Arbeit in einem Minenfeld Deutsche Hilfsorganisationen sehen sich mit dem Vorwurf des Antisemitismus konfrontiert

Alle Lösungsversuche sind bislang gescheitert: Der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist wie ein Stachel im Fleisch der Weltpolitik. Auch wer sich als Hilfsorganisation engagiert, begibt sich hier auf vermintes Gelände und ist schnell Zielscheibe heftigster Kritik. Zwischen den Konfliktparteien und ihren Anhängern scheint es nur ein Entweder-Oder zu geben. Differenzierte Zwischentöne sind selten.

Wer zum ersten Mal Jerusalem besucht, der kann sich der Wucht der Eindrücke nicht entziehen. Es ist die Präsenz der drei monotheistischen Weltreligionen auf engstem Raum. Durch diese Präsenz in ganz besonderen religiösen Stätten in der Stadt wird Religionsgeschichte auf einzigartige Weise erlebbar. Und es wird deutlich, dass diese Geschichte auch weiterhin von schmerzhaften Auseinandersetzungen geprägt sein wird.

Und wer durch Israel fährt und das Land aus dem biblischen Horizont betrachtet, der kann zumindest verstehen, dass für viele dieser Landstrich weit mehr ist als Heimat im profanen Sinn. Aus diesem Blickwinkel scheint hier jeder Stein religiös aufgeladen zu sein, für Juden und Christen. Dies führt schon mitten in einen Konflikt hinein, der seit Jahrzehnten die Weltpolitik in Atem hält und einen Keil getrieben hat zwischen die arabische Welt und den Westen. Es ist der Nahostkonflikt. Viele Muslime auf der ganzen Welt empfinden es als Schmach, dass mit Unterstützung des Westens inmitten der arabischen Länder ein jüdischer Staat entstanden ist. Seit der Unabhängigkeit Israels 1948 hat sich dieser Konflikt zwischen Israelis und Arabern in regelmäßigen Abständen in Kriegen und Gewalt niedergeschlagen.

Zahlreiche Anläufe zum Frieden

Auf dem Land, das von Juden Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in mehreren Wellen besiedelt wurde, haben Araber gelebt. 1947 gab es einen UN-Teilungsplan, den die arabischen Staaten nicht akzeptierten. Ein erster Krieg endete mit der Gründung eines Staates Israel und der Vertreibung hunderttausender von Palästinensern, von denen viele in den Nachbarstaaten bis heute in sogenannten Lagern leben. Es folgten mehrere Kriege, bei denen Israel weitere Gebiete besetzte. Die Lage ist trotz unzähliger Anläufe zur Beilegung des Konflikts so verfahren, dass eine friedliche Lösung unmöglich erscheint. Stattdessen kommt es zwischen Israelis und Palästinensern immer wieder zum militärischen Schlagabtausch.

Es scheint ein Teufelskreis zu sein, dem sich die verfeindeten Parteien nicht entziehen können. Die Palästinenser leben in besetzten Gebieten unter einer Autonomiebehörde. Der israelischen Regierung steht eine palästinensische Regierung gegenüber, die schwach und zerstritten ist. Diese Autonomiegebiete umfassen den Gazastreifen und einen Teil des Westjordanlandes und sind praktisch zweigeteilt. In Gaza herrscht die radikalislamische Hamas, die den Staat Israel grundsätzlich ablehnt, im Westjordanland ist es die moderate Fatah.

Die Lage ist verworren und kompliziert. Augenfällig ist das starke Machtgefälle zwischen Israelis und Palästinensern. Da ist ein moderner und hochgerüsteter Industriestaat, dem eine mangelhaft organisierte Verwaltung sowie eine rudimentär entwickelte Wirtschaft und Infrastruktur gegenüber stehen. Die Palästinenser haben keine ausreichende medizinische Versorgung, viel zu wenig Arbeitsplätze, nicht genügend Schulen und Ausbildungsstellen.

Zermürbende Wartezeiten

Wer die Autonomiegebiete besucht, erlebt Menschen, deren Alltag geprägt ist von Mühsal, Not und Entbehrung. Während der Gazastreifen ein abgeschlossenes und abgeriegeltes Gebiet ist, das Kritiker als großes Gefangenenlager bezeichnen, ist das Westjordanland kein zusammenhängendes Gebiet, sondern von jüdischen Siedlungen durchsetzt und von israelischen Checkpoints durchtrennt. So kann es sein, dass der Weg von einem palästinensischen Dorf zum anderen eine große Mühsal bedeutet. Ob jemand durchgelassen wird, das liegt im Ermessen der Soldaten. Lange Autokolonnen vor den Checkpoints sind Alltag. Zermürbend sind oft die Wartezeiten. Ein Arztbesuch ist manchmal unmöglich, weil die Wartenden wieder nach Hause geschickt werden. Felder werden konfisziert.

Von Israel errichtete Sperranlagen, zum Teil als neun Meter hohe Mauer, trennen inzwischen das Westjordanland von israelischem Gebiet. Der Gaza-Streifen war schon durch einen Sicherheitszaun abgetrennt. Aus israelischer Sicht verhindern die Absperrungen erfolgreich Terroranschläge. Auf jeden Fall entfremdet die Trennlinie Israelis und Palästinenser weiter voneinander. Sie zerstört auch die wirtschaftliche Grundlage von Palästinensern, weil sie ganze Dörfer von ihren Feldern und Brunnen trennt, worauf Kritiker immer wieder hinweisen.

Israelis wissen kaum etwas vom mühevollen Alltag der Palästinenser, von ihren Lebensumständen und ihrer wirtschaftlichen Situation. Groß ist die Angst vor Terroranschlägen sowie Angriffen. Aus dem Gazastreifen werden nahezu täglich Raketen auf israelisches Gebiet abgeschossen. Auf der anderen Seite leben Palästinenser, die sich nach nichts mehr als einem Stück Normalität sehnen, nach geregelter Arbeit und Sicherheit.

Von Radikalen befeuert

Wie kann man sich in so einer Gemengelage, die von radikalen Strömungen auf beiden Seiten negativ befeuert wird, unvoreingenommen engagieren? Feindbilder sind tief verwurzelt. Als westlicher Besucher in den Autonomiegebieten kann es durchaus passieren, dass man von Kindern und Jugendlichen mit Steinen beworfen wird, weil sie einen Freund des Staates Israel vermuten, der als Ergebnis imperialistischer Aggression unter Führung der USA gesehen wird. Andererseits schlägt dem Besucher Argwohn in Israel entgegen, wenn er die israelische Politik kritisiert.

Gegenwärtig sind lokale und ausländische Hilfsorganisationen ins Fadenkreuz der Kritik geraten.

Gegenwärtig sind lokale und ausländische Hilfsorganisationen ins Fadenkreuz der Kritik geraten. Ihnen wird vorgeworfen, die Sache des Friedens als Geschäftszweig zu betreiben und so den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern weiter zu schüren. Deutsche Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Israel sehen sich gar dem Vorwurf ausgesetzt, einen modernen Antisemitismus zu befördern. Nicht zuletzt hat der jüdische Autor Tuvia Tenenbom mit seinem Buch „Allein unter Juden“ für Wirbel gesorgt. Er wirft israelischen NGOs vor, den Hass zwischen Israelis und Arabern zu schüren – und dies mit deutscher Unterstützung.

Es drängt sich der Verdacht auf, dass hier im Zuge einer Kampagne Partei für Israel ergriffen wird, aus Zorn über die Parteilichkeit von NGOs und Hilfsorganisationen wie dem Internationalen Roten Kreuz für die Anliegen der Palästinenser.

Vorwurf des Antisemitismus

Tenenbom zielt dabei besonders auf Deutsche ab, die sich gerne mit Palästinensern verbünden würden, um von der eigenen historischen Schuld abzulenken. Im Urteil Tenenboms ist der Nahostkonflikt ein Fetisch für westliche Weltverbesserer, die nicht anders könnten, als Israel ständig am Zeug zu flicken. Da kommt auch das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst“ ins Spiel, das die israelische NGO B’Tselem unterstützt. Ziel ist die Durchsetzung und Einhaltung der Menschenrechte in den besetzten Gebieten. Unglücklicherweise stößt Tenenbom da noch auf einen Rechercheur der Organisation, der sich als Holocaustleugner entpuppt. Tenenbom verschweigt jedoch, dass sich B’Tselem von dem Mitarbeiter gerade deshalb getrennt hat und sich eindeutig von solchen Positionen distanziert.

Er wirft den NGOs vor, antisemitische Stereotype zu verbreiten und Israel als Apartheidstaat zu diffamieren. Ins gleiche Horn stößt Gerald Steinenberg, Politikwissenschaftler in Jerusalem und Präsident einer NGO-Beobachtungsstelle. Organisationen wie Brot für die Welt, Misereor, Medico und politischen Stiftungen würden „offenen Antisemitismus“ und Israel-Hass verbreiten. Die von diesen Organisationen geäußerte Kritik an Israel sei völlig überzogen und würde den Konflikt nur weiter schüren, statt Frieden zu schaffen. Dass Israel Kriegsverbrechen und Apartheid vorgeworfen werde, sei schlicht unmoralisch.

Daueropfer westlicher Politik

Andere Autoren sehen die Berichterstattung über den Nahostkonflikt grundsätzlich unausgewogen. Danach sei es den Palästinensern gelungen, sich als Daueropfer westlicher, insbesondere israelischer Ungerechtigkeit zu etablieren. An anderer Stelle heißt es, die Hunderte von Hilfsorganisationen und Friedensgruppen in den Palästinensergebieten hätten das Geschäft mit dem Frieden als lukrativen Wirtschaftszweig etabliert. Und es werde das Bild vom brutalen Goliath und hilflosen David verbreitet, auch wenn die Wirklichkeit viel komplizierter sei.

Die Vielschichtigkeit des Konflikts wird auch in der deutschen Medienberichterstattung nicht deutlich.

Dies ist das entscheidende Stichwort: Die Realität ist kompliziert. Aber diese Vielschichtigkeit wird auch in der deutschen Medienberichterstattung über den Nahostkonflikt nicht deutlich. Die aktuellen Berichte über gewaltsame Konflikte können selten mehr erreichen, als vorhandene Klischees zu verstärken. Hintergrundberichte und Analysen bleiben die Ausnahme.

Es geht mir hier nicht darum, die Vorwürfe der Israelfeindlichkeit im Einzelnen auf den Prüfstand zu stellen. Das erscheint auch nicht sinnvoll, denn es ist offensichtlich, dass hier Kritiker der israelischen Politik mit pauschalen Unterstellungen und einem medialen Paukenschlag an den Pranger gestellt werden sollen. Da wird durchaus auch mit Emotionen gearbeitet, die gerade in Deutschland mit der furchtbaren Vergangenheit des Holocaust zumindest an Schuldgefühle anknüpfen können.

Moralische Keule

An diesem Punkt muss sich die gegenwärtige harsche Kritik an Hilfsorganisationen den Vorwurf gefallen lassen, deren Anspruch und guten Willen, bei ihrer Arbeit in der Region Versöhnung und Dialog zwischen den verfeindeten Parteien zu befördern, zu diffamieren und zu verleumden. Der Vorwurf des Antisemitismus ist eine moralische Keule, gegen die man sich nur schwer mit Argumenten wehren kann. Ähnliches gilt allerdings auch für die Gegenseite: Denn wenn den Israelis ethnische Säuberungen und Rassismus vorgeworfen werden, dann führt auch das zu pauschalen Diffamierungen. Diese rote Linie sollte keine der beiden Seiten überschreiten. Motiviert ist israelische Politik durchaus auch von der grundsätzlichen Angst vor der Vernichtung des jungen Staates. Und der Vorwurf, dass auf arabischer Seite manche positive Bewertung nationalsozialistischer Politik zu hören sei, ist keineswegs falsch.

Jegliche Schuldzuweisung wird weder der Sache noch den Leiden und Ängsten der Menschen auf beiden Seiten gerecht. Die Menschen sind zum Teil auch Opfer der eigenen politischen Führung. Die Verfasser der Antisemitismus-Vorwürfe scheinen darauf zu setzen, dass bei einer pauschalen Verurteilung auf jeden Fall etwas hängen bleibt. Dies schürt nur gegenseitigen Hass. Das ist nicht nur unfair, sondern auch gefährlich. Differenzierung statt geistiger Brandstiftung ist nötig.

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