In einer Zeit, in der der demografische Wandel die Pflegebranche vor immense Herausforderungen stellt, sind innovative Lösungen gefragt. Ein Beispiel ist der Einsatz des sozialen Roboters Navel, der seit Ende 2023 in zwei Pflegeheimen der Evangelischen Heimstiftung getestet wird.
Sozialität, Begegnung und Kommunikation gehören wesentlich zum Menschsein und machen Lebensqualität aus. Deshalb fragt die Evangelische Heimstiftung, wie Innovationen Mitarbeitende so unterstützen und entlasten können, dass mehr Raum für diese Begegnungen und Erfahrungen des Miteinanders in der guten Pflege ist. Daneben wagt sie in einem Pilotprojekt aber auch zu fragen, ob oder wie zusätzlich ein sozialer Roboter Kommunikation ermöglichen und Interaktion stimulieren könnte.
Navel: Ein sozialer Roboter im Praxistest
Der soziale Roboter Navel wird in dem Pilotprojekt eingesetzt, um die Möglichkeiten der Alltagsbegleitung zu erweitern. Navel ist kein Pflegeroboter, sondern spezialisiert auf die soziale Begleitung. Er nutzt künstliche Intelligenz, um mit den Bewohnerinnen und Bewohnern zu interagieren, sie kognitiv und emotional zu aktivieren und positive Emotionen auszulösen, indem er sie mit Namen anspricht, mit ihnen ein Quiz spielt oder biografiebezogene Fragen stellt. Darüber hinaus kann er auch soziale Signale wahrnehmen und Emotionen identifizieren und auf dieser Grundlage „empathisch“ interagieren. Neben der verbalen Kommunikation verfügt er auch über eine expressive Mimik. Vor der Nutzung wurden die Bewohnerinnen und Bewohner, Angehörige und Mitarbeitende durch Infoabende und Schulungen auf den Einsatz vorbereitet.
Erste Ergebnisse des Praxistests zeigen, dass Navel als Gesprächspartner akzeptiert wird, zur kognitiven Aktivierung beiträgt und positive Emotionen auslöst. Obwohl die Bewohnerinnen und Bewohner verstehen, dass es sich bei Navel um einen Roboter handelt, wurde er als „empathisch, verständnisvoll, hilfsbereit und menschenähnlich“ wahrgenommen. „Fasziniert zeigten sich die Bewohnerinnen und Bewohner auch von den sprachlichen Fähigkeiten des Roboters: ›[…] Wir konnten uns auf Anhieb unterhalten. […]‹ Menschen mit demenziellen Erkrankungen und sprachlichen Einschränkungen zeigten auch positive nonverbale Reaktionen wie Zuwendung, Lächeln und über den Kopf streicheln“ (Judith Schoch: Ich hab’ den ins Herz geschlossen, in: Aktivieren 5, 2024, 32-35, 34f.).
Ethische Leitlinien als Innovationstreiber
Schon 2018 hatte die Evangelische Heimstiftung ethische Leitlinien entwickelt, die den Einsatz digitaler Innovationen begleiten. Sie dienen als Orientierungshilfe, um Innovationen so einzusetzen und weiterzuentwickeln, dass sie den Menschen, insbesondere den Bewohnerinnen und Bewohnern, dienen. Sie wurden 2024 im Rahmen des Navel-Praxistests in einem Ethik-Workshop mit Mitarbeitenden unterschiedlicher Ebenen und Hintergründe überarbeitet. So wurden alle Perspektiven berücksichtigt. Gleichzeitig wurde damit bereits der Grundstein für die breite Akzeptanz gelegt, sowohl der überarbeiteten ethischen Leitlinien als auch des Umgangs mit Innovation. In ihrer ethischen Beschäftigung mit digitalen Innovationen ist die Evangelische Heimstiftung von den vier medizinethischen Grundprinzipien Autonomie, Nichtschaden, Wohltun und Gerechtigkeit ausgegangen (vgl. Tom L. Beauchamp / James F. Childress: Principles of Biomedical Ethics, 1979, dt. Übersetzung: Prinzipien der Bioethik, 2024).
Die ethischen Leitlinien der Evangelischen Heimstiftung fokussieren die Verbesserung der Lebensqualität ihrer Kundinnen und Kunden, die Unterstützung der Mitarbeitenden und die Wahrung der persönlichen Grenzen (vgl. www.ev-heimstiftung.de/ueber-uns/unser-profil). „Auch der Nutzen von sozialen und digitalen Innovationen bemisst sich daran, ob sie die Lebensqualität unserer Kundinnen und Kunden erhöhen“, erklärt Bernhard Schneider, Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung. Besonders wichtig ist der Aspekt der persönlichen Grenzen, der Privatsphäre und der Selbstbestimmung. So haben die Bewohnerinnen und Bewohner das Recht, selbst zu entscheiden, ob und wie sie mit Navel interagieren möchten. Diese Freiheit ist entscheidend, um das Vertrauen in technische Innovationen zu stärken und ihre Akzeptanz zu fördern.
Auf der Basis der ethischen Leitlinien evaluiert das Institut für Pflege und Alter den Einsatz von Navel wissenschaftlich. Mitarbeitende in den Einrichtungen begleiten und beobachten als Patinnen und Paten das Erleben der Interaktionen und ihre Auswirkungen auf die Bewohnerinnen und Bewohner. Diese Beobachtungen und die Interviews mit den Beteiligten helfen dabei, die Stärken und Schwächen des Roboters zu identifizieren. Damit bietet die Testphase wertvolle Impulse zur Weiterentwicklung von Navel, sodass seine Funktionen noch besser an die Bedürfnisse der Menschen angepasst werden und die Bewohnerinnen und Bewohner dann auch selbstständig mit ihm interagieren können. Neben der positiven Außenwirkung, die Navel erzeugt, ist für die Evangelische Heimstiftung auch die offene und transparente Kommunikation ein Erfolgsfaktor. Sie vermeidet eine zu hohe Erwartungshaltung und Enttäuschungen bei den Mitarbeitenden und ist Voraussetzung für die Nachhaltigkeit der Akzeptanz und des Einsatzes technischer Innovationen.
ALADIEN: Eine Innovation im Regelbetrieb
Neben Navel, der sich aktuell noch im Praxistest befindet, hat die Evangelische Heimstiftung das ALADIEN-System im Betreuten Wohnen und die Betreuungstabletts in ihren stationären Einrichtungen bereits erfolgreich implementiert. ALADIEN steht dabei für „Alltagsunterstützende Assistenzsysteme mit Dienstleistungen“ und umfasst zahlreiche Apps und Dienstleistungen in den Bereichen Kommunikation, Sicherheit und Komfort. Dazu gehören Funktionen wie die Sturzerkennung, der Inaktivitätsmelder und die automatische Herdabschaltung. Darüber hinaus gibt es Apps, die Möglichkeiten zur Aktivierung für Kundinnen und Kunden mit unterschiedlichen kognitiven Einschränkungen bieten. Auch die einfache Kommunikation mit Angehörigen wird unterstützt, ebenso wie das datenschutzkonforme Teilen von Fotos, Videos, Sprach- oder Textnachrichten. (vgl. www.ev-heimstiftung.de/innovationen/aladien). All diese Systeme tragen dazu bei, die Selbstständigkeit der Kundinnen und Kunden zu erhalten und ihre Lebensqualität zu erhöhen. Regelmäßig stattfindende ALADIEN-Stammtische dienen der Akzeptanz und der Verankerung im Alltag und haben gleichzeitig den Effekt der sozialen Teilhabe und Interaktion.
Fazit
Die beschriebenen Beispiele zeigen, wie technische Innovationen in der Pflege sinnvoll eingesetzt werden können, um die Lebensqualität und Selbstbestimmung von Menschen zu verbessern. Der mutige Einsatz neuer Technologien und die gezielte Weiterentwicklung auf Basis ethischer Leitlinien kann maßgeblich zur Gestaltung der Pflege von morgen beitragen. Die kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung und die Bereitschaft, aus Erfahrungen zu lernen, sind entscheidende Faktoren für den Erfolg dieser Innovationen. Diese Ansätze gewährleisten, dass die Innovationen nicht nur effektiv und sicher sind, sondern nachhaltig zur Unterstützung der Mitarbeitenden und vor allem zur Verbesserung der Lebensqualität und Selbstbestimmung der Kundinnen und Kunden beitragen und ihnen im Alltag einen echten Mehrwert bieten.
Die Evangelische Heimstiftung
Gegründet 1952, ist die Evangelische Heimstiftung heute das größte diakonische Pflegeunternehmen in Baden-Württemberg. Mit über 10.700 Mitarbeitenden, darunter 850 Auszubildende, betreut sie 15.000 Menschen in 173 Einrichtungen. Sie ist gemeinnützig, was bedeutet, dass alle erwirtschafteten Mittel im Unternehmen verbleiben und zum Wohl der Kundinnen und Kunden reinvestiert werden. Dies ermöglicht es der Evangelischen Heimstiftung, besonders innovativ zu sein und neue Wege in der Pflege zu beschreiten. Die Evangelische Heimstiftung sieht in der Innovation einen Weg, um die Diskrepanz zwischen dem steigenden Pflegebedarf und dem rückläufigen Angebot an Arbeitskräften zu verringern und die Selbstbestimmung und Lebensqualität der Kundinnen und Kunden zu verbessern.