Gesellschaft und Kirche wandeln sich – und mit ihnen der Pfarrberuf. Zwei Redaktionsmitglieder, die selbst im Pfarrdienst sind, haben sich über Herausforderungen, Veränderungen und Spannungsfelder in der Arbeitswelt des Pfarrberufs ausgetauscht.
Die Rolle der Pfarrperson ändert sich
In der Kirche ist gegenwärtig immer häufiger von interprofessionellen Pastoralteams die Rede, die im konstruktiven Miteinander pastorale Aufgaben übernehmen. Zu diesen Teams gehören nicht nur Pfarrer*innen, sondern auch Diakon*innen, Gemeindepädagog*innen sowie Mitarbeitende der Kirchenmusik und der Verwaltung. Auch Ehrenamtliche übernehmen immer häufiger Aufgaben von hauptamtlich Tätigen in der Kirche.
Dieser Wandel in der Zusammensetzung und Zusammenarbeit pastoraler Teams bringt nicht nur eine Neuausrichtung der Aufgabenbereiche und Tätigkeitsfelder mit sich, sondern lenkt auch den Blick auf strukturelle Rahmenbedingungen. Zu den veränderten Rahmenbedingungen tragen auch die sinkenden Kirchenmitgliederzahlen und Kirchensteuereinnahmen bei.
Besonders die Frage nach dem Dienstverhältnis von Pfarrpersonen gerät zunehmend in den Blick. In einigen Landeskirchen in Deutschland wird über das Ende des Beamtenstatus diskutiert. In manchen Landeskirchen gibt es bereits beide Optionen: das privat-rechtliche und das öffentlich-rechtliche Dienstverhältnis. Das hat unterschiedliche Konsequenzen. Mit den möglichen Änderungen im Hinblick auf das Dienstverhältnis verbinden sich Fragen auf verschiedenen Ebenen: Wie werden die Arbeitszeiten geregelt? Ist eine ständige Erreichbarkeit noch zeitgemäß? Über wen erfolgt die Anstellung: Über die Landeskirchen, die Kirchenkreise oder die Kirchengemeinden?
Wenn gegenwärtig über das Ende des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses diskutiert wird, ist nicht nur unter angehenden Pfarrpersonen Verunsicherung spürbar. Es gibt die Sorge, dass die finanzielle Sicherheit in Zukunft nicht mehr gewährleistet ist. Aber es gibt auch andere Stimmen. Wenn beispielsweise pastorale Aufgaben in Teams übernommen werden, lässt sich auch die ungleiche Besoldung zunehmend kritisch hinterfragen.
Teamwork als Schlüsselerfahrung im Vikariat
Um all diese Transformationen besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf ihren Kontext: Wie haben sie sich entwickelt? Wie wurden bzw. werden sie erlebt oder können sie mitgestaltet werden?
Wenn Stephan Mühlich auf die Anfangszeit seiner Berufslaufbahn zurückblickt, erinnert er sich besonders gerne an sein Vikariat und den Austausch mit den anderen Vikar*innen in seinem Team schon Anfang der 1990er Jahre in Heilbronn. Die Erkenntnis, dass man als Pfarrperson nicht allein kämpfen muss, hat sein Vikariat geprägt. Trotzdem erlebt er im Pfarrberuf: „Oft muss man für sich alleine wissen, was zu tun ist.“ Der Pfarrberuf ist für Stephan Mühlich mit einer Sonderrolle verbunden. Es ist oft eine Gratwanderung: Man ist zwar viel in Kontakt mit Menschen, steht aber zugleich immer auch außerhalb. Umso wichtiger ist es aus seiner Sicht, sich als Kolleg*innen gegenseitig zu unterstützen und zusammenzuarbeiten. Die Teamarbeit damals hat ihm plausibel gemacht, warum Jesus seine Jünger zu zweit auf den Weg geschickt hat.
Angehende Pfarrer:innen machen heute in ihrem Vikariat ähnliche Erfahrungen: Insbesondere in den Kursen im Seminar für pastorale Ausbildung schätzen sie den Austausch mit anderen Vikar*innen, die zwar in ganz unterschiedlichen Gemeinden, aber doch mit ähnlichen Aufgaben zu tun haben und ihre Erfahrungen miteinander teilen. Sie erleben es als sehr bereichernd, sich über diese Erfahrungen auszutauschen, sich gegenseitig Feedback zu geben und gemeinsam zu diskutieren.
Kirche für die Menschen der Gegenwart
Den Pfarrberuf nimmt Stephan Mühlich als eine Aufgabe mit den „Menschen der Gegenwart“ wahr, die ihn selbst als ganzen Menschen fordert. Mit „Menschen der Gegenwart“ meint er neben den aktiven Gemeindegliedern auch diejenigen, die als Kirchenmitglieder nicht sichtbar oder ohne Mitgliedschaft keinen Kontakt (mehr) zu Kirche haben und mit christlichen Themen wenig anfangen können. Er spricht von einem Blick „out of the bubble“.
Stephan Mühlich plädiert dafür, auch bei kirchenpolitischen Entscheidungen Kirche nicht ausschließlich von der Ortsgemeinde her zu denken, sondern personell auch Funktionspfarrämter im Blick zu behalten. Übergemeindliche Dienste haben seiner Ansicht nach in besonderer Weise das Potenzial, auch die Menschen zu erreichen, die nicht am klassischen Gemeindeleben partizipieren.
Kirchliche Angebote reichen mittlerweile von christlichem Yoga bis hin zum Ackern im Garten.
Um Menschen zu erreichen, die den Kontakt zur Kirche verloren oder noch nicht gefunden haben, gibt es gegenwärtig auch in vielen Landeskirchen unterschiedliche Initiativen. In sogenannten Erprobungsräumen werden neue Formen des Kirche-Seins entwickelt und ausprobiert: Ob in einem Bauwagen, auf einem kleinen Stück Acker oder auch im Internet. Kirchliche Angebote reichen mittlerweile von christlichem Yoga über gemeinsames Feiern, Singen und Essen bis hin zum Ackern im Garten. Diese Formen zielen weniger darauf, Menschen an ein intensives Gemeindeleben zu binden, sondern vielmehr punktuelle Kontakte zur Kirche zu ermöglichen und unterschiedliche Menschen in ihrer konkreten Suchbewegung anzusprechen. Pfarrer*innen sind in diesem Zusammenhang weiter gefordert, ihr Amt als öffentliches Amt wahrzunehmen, sich von einer binnen-kirchlichen Orientierung zu lösen und vor Ort auf die Menschen zuzugehen, lokale und regionale Netzwerke zu knüpfen. Die Sichtbarkeit kirchlicher Angebote leidet nicht zwangsläufig, wenn eine Kirchengemeinde nicht alles selbst ausrichtet, sondern sich an ökumenischen und kommunalen Initiativen beteiligt.
Die Aufgabenbereiche im Pfarrberuf verändern dadurch die Perspektive und das Bild des Pfarrberufs wird diverser. Pfarrpersonen sind nicht mehr nur als Seelsorger*innen und Prediger*innen, sondern auch Organisator*innen, Netzwerker*innen und manchmal auch als Mediator*innen gefragt. Auch die Digitalisierung hat Einfluss auf den Pfarrberuf. Hybridgottesdienste, digitale Andachten und Online-Seelsorge sind längst keine Ausnahme mehr. Die digitale Transformation bietet Chancen, aber auch Herausforderungen. Vor allem stellt sich die Frage nach der persönlichen Bindung, wenn immer mehr über Bildschirme läuft.
Zwischen Transformation und Kontinuität
Bei aller Transformation erlebt Stephan Mühlich im Pfarrberuf auch Kontinuität. Im Gottesdienst, bei Kasualien, in Seelsorgegesprächen, in religions- und gemeindepädagogischen Handlungsfeldern ging und geht es für ihn immer darum, menschliche Lebenserfahrung mit der Botschaft des Evangeliums in Verbindung zu bringen und gemeinsam zu befragen. Weil Gemeindepfarrer*innen dabei immer als ganzer Mensch gefordert sind, bleibt im Pfarrberuf Überlastung eine grundsätzliche Gefährdung. Deshalb ist es aus seiner Sicht wichtig, als Pfarrperson auch für sich selbst Verantwortung zu übernehmen und für eigene Ruhezeiten und Erholung zu sorgen. Dafür ist es notwendig, möglichst frühzeitig zu lernen, eigene Grenzen zu erkennen und zu kommunizieren.
Volkskirche nicht quantitativ verstehen, sondern als eine Kirche mit einer Botschaft für die Menschen.
Für die Kirche wie für den Pfarrberuf sind auch die sinkenden Mitgliederzahlen eine herausfordernde Realität. Kirchenmitglied zu sein, ist heute längst nicht mehr selbstverständlich. Die evangelischen und katholischen Kirchen in Deutschland repräsentieren 2023 nur noch weniger als 50% der Bevölkerung. Für Stephan Mühlich bedeutet das „Schrumpfen“ der Kirchen aber nicht, grundsätzlich auf ein volkskirchliches Kirchenverständnis zu verzichten. Denn er versteht Volkskirche nicht als quantitative Größe, sondern als eine Kirche mit einer Botschaft für die Menschen. Eine solche Kirche ist auch in Zukunft potenziell für alle Menschen da und schaut über den Horizont der eigenen Mitglieder hinaus. Sie ist offen für neue Formen und bereit zum Ausprobieren.
Mut zur Freude und Vertrauen
Abschließend richtet Stephan Mühlich einen Wunsch an angehende Pfarrer*innen: „Habt Mut zur Freude und zum Vertrauen. Der liebe Gott muss auch etwas schaffen.“ Dieses Vertrauen steht für ihn in Verbindung mit der bleibenden Aufgabe im Pfarrberuf: „Das Evangelium hörbar zu machen mit dem, was wir predigen und sagen und wie wir sichtbar sind.“
Dafür gibt Stephan Mühlich auch einen Rat. Er betont, dass man sich vor Einsamkeit schützen sollte: „Als Pfarrperson ist man immer unter Menschen und doch ein Fremdkörper in der Gemeinde und in der Welt.“ Pfarrpersonen sollten aufpassen, dass Gott nicht ihr einziges Gegenüber wird, sondern auch Beziehungen zu Verwandten und Freund*innen erhalten bleiben und gepflegt werden.
Der Pfarrberuf bleibt eine herausfordernde, aber auch erfüllende Aufgabe. Es ist ein Beruf, der in einer sich wandelnden Welt beständig nach neuen Wegen zur Kommunikation des Evangeliums sucht.