Ist der Kampf um die menschliche Arbeit bereits verloren? Herausforderungen und Chancen, die in der Transformation der bislang gekannten Arbeitswelt liegen.
Aktuell vermelden öffentliche Medien regelmäßig Schlagzeilen zu den Auswirkungen eines zunehmenden Einsatzes von Künstlicher Intelligenz am Arbeitsplatz. Dabei kann leicht der Eindruck entstehen, der Kampf um menschliche Arbeit sei bereits verloren. Die Situation ist jedoch keineswegs so eindeutig, wie die Dramatik mancher Meldungen vermuten lässt. Das liegt einerseits an den Akteuren, die von diesen Szenarien profitieren, und andererseits daran, dass die dystopischen Szenarien mit komplexen Berechnungen und Zahlen operieren, die den Eindruck erwecken, es handele sich um präzise Analysen zukünftiger Entwicklungen.
So kursieren u.a. die Ergebnisse von Frey und Osborne (2013), die angeben, dass rund 47 Prozent aller Arbeitsplätze in den USA ein hohes Automatisierungspotential aufweisen und vor dem Wegfall durch Digitalisierung stehen würden. Eine Adaption der Studie auf den deutschen Arbeitsmarkt durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015) kam in dieser Debatte auf einen ähnlich hohen Wert von 42 Prozent. Ein weiterer Blick auf wissenschaftliche Ergebnisse aber zeigt, dass unter den quantifizierenden Betrachtungen keine einheitliche Auffassung besteht.
Dystopischen Szenarien liegen keine präzisen Analysen zugrunde
So sind Dengler und Matthes (2015), in ihrer Analyse der deutschen Berufe deutlich vorsichtiger und prognostizieren einen Wert von gefährdeten 15 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Diese Studien verwenden den Ansatz, dass sich das Substitutionspotential von Arbeit anhand ihres „Routinisierungsgrades“ bestimmen lässt. Tätigkeiten, die eine hohe Regelungsdichte aufweisen und sich häufig wiederholen, wird eine hohe Automatisierungswahrscheinlichkeit zugeschrieben und Tätigkeiten, die eher kreativ oder handwerklich kompliziert sind, eine geringe Automatisierungswahrscheinlichkeit.
Diese Auffassung schließt nahtlos an frühere Diskussionen der Automatisierung aus den 1950er- bis 70er-Jahren an, als man glaubte, durch Wenn-dann-Konditionierungen sogar Verwaltungsarbeit ersetzen zu können. Dabei greift dieses Paradigma deutlich zu kurz. Es beschränkt die Frage nach dem Wandel von Arbeit vor allem auf quantitative Beschäftigungseffekte sowie auf jene des Verhältnisses von automatisierbaren und nicht-automatisierbaren Tätigkeitsanteilen. Es verlängert gleichzeitig bestehende Formen der Arbeits- und Produktionsorganisation auf Basis des unwahrscheinlichen Szenarios, dass sich die Tätigkeiten selbst nicht verändern und alle anderen Aspekte von Arbeit, wie z.B. politische Regulierung, Geschäftsmodelle, Produkte und anderes konstant bleiben. Zudem bleibt in dieser Perspektive verborgen, welche spezifischen Qualifikationen Menschen mitbringen, um – auch in hochtechnisierten Arbeitsumgebungen – einen wichtigen Beitrag zu leisten.
Arbeit verändert sich ständig
Begriffe wie „Arbeit 4.0“ oder „digitale Arbeit“ sind Ausdruck der Neuformation von Arbeit.
Dabei verändert sich Arbeit ständig und derzeit im Kontext von Digitalisierung besonders grundlegend. Sowohl Arbeitsgegenstände, die Arbeitsorganisation als auch die Beschäftigung selbst sind davon betroffen. Begriffe wie „Arbeit 4.0“ oder „digitale Arbeit“ sind Ausdruck dieser Neuformation von Arbeit. Tatsächlich dienen diese Begriffe dazu, auf neue Phänomene aufmerksam zu machen, beziehen sich häufig aber auf spezifische Konstellationen der Veränderung von Arbeit. Die Veränderungen lassen sich systematisch nach den vier Dimensionen Zeit, Ort, Beschäftigung und Qualifikation betrachten.
Veränderungen bei Arbeitszeit und -ort
In der Dimension Zeit sind die Veränderungen schon über einen langen Zeitraum spürbar und nur ein kleinerer Teil kann direkt mit den Auswirkungen von Digitalisierungsprozessen in Verbindung gebracht werden. Flexible Arbeitszeitarrangements zwischen Voll- und Teilzeit haben sich ebenso etabliert wie gleitende Arbeitsanfänge, Modelle der Vertrauensarbeitszeit und ergebnisorientierter Führung. Ermöglicht und unterstützt wird diese Flexibilität z.B. über digitale Erfassungssysteme oder auch neue, stärker lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle.
Die Dimension Ort wandelt sich gerade im Kontext der Digitalisierung sehr stark. Ging es früher darum, komplette Produktionsstandorte an billigere Orte zu verlegen, formiert sich die globale Arbeitsteilung aufgrund neuer technischer Möglichkeiten und der Entstehung eines ortsübergreifenden „Informationsraumes“ neu. Im Großen führt das dazu, dass Kooperationsbeziehungen zwischen unterschiedlichen Standorten oder auch die Integration ausgelagerter Leistungen ein neues Niveau erreichen (z.B. durch die Verlagerung von Back-Office-Tätigkeiten an Niedrig-Lohn-Standorte). Im Kleinen bedeutet es eine Entkopplung von Arbeit und Arbeitsplatz, wie es sich im mobilen Arbeiten oder dem Home-Office ausdrückt. Allerdings zeigt sich bisher auch, dass nur ein kleiner Teil der Beschäftigten (ca. 25%) davon profitiert.
Plattformbasierte Arbeitszeitmodelle
In der Dimension Beschäftigung hat im Vergleich zu früher der Anteil der atypischen Beschäftigungsverhältnisse zugenommen (z.B. Mini-Jobs, befristete Beschäftigung). Im Kontext der Digitalisierung werden vor allem plattformbasierte Arbeitsmodelle als neue Form der Beschäftigung diskutiert. Darunter sind Tätigkeiten zu verstehen, die über eine entsprechende Internet-Plattform vermittelt werden. Prominentes Beispiel dafür ist der Taxidienst Uber, der mit selbstständigen Laienfahrern operiert. Der Beschäftigungsstatus der Uber-Fahrer ist rechtlich umstritten, weil Uber nicht nur die Vermittlung organisiert, sondern auch eine Reihe strikter Vorgaben zur Preispolitik etc. macht, sodass international mehrfach Gerichte Uber-Fahrer zu Angestellten erklärt haben.
In die Kategorie der Plattformarbeit fallen auch unter „crowd work“ gefasste Tätigkeiten, die mitunter auch als ›digitale Arbeit‹ bezeichnet werden. Das Spektrum reicht dabei von Einfacharbeit, so genannten „micro tasks“ (Sortieren von Bildern, Erkennen von Mustern, inklusive der Datenarbeit für KI-Systeme), über das Content-Management in den sozialen Medien, Übersetzungs- und Lektoratsleistungen bis hin zu kreativen Arbeiten wie Grafikdesign oder Software Engineering. Selbst Online-Gambling, das professionelle Spielen von Online-Spielen, fällt darunter. Aber auch die unbezahlte oder bezahlte Erstellung von Inhalten im Internet bzw. den sozialen Medien (z.B. Influencer:innen).
Digitale Tagelöhner, das neue „Cybertariat“?
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich zunehmend Beschäftigungsmodelle etablieren, die wieder mehr Risiken auf die Arbeitenden selbst übertragen und lediglich Infrastruktur für die Ausführung der Tätigkeiten zur Verfügung stellen. Da die Bezahlung meist der Logik des Stücklohns folgt, wird auch von digitalen Tagelöhnern oder auch der Entstehung eines „cybertariats“ gesprochen, zumal insbesondere der digitale Anteil dieser Arbeit weltweit verteilt unter unwürdigen Bedingungen stattfindet.
„Lebenslanges Lernen“ neu denken
Die Dimension Qualifikation ist geprägt von der Erosion tradierter Konstanten von Berufsbildern und damit beruflicher Erfahrung und Identität sowie dem ganzen Spektrum der Veränderungen auf formaler Ebene (Akademisierung, Ausdifferenzierung von Ausbildungsgängen). Zudem wirkt der hohe Veränderungsdruck auf die berufliche Handlungskompetenz der Beschäftigten. Einfache Formeln wie „digitale Kompetenz“ oder die Forderung nach mehr Softskills tragen hier nicht. Vielmehr werden Konzepte benötigt, die – ausgehend von einem jeweils neuen Verständnis beruflicher Aufgaben – einen grundlegenden Wandel in allen Dimensionen der Handlungskompetenz (Fach-, Methoden-, Sozial- und Selbstkompetenz) und ihres Zusammenspiels adressieren. Erst in diesem Kontext entfaltet sich das Ausmaß und die Notwendigkeit des bereits länger diskutierten „Lebenslangen Lernens“.
Es sind insgesamt sowohl negative als auch positive Ausgänge für den Einzelnen/die Einzelne denkbar. Einerseits wird erwartet, dass insgesamt die Standardisierung von Arbeit voranschreiten wird und in manchen Bereichen damit auch Automatisierung einhergeht. Und anders als in früheren Zeiten wird davon stärker „Kopfarbeit“ betroffen sein. Andererseits können bisherige Arbeitsprozesse vielleicht besser unterstützt werden oder Arbeitsergebnisse durch neue Technologien verbessert werden. Außerdem bleiben komplexe händische und handwerkliche Tätigkeiten nach wie vor wichtig bzw. werden sogar wichtiger.
Wie viel menschliche Arbeit soll am Ende bleiben?
Im Zuge des digitalisierungsbedingten Wandels und den damit verbundenen Konsequenzen einer Beschleunigung der Veränderungen, steigenden gesundheitlichen Risiken sowie der großen Frage, wie viel menschliche Arbeit am Ende bleibt oder bleiben soll, werden auch grundsätzliche Fragen der Rolle von Arbeit in der Gesellschaft aufgeworfen, auch jene des Verhältnisses von Sorge- und Erwerbsarbeit. Diese münden nicht selten in Debatten um ein bedingungsloses Grundeinkommen oder Konzepte wie die Vier-Tage-Woche, wo es darum geht, die wirtschaftliche Notwendigkeit des Broterwerbs stärker mit sinnvollem und auf Gemeinschaft bezogenem Tun in Einklang zu bringen. Allerdings ist zu beobachten, dass diese wichtige, auf die Zukunft bezogene Diskussion in Zeiten multipler Krisen schnell wieder abflaut.
Zuletzt sei angemerkt, dass nicht alle Neuerungen und Veränderungen in der Arbeit der fortschreitenden Digitalisierung zuzuschreiben sind. So hatte z.B. die Agenda 2010 großen Einfluss auf die Organisation von Arbeit, indem Leiharbeit als neue Arbeitsform etabliert und die Ausweitung atypischer Beschäftigung ermöglicht wurde. Digitalisierungsprozesse, wie wir sie seit 40 Jahren beobachten können, sind – wie Ökonomisierungsprozesse auch – Teil eines lange andauernden soziohistorischen Prozesses. Dieser beschreibt die Entstehung einer Informationsebene zusätzlich zum realen Arbeitsprozess (z.B. durch Kennzahlen), die dann die Steuerung und Kontrolle von Arbeit und Organisation ermöglicht. Die aktuelle Phase der digitalen Transformation hebt diese Möglichkeiten auf eine neue Ebene und birgt damit Herausforderungen, aber auch Chancen, die es gesellschaftlich so zu gestalten gilt, dass bestehende und sich neu herausbildende Ungleichheiten abgefedert werden.