Das Beziehungsnetz der Generationen ist stark Aber ein gerechter Ausgleich muss jetzt dennoch neu verhandelt werden

Die Generationen in Deutschland gehen solidarischer miteinander um, als es den Anschein hat. Die vielfältige emotionale und praktische Verbundenheit im Alltag schafft es jedoch selten in die Schlagzeilen. Das Bild der Verschwörung der einen gegen die anderen ist korrekturbedürftig.

„Ist uns wirklich klar, dass wir nicht mehr auf Zeit spielen können und dass jeder von uns gehörige Veränderungen und ein fundamentales Umdenken in Kauf nehmen muss, wenn wir in der Klimaveränderung auf den allerletzten Metern noch einen Richtungswechsel vollziehen wollen?“, fragt Herbert Grönemeyer. Der Singer-Songwriter ist inzwischen 65; mit seiner Videobotschaft zur Bundestagswahl appellierte er an die Menschen seiner Generation, an die großen Fragen unserer Zeit zu denken: An Klimawandel, Digitalisierung, die wachsende Schere zwischen Arm und Reich, Rassismus und Ausgrenzung.

Rund 38 Prozent der Wahlberechtigten waren bei der letzten Wahl über 60 Jahre alt. Die Sorge, dass die Älteren nur von ihren eigenen Interessen geleitet würden, war nicht unberechtigt. Das Ergebnis zeigt: Zukunftsfragen wie Digitalisierung und Klimawandel standen bei den Erst- und Zweitwählern ganz vorn; sie wählten vor allem FDP und Bündnis 90/Die Grünen, während die Älteren meist den „alten Volksparteien“ treu blieben. Dabei mag beim SPD-Wahlprogramm auch das Versprechen einer stabilen Rente gezogen haben. Durch den Geburtenrückgang seit den 1960er Jahren steht einer immer kleineren Zahl an Erwerbstätigen eine wachsende Zahl an Rentenempfänger*innen gegenüber. Konzepte, die die Sicherheit der Rente für alle garantieren sollen, ohne die Beitragszahlenden zu überfordern, laufen meist auf niedrigere Renten und ein späteres Renteneintrittsalter hinaus – was von denjenigen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, als ungerechte Rentenkürzung empfunden wird, während die Jüngeren Sorge haben, ob sie überhaupt jemals eine Rente bekommen.

Aber lässt sich – angesichts der Veränderungen durch den Klimawandel – die Arbeitssituation in zehn oder 20 Jahren überhaupt hochrechnen? Die einen setzen auf mehr Produktivität durch Digitalisierung, die anderen gehen davon aus, dass der Verzicht auf Konsumgüter und die Veränderungen der Mobilität zu einer Minderung der Erwerbsstunden führen werden. In jedem Fall wächst die ökonomische Spreizung bei der Rente, die in Deutschland grundsätzlich leistungsbezogen nach dem Äquivalenzprinzip berechnet wird, wie beim leistungslosen Einkommen, dem Erbe. Ob die Idee des „Generationenerbes“, die sich im Wahlprogramm der Union fand, hilfreich ist, ist noch strittig. Dabei würden alle Bürger*innen bis 18 jeden Monat eine staatliche Ausschüttung in einen Rentenfonds erhalten.

Wechselseitige Angewiesenheit und Unterstützung

Die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung haben alle gesellschaftlichen Gruppen betroffen. Die Herausforderungen und Schwierigkeiten, die sich aus den Kontaktbeschränkungen ergaben, trafen vor allem die, die auf Fürsorge und Zusammenhalt besonders angewiesen sind. Kinder, die nicht zur Schule gehen konnten, Eltern, die zwischen Homeoffice und Homeschooling zerrissen wurden. Ältere, die alltägliche Begegnungen, die Besuche innerhalb der Familien und im Freundeskreis vermissten. Projekte wie Einkaufshilfen oder Impfpatenschaften zeigten eine große Bereitschaft der Jüngeren, für die Großelterngeneration zu sorgen und auch selbst zurück zu stecken. In welchem Maße die Zivilgesellschaft aber auch vom Engagement der Älteren lebt, war vielen vorher nicht bewusst. Vor allem die jungen Alten fehlten bei der Betreuung der Enkelkinder in Zeiten des Homeschooling, als Ehrenamtliche bei den Tafeln für immer mehr Bedürftige, in der Hausaufgabenhilfe, als Sprachhelfer*innen für junge Migrant*innen, als Hospizbegleiter*innen und als Leih-Omas und -Opas. Die Onlinegesprächsreihe „Oma trotzt Corona“, die ich mit meiner Agentur Seele und Sorge veranstaltete, bot ein Forum, um die Vielstimmigkeit der Reaktionen auf die Pandemie auszuloten und auch kreative Ansätze zu diskutieren (vgl. www.seele-und-sorge.de/?page_id=5293).

Generationenbeziehungen sind eine bedeutsame Stütze zur Überwindung von Lebensrisiken. Das gilt in der Familie ebenso wie im Gemeinwesen. Ältere erhalten, wenn sie hilfsbedürftig werden, vielfältige praktische Hilfen zur Bewältigung des Alltags, bei Einkauf, Behördengängen, Arztbesuchen und bei Haushaltsdingen – von ihren Angehörigen, aber auch von Nachbar*innen und Freund*innen. Umgekehrt ist für die Mehrheit der Älteren die Großelternschaft eine Sinn gebende Altersrolle, sie verbinden damit ein hohes Maß an Erfüllung und Zufriedenheit. Dabei beschränkt sich die Großelternrolle nicht auf die eigene Familie; vielmehr geht es grundsätzlich um das Interesse an den kommenden Generationen.

Die Unterstützung zwischen den Generationen lässt sich auch auf der Ebene von Geld und Sachleistungen beobachten: Im Unterschied zu den öffentlichen Transferströmen verlaufen die privaten, innerfamiliären Zuwendungen von Alt nach Jung. Rund 36 Prozent der 70- bis 85-Jährigen bedachten laut dem Deutschen Alterssurvey (www.dza.de/fileadmin/dza/Dokumente/Publikationen/AS_2008_DEAS.pdf) ihre Kinder und Enkel mit Geld- und Sachleistungen, jährlich 3,5 Milliarden Arbeitsstunden investierten die 60- bis 85-Jährigen darüber hinaus für die Hilfe in der Familie und die Betreuung der Enkel.

Die Zukunft gemeinsam und umfassend denken

„Das Klima ist die neue Gerechtigkeitsfrage“, sagt Klimaschutzaktivistin Luisa Neubauer (*1996). Ist es wirklich so, dass sich die Interessen der Über- und Unter-60-Jährigen daran scheiden? Die einen für Rente und Pflege, die anderen fürs Klima? Klimawandelleugner*innen gibt es in allen Altersgruppen – genauso wie das Engagement für die Bewahrung der Schöpfung, für die im Mai 2021 auch das Bundesverfassungsgericht mehr Tempo verordnet hat (www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html). Ökologisch wie finanziell geht es um Nachhaltigkeit und Gestaltungsmöglichkeiten für die nächsten Generationen. Sichtbar wird das Engagement der Älteren für eine lebenswerte Zukunft in einer gesunden Welt auch an den vielen Wissenschaftler*innen, Eltern und Großeltern, die die Jungen bei Fridays for Future unterstützen. Sie wissen längst: Das Bruttoinlandsprodukt ist nicht nur blind für die externalisierten Kosten und die Zerstörung der Gemeingüter, sondern auch für die Probleme der sozialen Spreizung.

Auf diesem Hintergrund wird über neue Kriterien für Wohlstand und Wohlfahrt diskutiert, wie sie im „Glücksindex“ (happiness-report.s3.amazonaws.com/2020/WHR20.pdf) erhoben werden. Der misst Lebensqualität nicht zuerst im Nutzen von Waren und Dienstleistungen, also in Geld, sondern ganz wesentlich in Zeitwohlstand. Die Zeit für Sorgearbeit und Engagement geht nämlich mit ihrer Produktivität bisher nicht ins BIP ein. Dabei hängen Wohlstand und Wohlergehen eben auch von stabilen Familien, einer gesunden Umwelt und sinnvoller Arbeit ab. Dorfläden, regionale Vertriebsnetze, Reparaturfirmen für Computer sind Schritte auf dem Weg zu einem klimafreundlichen Wirtschaften: Weg von der Produktion immer neuer Güter hin zu Sharing und Mehrfachnutzen. Und es sind nicht zuletzt Seniorinnen und Senioren, die sich in dieser Richtung engagieren. In der Generationenstiftung (www.generationenstiftung.com) arbeiten inzwischen 40.000 Ältere und Jüngere (mit dem Jugendrat) gegen die ökologische Katastrophe.

Strukturen verändern, Bildungschancen verbessern, Leistungen honorieren

Gleichwohl braucht Gerechtigkeit immer auch einen Ordnungsrahmen im Steuer- und Sozialversicherungssystem. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klimagerechtigkeit müssen nun auch politische Lösungen schneller angestoßen werden, um den ökologischen wie den sozialen Umbau unserer Gesellschaft voranzutreiben und den gesellschaftlichen Zusammenhang – auch unter den Generationen – zu schützen. Immerhin haben 71 Prozent der jungen Generation kein oder nur geringes Vertrauen in die Politik. Die neue Koalition will dem mit einer Senkung des Wahlalters begegnen. Einen anderen Impuls wollen der Deutsche Familienverband und der Familienbund der Katholiken setzen. Sie haben beim Bundesverfassungsgericht Klage eingereicht gegen die doppelte Belastung von Familien bei der Sozialversicherung: Solange Versicherte mit Kindern die gleichen Beiträge zu Renten-, Kranken- und Sozialversicherung zahlen müssen wie solche ohne Kinder, werde ihre Leistung für die Erziehung der Kinder – und damit auch für die zukünftige Sicherung des Rentensystems – nicht anerkannt, zudem werde ihnen und damit auch den Kindern Geld entzogen. Die Vorschläge für ein Familienwahlrecht gehen in eine ähnliche Richtung.

Auch mit Verbesserungen im Bildungssystem gilt es die Lebenssituation der nachwachsenden Generation wahrzunehmen und ihre Chancen zu fördern. Offenbar haben wir als Gesellschaft noch nicht begriffen, dass Schule mehr ist als eine Anstalt zur Ausgabe von Zertifikaten über standardisiertes Wissen. Die Arbeitsplätze der Zukunft werden in einer ganz anderen Welt entstehen. Wer sich darauf vorbereiten will, braucht Eigenständigkeit und Kreativität. Kinder und Jugendliche müssen dabei mit ihren Erfahrungen, ihren Fragen und Ideen ernst genommen werden. Grönemeyer hat recht: „Haben wir den Mut einer frischen, jüngeren Generation zuzuhören, Verantwortung zu übertragen, sie zu stärken und zu unterstützen, Neues zu wagen, uns wieder zum Mitmachen zu motivieren, zu überzeugen und gemeinsam mit ihnen zu lernen?“

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Cornelia Coenen-Marx: Die Neuentdeckung der Gemeinschaft – in Kirche, Pflege und Quartier. Vandenhoeck und Ruprecht 2021.

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