Generationen und Konversionen im Judentum Rassismus hat in der Bibel keinen Platz

Der Bund Moses besteht aus der Gemeinschaft der Juden. Der Noah-Regenbogen-Bund umfasst Nichtjuden und Juden gleichermaßen. Unter dem Segen Gottes leben sie in unterschiedlichen familiären Traditionen, nicht in biologisch festgezurrten Grenzen.

Das mit Abstand häufigste Vorurteil gegen das Judentum und gegen die Bibeln besagt, dass es sich bei Semiten um eine „Menschenrasse“ handele und dass „das Alte Testament doch ziemlich rassistisch“ sei. Schnell wird von daher dann auch dem heutigen Judentum Rassismus unterstellt – und umgekehrt etwa arabischer Antisemitismus unter dem Hinweis verdrängt, „das seien doch selbst Semiten und könnten also gar keine Antisemiten sein.“

Wie steht es aber wirklich um die Bedeutung von biologischer Abstammung und Vorfahrenschaft in den biblischen Texten und im rabbinischen Judentum?

Die gemeinsame Abstammung aller Menschen im Bilde Gottes

Im Gegensatz zu vielen anderen, religiösen Schöpfungsmythologien weist die hebräische Thora – aus der auch Rabbi Jehoschua / Jesus schöpfte und die er niemals als „Altes Testament“ bezeichnet hätte – ausdrücklich darauf hin, dass alle Menschen Nachfahren nur eines Menschenpaares gewesen wären: Kinder von Eva und Adam. Und diese eindrucksvolle Geschichte wird im Noah-Mythos sogar noch einmal erneuert und ethisch verstärkt: Weil er und seine Familie sich nicht der allgemeinen Gier und Gewalttätigkeit der damaligen Menschheit gefügt hätten, habe Gott alleine die Familie des Noah vor der Sintflut gerettet. Alle Menschen seien also Nachfahren des Noah und, mehr noch, mit diesem unter den göttlichen Bund des Regenbogens gestellt. Das ist der Grund, warum das rabbinische Judentum später auf aktive Missionsarbeit verzichten konnte: Nach jüdischer Auslegung schon des Talmud können auch Nichtjuden als Kinder Noahs (B’nei Noach) „Anteil an der kommenden Welt“ erlangen – ein glückliches Jenseits sei auch Nichtjuden zugänglich. Ja, ein Konversionswilliger sei sogar ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass er als Kind des Noah nur sieben Gebote zu erfüllen habe – als Mitglied im Bund des Moses dann aber 613 Gebote!

Sem begründet keine Rasse oder Sprachgruppe, sondern eine Schule

Auch den Sem finden wir als Sohn des Noah, aber nach jüdischer Talmud-Auslegung ausdrücklich nicht als Begründer einer „Rasse“ – sondern einer Schule. Er habe gemeinsam mit seinem Enkel Eber (dem ersten „Hebräer“) ein Lehrhaus zu Jerusalem errichtet, in dem das Alphabet allen gelehrt worden sei, die es lernen wollten. So sei – darauf legt nicht nur der Talmud wert – nicht nur Abraham, sondern auch dessen Sklave Eliezer unterrichtet worden. Thomas Mann betonte dann wiederum in seiner berühmten „Joseph“-Trilogie, dass der biblische Held die „Menschenschrift“ des Alphabetes von Eliezer gelernt habe.

Aber nicht nur die Auslegung, auch der biblische Urtext selbst machen klar, dass es beim Judentum wohl um Traditionen in Familien, aber nie um „Rassen“ ging: So wird die Urgroßmutter des späteren Königs und Psalmisten David als Moabiterin und Konvertitin vorgestellt, ja sie erhält ein eigenes, hoch gewürdigtes Buch (Ruth) im jüdisch-biblischen Kanon des Tanach. Selbst also die königliche und nach einigen Auslegern auch messianische Linie wird im biblischen Urtext ausdrücklich auch mit Konversionen versehen.

Veränderungen in Abstammungs- und Konversionsregeln

Historisch feststellbar ist schließlich, dass sich die Abstammungsregeln geändert haben: Während Konversionen ins Judentum immer – wenn auch unterschiedlich schwer – möglich waren, veränderten sich die Regeln ab Geburt. Galten in früheren Zeiten, wie heute noch im Islam, die Kinder nach der Religion des Vaters, so setzte sich spätestens im Mittelalter die Abstammung über die Mutter durch. Und genau gar nichts daran ist sonderbar: Im Islam zählt, wie erwähnt, die Abstammung vom Vater, im Judentum von der Mutter, in Hinduismus und Ezidentum (Jesiden) von beiden. Konversionen sind im Judentum grundsätzlich möglich – wenn auch in den Anforderungen auch in Israel hoch umstritten –, im Islam leicht und im Ezidentum bisher noch ganz unmöglich.

Unter den Weltreligionen kennen nur das Christentum und der Buddhismus keine Religionszugehörigkeit ab Geburt, sondern verlangen Beitrittsrituale, die jedoch im Buddhismus wiederum nicht religiös exklusiv sein müssen. Kurz geschrieben: Es ist hier nicht das Judentum „sonderbar“, sondern umgekehrt gerade das Christentum, das im Konzert der großen Religionen eine einzigartige Ausprägung der Religionszugehörigkeit über Taufe und Kirchen ausgeprägt hat.

Entsprechend staunen Christinnen und Christen bisweilen noch darüber, dass nur etwa die Hälfte der Menschen jüdischer Herkunft und kaum noch ein Fünftel (!) der Menschen muslimischer Herkunft in Deutschland einer Synagogen- oder Moscheegemeinde angehören. In den meisten nicht-christlich geprägten Regionen der Erde werden exklusive Mitgliedschaften in selbstorganisierten Religionsgemeinschaften nicht vorgeschrieben, vielerorts sogar als potentielle Infragestellung der Staatseliten unterdrückt.

Debatten über sog. Vaterjuden

Die für jüdische Gemeinden oft unangenehmen Debatten über die Zugehörigkeit von Nachkommen nur jüdischer Väter zum Judentum – die sog. „Vaterjuden“ – erweist sich daher als nicht so außergewöhnlich, wie es zunächst scheint. Die individuelle Religionsfreiheit erlaubt es Menschen in Deutschland, sich nach freiem Entschluss als Jüdin, Christ, Anders- oder Nichtglaubender, ja auch etwa als Schamanin, Hexe, Bischof oder Papst selbst zu definieren. Daraus entsteht aber wiederum kein Anrecht auf gemeinschaftliche Anerkennung: Kirchen dürfen weiter davon ausgehen, dass zum „wahren“ Christsein eine Taufe mit „richtiger“ Bekenntnisformel gehört – ganz genauso wie auch jüdische Gemeinden auf eine von Rabbinern anerkannte Konversion beharren können.

Auch in Israel haben Gerichts-, Regierungs- und Parlamentsentscheide zuletzt eine Dezentralisierung von Konversionsprozessen aus dem lange ultraorthodoxen Oberrabbinat vorbereitet, zeichnet sich eine Pluralisierung der Zugänge zum Judentum ab. Umgekehrt haben sich bei aller ökumenischen Weite aber bisher auch nicht die großen Kirchen dazu bereit gefunden, etwa eine Taufe der Heiligen der Letzten Tage der Kirche Jesu Christi (Mormonen) als Zugang zum allgemeinen Christentum anzuerkennen.

Allzu naseweise Ratschläge von christlicher und gerade auch deutscher Seite können daher dem innerjüdischen Klärungs- und Entwicklungsprozess bisweilen eher schaden als nutzen.

Chancen für ein vertieftes, christliches Verständnis

Umgekehrt bietet ein vertieftes Verständnis sowohl des allgemein-menschlichen noachidischen wie des spezifisch-jüdischen mosaischen Bundes Christinnen und Christen eine Chance, auch viele Taten und Aussagen Jesu vor dessen jüdischem Hintergrund besser und tiefer zu verstehen. So ist Jesu Lob für den römischen Offizier (Matthäus 8,5-13), der sich beim Rabbiner für seinen Diener eingesetzt hat, gut jüdisch-noachidisch und setzt keine, im Text auch nicht berichtete, nachfolgende Taufe voraus. Die Lehre, dass alle Ungetauften aus Gottes Bünden fielen, wäre dem historischen Jehoschua sicher bizarr erschienen und wahrscheinlich zurückgewiesen worden.

Umgekehrt bietet der Vergleich der Abstammungs- und Konversionsregeln Christinnen und Christen aber auch die Chance, analog der Ausbreitung von „Kulturmuslimen“ mehr und mehr „Kulturchristentum“ wahrzunehmen. So hat sich etwa der christliche Kalender samt zentraler Feiertage weit über Getaufte hinaus verbreitet und sind auch neue, etwa islamische, buddhistische, hinduistische und jüdische Jesus-Wahrnehmungen in den Blick gekommen.

Dass Religionen in der Tiefe oft verblüffend ähnliche Fragen zu beantworten haben – auch jene nach den Grenzen zwischen individueller Identifikation und gemeinschaftlicher Anerkennung von Zugehörigkeiten –, kann zu einer Brücke werden, über die sich Menschen auf gemeinsamen Wegen erkennen. Wenn dabei noch die besondere Wertigkeit kinderreicher Familien für die demografische Zukunft religiöser Traditionen und die biblischen Wurzeln des Wortes „Bildung“ in den Blick geraten – dann wäre schon überaus viel gewonnen.

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