In Gabun gibt es zwei intakte Straßen. Die eine führt nicht zufällig von der Hauptstadt Librewille nach Lambarene. Dort steht das Albert-Schweitzer-Hospital. Die 1913 gegründete Klinik gilt bis heute als internationales Vorzeigeprojekt.
Die Geschichte des Albert-Schweitzer-Spitals ist wechselvoll. Sie beginnt im Jahr 1913, als Albert Schweitzer zusammen mit seiner Frau Helene erstmals nach Gabun reist. In Andende, einem Ort nahe Lambarene, sollen sie auf dem Gelände einer Missionsstation der Pariser evangelischen Missionsgesellschaft ein Krankenhaus aufbauen. Nach viereinhalb Jahren Arbeit wird das Projekt unterbrochen, da das Ehepaar Schweitzer als Kriegsgefangene nach Europa zurückkehren muss.
1924 kann Albert Schweitzer die Arbeit in Lambarene wieder aufnehmen. Dank seiner Einnahmen aus Büchern, Vorträgen, Vorlesungen und Orgelkonzerten hat er genügend Mittel, um das Projekt fortzusetzen. Im Jahr 1925 baut er auf einem anderen Grundstück ein neues Krankenhaus, das nicht mehr aus Hütten, sondern aus Holzgebäuden mit Wellblechdächern besteht und Platz für 250 afrikanische Kranke und 20 europäische Patienten bietet. Dort arbeitet Schweitzer bis zu seinem Tod im Jahr 1965.
Nach Schweitzers Tod geht die Arbeit weiter. 1975 wurde nochmals mit dem Bau eines neuen Krankenhauses begonnen, das 1981 in Betrieb ging. Aus dem ehemaligen Spital von 1927 wurden Museum und Gedenkstätte. In einigen hundert Meter Entfernung vom Spital baute Schweitzer von 1953 bis 1955 übrigens ein Lepradorf (vgl. albert-schweitzer-heute.de/lambarene/geschichte-des-spitals).
Moderne Poliklinik mit mehreren Tausend Patienten im Jahr
Trägerin des Albert-Schweitzer-Spitals ist heute eine internationale Stiftung, die neben den Eigeneinnahmen aus dem Spitalbetrieb vom Staat Gabun und nationalen Hilfsvereinen finanziert wird. Das Spital umfasst eine moderne Poliklinik mit drei Operationssälen sowie Geburtsabteilung, Kinderklinik und Zahnklinik. Außerdem gibt es einen Kindergarten, eine Grundschule und eine eigene Trinkwasseraufbereitung. Vor gut zehn Jahren stand das Spital kurz vor dem Aus, als eine Naturkatastrophe Zerstörungen angerichtet hatte. Schon zuvor fehlten im Haushalt des Krankenhauses rund eine halbe Million Euro, nachdem der Staat Gabun seine Subventionen gekürzt hatte. Aber letztlich hatte auch Gabun ein Interesse am Weiterbestehen des Hospitals.
Eine Ärztin aus Wien, die einige Zeit in Lambarene tätig war, bestätigt, dass die mit einem eigenen Forschungslabor ausgestattete moderne Poliklinik heute Mediziner aus aller Welt anzieht. Die Klinik verfügt auch über Kindergarten und Grundschule. Laut Darstellung der deutschen Stiftung werden hier Malaria- und Aidskranke sowie Tuberkulosepatienten behandelt. Wer bedürftig ist, wird wie zu Albert Schweitzers Tagen versorgt, auch wenn er/sie die Behandlung nicht bezahlen kann. Es heißt, dass die Klinik weit über die Region Lambarene hinaus eine große Bedeutung hat. Mehrere tausend Patienten werden jedes Jahr behandelt.
Die Geschichte des Spitals

In einem großzügig gestalteten historischen Komplex können sich die Touristinnen und Touristen darüber informieren, wie die Patientinnen und Patienten hier in früheren Jahrzehnten versorgt wurden. Fasziniert berichtet zum Beispiel eine Besucherin von dem Zahnarztstuhl, von dem man in die umgebende Natur blickt. Hier kann man Eintauchen in die Geschichte des Spitals. Diese hat Roland Wolf, Vorsitzender des Deutschen Hilfsvereins für das Albert-Schweitzer-Spital in Lambarene, anhand von Quellen von den Anfängen im Jahr 1913 bis zum Tode Schweitzers 1965 detailliert nachgezeichnet (R. Wolf: Albert Schweitzer und sein Spital in Lambarene. 60 Jahre unmittelbares menschliches Dienen, Beiträge zur Albert-Schweitzer-Forschung, Bd. 13, 2021).
Wer bedürftig ist, wird wie zu Albert Schweitzers Zeiten kostenlos behandelt.
Beeindruckt von der Arbeit in dem Hospital zeigte sich auch eine Ärztin aus Österreich. Gerade bei der Bekämpfung von Tropenkrankheiten wie Malaria oder Gelbfieber könne man hier viel lernen, meint sie nach ihrem Aufenthalt in Lambarene. Im Hospital wird in diesen Bereichen auch Forschung betrieben. Das zeigte sich auch während der Ebola-Epidemie in Afrika. Damals hieß es, dass in Lambarene an der Entwicklung eines Impfstoffs gearbeitet werde. Dass Informationen über den Klinikbetrieb nicht leicht zu bekommen sind, bestätigt Roland Wolf. Deshalb hat er dem Hospital, das mit Spenden aus aller Welt, insbesondere aus Deutschland und der Schweiz, unterstützt wird, zuletzt 2024 einen Besuch abgestattet. Der Bericht der Delegation im Albert Schweitzer Rundbrief Nr. 116 gibt einen guten Einblick in die aktuelle Arbeit vor Ort.
Vielfältige Arbeit vor Ort
Das Besucherteam wollte sich vor allem über die Projekte des Deutschen Hilfsvereins (DHV) informieren. Ihm wurde vor Ort bestätigt, dass die vom DHV finanzierten und bei action medeor in Deutschland bestellten Medikamente auf dem Weg nach Lambarene seien. Wolf erfuhr auch, dass der mobile Mutter-Kind-Dienst PMI dank deutscher Unterstützung seine Arbeit wieder aufnehmen konnte. „Bei einer Ausfahrt in die rund 25 Kilometer entfernte Buschambulanz von Koungoule waren wir zugegen, als 27 Kleinkinder im Alter bis 5 Jahre medizinisch betreut wurden, vor allem durch Impfungen, unter anderem gegen Gelbfieber“, heißt es in dem Bericht. Hier werde Kindern geholfen, die sonst wahrscheinlich ohne Impfung geblieben wären, da das Schweitzer-Spital, wo auch geimpft wird, zu weit entfernt ist. Auch der Zahnarzt will das Fahrzeug für eine Ausfahrt der mobilen Zahnklinik an Schulen der Umgebung nutzen.
Behandlung auch ohne Krankenversicherung
Weiterhin aktuell sei auch die DHV-Unterstützung von Burli-Kranken, die am Schweitzer-Spital behandelt werden können. Die Delegation sprach mit zwei Mädchen, der sieben Jahre alten Ruth und der 14 Jahre alten Charlène, die akut an einem Buruli-Geschwür leiden. Die von einem Mykobakterium hervorgerufene Krankheit reißt tiefe Wunden in die Haut. Den Angaben zufolge ist sie wenig erforscht, kann aber mit Antibiotika behandelt werden. Charlène , die aus Libreville gekommen ist, konnte frühzeitig behandelt werden. Dagegen ist bei Ruth, die eine schwere Wunde am Knie hat, ein chirurgischer Eingriff notwendig. Da Ruth keine Krankenversicherung hat, wird die alleinerziehende Mutter die beträchtliche Krankenhausrechnung nicht bezahlen können. Hier greift das Buruli-Projekt des DHV, das die Übernahme der Behandlungskosten dieser Krankheit sicherstellt, falls die Betroffenen nicht selbst zahlen können.
So sieht momentan die Arbeit des Klinikpersonals aus. Rund 250 Personen sind in dem Hospital aktuell beschäftigt. Der DHV unterstützt auch sogenannte Sozialfälle mit rund 40.000 Euro. Das sind ehemalige Leprakranke, psychisch Kranke und mittellose Bedürftige. Jean Claude ist der letzte im Lepradorf verbliebene ehemalige Lepröse.
Prägung durch koloniales Gedankengut
Eine kritische Würdigung von Albert Schweitzers Arbeit in Lambarene haben Hubert Steinke und sein Forschungsteam vom Institut für Medizingeschichte der Universität Bern Anfang dieses Jahres vorgelegt Nach ihrer Studie Albert Schweitzers Lambarene. Ein globales Spital im kolonialen Afrika (doi.org/10.46500/83535672) war Schweitzers Hilfsprojekt trotz allem humanitären Anspruch noch stark von kolonialem Gedankengut geprägt.
Gute medizinische Arbeit, aber ohne strukturelle Verbesserungen.
Den Angaben des Autorenteams zufolge wurde im Hospital zwar gute medizinische Hilfe geleistet, jedoch ohne den Anspruch zur grundsätzlichen Verbesserung der lokalen Strukturen durch Ausbildung von Personal und grundlegende Verbesserungen des Gesundheitswesens. Ziel sei vielmehr eine „Zivilisierung“ der afrikanischen Bevölkerung gewesen gemäß der Vorstellung Schweitzers vom „großen Bruder“ aus Europa, der dem „kleinen Bruder“ in Afrika hilft. „In der aktuell aufgeheizten Diskussion um koloniale Verflechtungen“ soll die kritische Studie nach den Worten von Steinke zeigen, „dass wir uns weder mit Glorifizierungen noch mit vereinfachenden Verurteilungen zufriedengeben sollten“.
Dies sind Einsichten, die auch Besucherinnen und Besucher von Lambarene bewegen, wie in persönlichen Gesprächen mit ihnen deutlich wird. Beim Beweggrund Schweitzers sind sich bei aller Überlagerung durch koloniale Einstellungen aber alle einig: Antrieb ist die Menschlichkeit gewesen. Der Impetus für die Entstehung der Klinik trägt bis heute.