Stichwort: Liebesheirat Ein kurzer Blick in die Geschichte der Eheschließung

Dass zwei Menschen, die heiraten, die Ehe aus Liebe eingehen, ist bekanntlich keine Selbstverständlichkeit. Über Jahrhunderte hinweg hatten Liebe und Sexualität ihren Platz eher außerhalb als innerhalb der Ehe. Wie in anderen Kulturkreisen bis heute diente die Heirat (oder besser: Verheiratung) zweier Menschen vorrangig ganz anderen Zwecken.

„Man geht davon aus, dass die Ehe zunächst einem Friedens- und Bündnisvertrag zwischen Sippen gleichkam“, schreibt die Historikerin Daniela Schmohl: „Sie verband unterschiedliche Clans oder Familien und sicherte so beiderseitiges Überleben.“  Daneben hatte die Ehe zahlreiche Ordnungs -und Schutzfunktionen. Sie „regelte Geburten und Kindererziehung, kontrollierte das Verhalten junger Frauen, sie war eine Gemeinschaft, die lange vor dem Sozialstaat Ernährung und Unterstützung ebenso verbindlich machte, wie sie die Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau in einer Ehe klar reglementierte und die Rollen in der Partnerschaft festschrieb“ (D. Schmohl: Die Geschichte der Ehe – ein Abriss. d-a-s-h.org/dossier/13/02_geschichte.html, abgerufen am 18.01.2018).

Mit der Einführung der kirchlichen Eheschließung im Mittelalter und der damit verbundenen Deutung der Ehe als von Gott gestiftetem Bund wurde die Zweierbeziehung der Eheleute wichtiger (vgl. den Beitrag von Konrad Hilpert). Auch mussten von nun an beide Partner in die Eheschließung einwilligen („Konsensprinzip“). Entscheidender Zweck der Ehe blieb aber die Zeugung von Kindern. Dadurch konnte das nach kirchlicher Überzeugung bestehende „Frömmigkeitsdefizit“ einer Ehe gegenüber einem zölibatären, keuschen Leben „ausgeglichen“ werden. Dieses Verständnis änderte sich erst mit der Reformation, die dem Zölibat keinen Vorrang mehr einräumte und der wechselseitigen sexuellen Befriedigung von Mann und Frau auch unabhängig von der Zeugung von Kindern ihren Wert zuerkannte.

Lange Zeit galt in der Geschichtswissenschaft die These, dass die tatsächliche Liebesheirat eine späte Erfindung des 18. Jahrhunderts sei. Erst die Romantik habe „dem Bürgertum das Ideal von der Vereinbarkeit von Liebe, Sexualität und der Ehe“ gegeben (vgl. Daniela Schmohl, ebd.). Diese These wird zwar auch heute noch vertreten (vgl. z.B. Wikipedia, Artikel „Liebesheirat“), sie ist aber so nicht mehr haltbar. Gegen sie schreibt der Mediävist Rüdiger Schnell: „Die mittelalterlichen Zeugnisse für einen weit verbreiteten Diskurs über die Integration von Liebe und Ehe sind unabweisbar“. Er verweist z.B. auf einen Brief von Papst Urban Ende des 11. Jahrhunderts, in dem dieser den König von Aragon auffordert, seine Nichte nicht mit einem ungeliebten Mann zu verheiraten.  Auch wenn in höfischen Romanen der Konflikt durchgespielt werde, dass eine junge Frau mit einem ungeliebten Mann verheiratet werden soll, siege stets das Argument, „dass eine unfreiwillig eingegangene Ehe falsch sei“ (R. Schnell: Die Alterität der Neuzeit. Versuch eines Perspektivenwechsels. In: Manuel Braun (Hrsg.): Wie anders war das Mittelalter? Göttingen, 2013, S. 62f.).

Das Ideal der Ehe aus Liebe ist also deutlich älter als man lange dachte.


Das Ideal der Ehe aus Liebe ist also deutlich älter als man lange dachte. Auch Schnells Belege weisen freilich darauf hin, dass es sich oft nicht realisieren ließ. Allein zur wirtschaftlichen Absicherung blieb v.a. Frauen oft gar nichts anderes übrig, als auch ohne Liebe in eine Ehe einzuwilligen, wenn sie nicht gerade, wie in den von Schnell angeführten Beispielen, in privilegierten höfischen Verhältnissen lebten.

Heute ist Einfluss der Familie bei der Partnerwahl zurückgedrängt und wirtschaftliche Gründe sind in der Regel nicht mehr ausschlaggebend. Dass freilich auch eine Ehe aus Liebe (egal ob unter homo- oder heterosexuellen Paaren) ihre Tücken hat, steht auf einem anderen Blatt. Denn die Liebe ist weit flüchtiger als die sozialen Rahmenbedingungen, die in früheren Zeiten zum Traualtar führten. Die Kehrseite der Liebesheirat ist denn auch der Anstieg der Scheidungsraten. Oder, wie es der Paartherapeut Arnold Retzer in seinem Buch Lob der Vernunftehe (2010) darstellt: Auch mit der Liebesheirat ist die Ehe aus Vernunftgründen nicht abgeschafft, sondern  nur ein bisschen in die Zukunft verschoben.

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