Die Ehe ist kein Handelsgeschäft Das katholische Verständnis der Ehe als Sakrament

Als Vereins-Hymne des FC Liverpool wohlbekannt: „You’ll Never Walk Alone“. Eigentlich verwunderlich, dass der Song nicht auch längst zum Lied vieler Brautpaare geworden ist. Denn zur Sakramentalität gehört die feste Zuversicht, dass Gott die Liebenden nicht allein lässt.

Dass zwei Menschen sich kennenlernen, nach einiger Zeit zu einem Paar werden und dann irgendwann einmal auch zu Eltern von Kindern – das ist eine der natürlichsten Sachen der Welt. Und sie wiederholt sich immer wieder, auch wenn die Bedingungen, unter denen sich Paare konkret finden und ihr familiäres Miteinander gestalten, in verschiedenen Gesellschaften, Kulturen, Epochen und Lebensläufen bis zur Stunde denkbar unterschiedlich gewesen sind.

Heiraten bzw. verheiratet werden und mit den Kindern zu einer Familie gehören – das hat schon funktioniert, bevor christliche Theologen und Kirchen auf die Idee gekommen sind, die Ehe als eine Lebensform zu begreifen, die etwas mit dem Glauben Israels und der Verkündigung Jesu von der Nähe Gottes zu tun hat. Und das taten sie viele Jahrhunderte lang auch „nur“ in der Weise, dass sie die Verbindung zwischen Christen als „im Herrn“ geschlossen ansahen. Erst im Hochmittelalter, als sich schon längst eine systematische Theologie der Taufe, der Eucharistie, der Buße usw. herausgebildet hatte, wurde die theologische Qualität der Ehe in der Weise zum Ausdruck gebracht, dass auch sie als ein „Sakrament“ neben den anderen anerkannt wurde. In der katholischen Tradition ist diese, zum ersten Mal auf dem II. Konzil von Lyon 1274 zu eigen gemachte Bewertung bis heute festgehalten und, wann immer es nötig erschien, bestätigt worden.

Was macht den sakramentalen Charakter von Ehe aus?

Auf die Ehe bezogen will Sakramentalität besagen, dass die liebende Gemeinschaft zwischen Mann und Frau ein Ort und eine Gestalt ist, wo die zentrale Zusage des Evangeliums – die vorbehaltlos annehmende und heilswillige Zuwendung Gottes – erfahren sowie die Kernforderung christlicher Lebensführung – die Gottes- und Nächstenliebe – in Handeln umgesetzt werden kann.

Diese Wertschätzung von Ehe ist einerseits die Fortführung des biblischen Gedankens, dass die Verbundenheit von Mann und Frau ein Ausfluss des göttlichen Schöpfungskonzepts sei, wie er durch die wiederholte Berufung auf Gen 2,24 in den einschlägigen Bibelstellen zur Ehe (Mk 10 und insbesondere Eph 5) zum Ausdruck gebracht wird. Andererseits nimmt sie den schon bei den alttestamentlichen Propheten und dann vor allem in Eph 5 ausgeführten Gedanken der Abbildlichkeit zwischen der Ehe unter Christen und der unverbrüchlichen Zugewandtheit Gottes bzw. Christi zu seiner Gemeinde/Kirche bzw. von der von ihr repräsentierten Menschheit auf.

Das ist die Grundidee der Sakramentalität, die weitere Entfaltungen benötigt. Etwa hinsichtlich der inneren Ausgestaltung der ehelichen Lebensgemeinschaft: Auch hier geht es um die Liebe als vordringlichem Auftrag, im Gegensatz zur Schaffung von Unterordnung und zur Anmaßung von Überordnung. Ehe ist weder Verfügungsverhältnis noch ein bloß Dynastie sicherndes Zeugungsinstitut, sondern in erster Linie ein Beziehungsverhältnis von zwei Personen.

Oder hinsichtlich des Verhaltens zur Zukunft: Im Glauben Ehe zu leben, besagt, dass die Partner ihren jetzigen Wunsch der dauerhaften Beständigkeit ihrer Gemeinschaft mit dem Vertrauen darauf verknüpfen, dass sie bei diesem „Projekt“ mit ihren Unzulänglichkeiten und unvorhersehbaren Belastungen nicht allein gelassen werden.

Oder hinsichtlich gemeinsamer Kinder: Die Zeugung eines Kindes ist eben nicht nur ein biologisches, psychosoziales und biographisches Ereignis, sondern darf auch als ein Akt der Schöpfung und damit der Teilhabe an Gottes Wirken begriffen werden.

Und schließlich auch hinsichtlich des Umgangs mit Ungenügen und Versagen: Im Vertrauen darauf, dass ihr Zusammenleben noch einen tieferen Grund hat als nur die augenblicklich empfundenen Gefühle, dürfen sich die Ehepartner ermächtigt sehen, auch mit Schwächen, Halbheiten, Enttäuschungen und Abnutzungen so umzugehen, dass es in kritischen Situationen nicht zwangsläufig ist, dass der Partner oder die Partnerin fallengelassen wird.

Mit dem Versprechen, den anderen nicht preiszugeben, wird Gott ins Spiel gebracht.

Wenn der moralische Kern der Institution Ehe das gegenseitige Versprechen ist, die Liebe zum Anderen nicht um irgendwelcher Vorteile willen preiszugeben, dann wird Gott ins Spiel gebracht, weil man das eben aus eigener Kraft nicht einlösen kann.

Missverständnisse

„Sakramentalität“ – so könnte man kurz auch sagen – markiert das Unterscheidungsmerkmal zwischen der Ehe und anderen Beziehungen und Umgangsweisen, die uns aus dem täglichen Leben vertraut sind: Ehe ist zum Beispiel etwas grundsätzlich anderes als ein Handelsgeschäft, das man kalkulieren kann. Trotzdem ist „Sakramentalität“ von manchen Missverständnissen bedroht. Nichtkatholiken, aber nicht nur sie, verstehen sie oft so, als ob sie erst durch den Segen des Priesters zustande käme. Damit in Verbindung stellt sich schnell der Verdacht ein, diese theologische Qualifikation sei Ausdruck eines klerikalen oder institutionellen Machtanspruchs.

Und es gibt noch ein anderes Missverständnis, das auch unter Frommen anzutreffen ist. Es hat etwas mit magischen Vorstellungen gemeinsam. Man könnte es als Gelingens-Garantie-Vermutung charakterisieren: Was in der hervorgehobenen und festlich ausgestalteten Stunde der Heirat in Form eines Versprechens in Worte gebracht und durch Zeichen gedeutet wird, werde schon von selbst die entsprechende Wirklichkeit herbeiführen – als ob es nicht erst im gemeinsamen Alltag umgesetzt und gelebt, in schwierigen Lebenslagen vielleicht sogar erkämpft werden müsste.

Schließlich möchte „Sakramentalität“ auch mehr als nur eine religiöse Deutung oder Garnierung einer naturalen Realität sein. Denn sie hat ja auch ein „praktisches“, also zum Handeln ermutigendes und Hilfe zusprechendes Potential. Die zu starke Fokussierung auf das punktuelle Ereignis der Eheschließung verkürzt die eheliche Wirklichkeit und verzerrt, was mit „Sakramentalität“ eigentlich gemeint ist. Denn sie bezieht sich nicht nur auf den expliziten Beginn, sondern auf das Gesamt der Lebensgemeinschaft.

Was das für Kirche und Seelsorge bedeutet

Sakramentalität von Ehe besagt auch, dass sich in ihr Kirche ereignet. Ehe ist insofern nicht bloß eine Angelegenheit der durch sie verbundenen Partner, sondern ist überdies eingebettet in die größere Gemeinschaft. Deren Verantwortung erschöpft sich aber nicht in der Sorge für die richtige Lehre und liturgische Regie bei der Hochzeitsfeier. Vielmehr umfasst sie auch die Hinführung zur Ehe und Begleitung in ihrem Alltag, die Ermutigung zum redlichen Austragen von Konflikten, die Vermittlung von Erfahrungswissen anderer, Angebote akzeptierender und kompetenter Beratung, die Organisation von Unterstützung und Entlastung bei dichten Situationen usw.

Sakramentalität von Ehe besagt auch, dass sich in ihr Kirche ereignet.

Aber trotzdem bleiben die konkrete Entscheidung für die Lebensform Ehe, die Wahl des Partners, die Art und Dichte der Kommunikation und auch das Kinderhaben Angelegenheiten der persönlichen Entscheidung. Solche Freiheit gilt heute als Selbstverständlichkeit, in die man sich von niemandem reinreden lassen möchte. Wie weit diese Freiheit gestaltet werden kann, hängt gleichwohl auch von dem institutionellen und rechtlichen Rahmen ab, der sie sichert. Dass etwa Verbindungen über die Grenzen von Stand und Klasse möglich sind, ist historisch genauso wenig selbstverständlich wie das Verbot, eine Verheiratung ohne oder gegen den Willen eines Betroffenen oder gar die Verheiratung von Kindern zu dulden.

Zu diesem Rahmen von öffentlicher Anerkennung, wirtschaftlicher Unterstützung und rechtlichen Schutzmaßnahmen gehört auch die Regelung, wer Zugang haben soll zu dieser Institution. In der bisherigen Rechts- und Kulturgeschichte war stets klar, dass dies nur ein Mann und eine Frau in ihrer Verschiedengeschlechtlichkeit und der daraus erwachsenden prinzipiellen Möglichkeit, gemeinsame Kinder zu zeugen, sein können. Seit dem Beschluss des Deutschen Bundestags 2017 und mancher Parlamente im Ausland ist der Zugang jetzt auch für Paare gleichen Geschlechts offen. Das ist einerseits verständlich als Geste der Gleichstellung und Entdiskriminierung von Menschen mit gleichgeschlechtlicher Veranlagung. Andererseits stellt sich doch die Frage, ob nicht der Staat hiermit aus wohlmeinenden und politisch kalkulierten Gründen aus dem Begriff der Ehe einen Kerngehalt, nämlich die Generativität, herausgeschnitten hat. Im Vergleich zum bisherigen Verständnis von Sakramentalität jedenfalls tut sich hier eine Leerstelle auf.

Aktuelle Aufbrüche und Auseinandersetzungen

Seit Papst Franziskus eine Synode zur Familienpastoral angekündigt hatte (das war im Sommer 2013), ist in der katholischen Kirche weltweit viel und heftig debattiert worden, weshalb so viele Ehen, obschon sie sakramental geschlossen wurden, scheitern und was Trennung, zivile Scheidung und Zweitheirat theologisch und kirchlich bedeuten. Diese Fragen und die Folgen für die Teilnahme am Leben der Kirche sind weder zu Ende diskutiert noch konnten sie mit dem nachsynodalen Schreiben „Amoris laetita“ von 2016 autoritativ zur Ruhe gebracht werden. Trotzdem ist deutlich erkennbar: Auch auf der Ebene der amtlich Verantwortlichen ist bewusst geworden, dass man es sich in der Vergangenheit mit der Interpretation der Unverbrüchlichkeits- bzw. Treueforderung Jesu als rechtlich erzwingbare Unauflöslichkeit und mit der Gleichsetzung von Scheitern und schuldhaftem Verlassen vielleicht zu einfach gemacht hat.

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Konrad Hilpert: Ehe, Partnerschaft, Sexualität. Von der Sexualmoral zur Beziehungsethik. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2015.

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