufliche als auch private Aufgaben bewältigen müssen. Umso wichtiger ist es, auch die privat erbrachte Care-Arbeit als Arbeit anzuerkennen und einen Ausgleich für die dadurch entstehenden Belastungen zu schaffen.

Arbeit zwischen Mühsal und Sinn

Die moderne Arbeitswelt steht vor der Herausforderung, die unterschiedlichen Aspekte in Einklang zu bringen: Prekäre Arbeitsbedingungen, mangelnde Wertschätzung und Anerkennung in der Arbeit belasten viele Menschen. Gleichzeitig sind immer weniger Menschen bereit, sich ihrer Arbeit bedingungslos hinzugeben. Sie setzen bewusst Grenzen und suchen nach Wegen, um Berufs- und Privatleben sowie persönliche Werte und Ziele miteinander zu verbinden.

Die Aufgabe von Gesellschaft und Arbeitgebern besteht darin, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die sowohl die Grundbedürfnisse absichern als auch Raum für persönliche Entwicklung und Sinnfindung lassen. So kann Arbeit in der Balance von Mühe und Belastung, Sinn und Anerkennung zu einem bereichernden Bestandteil des Lebens werden – ohne den Anspruch zu haben, das ganze Leben werden zu müssen.

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