Wir brauchen einen neuen Generationenvertrag! Forderungen der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen

Die Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen sieht junge Menschen gegenüber Angehörigen der älteren Generation in vielen Lebensbereichen systematisch benachteiligt. Sie setzt sich dafür ein, dies zu ändern.

Gerontokratie und Wahlrecht

„Der Jugend gehört die Zukunft, den Alten alles andere“. In der Mode oder Werbung werden sicherlich gern Bilder von Jugendlichkeit benutzt, aber politisch existiert das Gegenteil: eine Vorherrschaft der Alten, eine Gerontokratie. Das ist keine Wertung, sondern schlicht eine Zustandsbeschreibung. Die Interessen der rasch wachsenden Gruppe der Älteren werden politisch immer gewichtiger. Bei der jüngsten Bundestagswahl waren nur noch 15 Prozent der Wahlberechtigten unter 30, aber mehr als ein Drittel über 60 Jahre alt. Das hat zur Folge, dass die Interessen der älteren Generation politisch gesetzt sind, während die der Jungen weniger berücksichtigt werden.

Es gibt von Karl Valentin den schönen Satz „Es gibt alte Talente und junge Greise, Geburtsscheine sind keine Beweise“. Trotzdem schreibt man zurecht Jungen und Älteren verschiedene Eigenschaften zu: Jüngere sind im Durchschnitt einfach innovationsfreudiger, dafür sind Ältere weiser. Wir brauchen beides, auch in Parlamenten. Wahlberechtigt sollten junge Menschen sein, sobald sie sich selbständig in eine Wahlliste eintragen, nicht ab einem willkürlich gesetzten Alter. Die meisten Bedenken, die gegen das „Wahlrecht durch Eintragung“ vorgebracht werden, halten einer kritischen Prüfung nicht stand: Kategorien wie politische Urteilsfähigkeit und Reife, Wissen oder politisches Interesse sind keine legitimen Kriterien für die Verleihung des Wahlrechts, da sie mit den Geboten einer allgemeinen und gleichen Wahl kollidieren. Überdies werden sie auch bei älteren Bürgern nicht zur Voraussetzung gemacht. Außerdem verfügen bereits viele Jugendliche und ältere Kinder über alle kognitiven Fähigkeiten sowie ausreichende moralische Urteilsfähigkeit, um eine bewusste Wahlentscheidung treffen zu können. Ein großer Teil der Jugendlichen ist zudem politisch interessiert, fühlt sich aber vom politischen Betrieb nicht angesprochen. Kurzum: Jede fixe Altersgrenze beim Wahlrecht ist willkürlich gesetzt und im Einzelfall ungerecht. Deswegen brauchen wir ein Wahlrecht durch Eintragung. Es kann nicht von Babys und Kleinkindern genutzt werden, wohl aber von allen, die wählen wollen (vgl. generationengerechtigkeit.info/wp-content/uploads/2018/04/PP-Wahlrecht_2018.pdf).

Institutionen für zukünftige Generationen

Den heute Lebenden steht eine riesige Zahl von Menschen gegenüber, die nach ihnen leben werden. Für diese zukünftigen Generationen gibt es noch überhaupt keine politische Interessensvertretung.[1] Schon Hans Jonas schrieb: „[N]ur gegenwärtige Interessen [bringen sich] zu Gehör und machen ihr Gewicht geltend und erzwingen Berücksichtigung. Ihnen sind öffentliche Autoritäten Rechenschaft schuldig, und dies ist die Art und Weise, wie die Respektierung von Rechten konkret zustande kommt (im Unterschied zu ihrer abstrakten Anerkennung). Die ›Zukunft‹ aber ist in keinem Gremium vertreten; sie ist keine Kraft, die ihr Gewicht in die Waagschale werfen kann. Das Nichtexistente hat keine Lobby und die Ungeborenen sind machtlos“ (Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Frankfurt am Main 1979, S. 55).

Generationen-Gerechtigkeit gehört als Generalklausel ins Grundgesetz.

In der Politischen Theorie ist inzwischen umfang- und facettenreich begründet worden, dass Demokratien zur Gegenwartspräferenz neigen. Generationengerechtigkeit gehört als Generalklausel ins Grundgesetz – anknüpfend an das historische Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Klimagesetzgebung der abgelösten Großen Koalition. Zudem brauchen wir einen Zukunftsrat, der bestehende Sachverständigengremien zusammenfassen und erweitern sollte – und der das Recht haben müsste, eigene Gesetzesinitiativen einzubringen. Dafür müsste Artikel 76 des Grundgesetzes geändert werden. Zu besetzen wäre dieses Gremium für sieben Jahre ohne Verlängerungsmöglichkeit. Damit er möglichst unabhängig ist, sollte der Zukunftsrat zur Hälfte aus der Wissenschaft heraus gewählt werden, die andere Hälfte kann die Politik besetzen[2] (vgl. generationengerechtigkeit.info/wp-content/uploads/2020/06/PP_7-Bausteine-fuer-eine-zukunftsgerechte-Demokratie.pdf).

Renten- und Pensionspolitik

Einen neuen Generationenvertrag brauchen wir aber auch in der Rentenpolitik. Bei der Einrichtung des Umlageverfahrens war das grundlegende Prinzip, dass die Rente den Löhnen folgen soll, also der Lohnentwicklung entsprechend steigen oder auch sinken. Doch das wurde mit dem Rentenpaket 2018 außer Kraft gesetzt: Nach unten folgen die Renten den Löhnen nicht mehr, dafür sorgt die so genannte Rentengarantie. Während in der Pandemie durch die Kurzarbeit die Löhne gesunken sind, werden die Renten um mehrere Prozent ansteigen. Wegen Corona, konkreter: dem Einbruch der Wirtschaft und der anschließenden Erholung, wird sich die Schere zwischen Verrenteten und Lohnempfangenden massiv öffnen. Dies ist ein Fehler im System, der dringend ausgebügelt werden muss.

Weitere Reformen sind wegen der andauernden Alterung der Gesellschaft in den nächsten Jahren erforderlich. Wenn die Politiker von künftigen Rentenreformen auch selbst betroffen sind, wird es bessere Reformen geben, daher sind – als wichtiger Zwischenschritt hin zu einer Erwerbstätigenversicherung – Abgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen. Und zwar noch in der aktuellen Legislaturperiode (vgl. generationengerechtigkeit.info/wp-content/uploads/2020/12/SRzG-PP_Rente-und-Pensionen-Dez-2020.pdf).

Klima- und Umweltpolitik

Besonders deutlich wird die Notwendigkeit eines neuen Generationenvertrags beim Klima, der ganz großen Frage der Generationengerechtigkeit. Ein Kind, das im Jahr 2021 geboren wird, wird im Laufe seines Lebens durchschnittlich doppelt so viele Waldbrände, zwei- bis dreimal so viele Dürren, fast dreimal so viele Flussüberschwemmungen und Ernteausfälle sowie siebenmal mehr Hitzewellen erleben als eine Person, die heute zum Beispiel 60 Jahre alt ist.[3] Gleichzeitig ist der CO2-Fußabdruck der Älteren heute größer als der der Jüngeren. Es ist nicht das gute Recht der Älteren, nach der Pensionierung ihren Lebensabend mit Fernreisen, Kreuzfahrten und Zweitwagen zu genießen und die Effekte, die das in 50 Jahren haben wird, auszublenden. Es kommt sehr wohl auf das Verhalten gerade auch der Mitglieder der älteren Generation an. In der Tiefgarage meiner Wohnanlage bin ich unter rund 40 Parteien der einzige Anwohner, der einen Elektro-PKW und eine Ladestation hat. Die Älteren (speziell die Kinderlosen) sagen oft: Was sollen wir das jetzt noch alles umrüsten, wir bräuchten das doch nur noch zehn oder fünfzehn Jahre. Anderen ist es zu kompliziert, Solaranlagen zu montieren, auch wenn sie sich das leisten könnten. Klimagerechtes Verhalten bedeutet:

  • Man versucht die eigenen Emissionen so nahe wie möglich an Null zu bringen. Hierfür gibt es zahlreiche CO2-Rechner, zum Beispiel vom Umweltbundesamt (vgl. uba.co2-rechner.de/de_DE).
  • Die Rest-Emissionen kann man sich mit dem inzwischen anwendungsreifen Verfahren „Direct Air Capture“[4] aus der Luft filtern lassen, so dass man heute schon „netto-null“ CO2-Ausstoß erreichen kann.

(Vgl. generationengerechtigkeit.info/wp-content/uploads/2021/11/SRzG-PP_Kohleausstieg_20211119.pdf und generationengerechtigkeit.info/wp-content/uploads/2021/05/SRzG-PP_Generationengerechte-Klimapolitik_v2-Mai-2021.pdf).

Corona- und Gesundheitspolitik

Pandemien, für Jahrtausende die Geißeln der gesamten Menschheit, sind auch im Westen wieder zurückgekehrt. Zur Corona-Bekämpfung hat die deutsche Politik – neben vielen anderen Einrichtungen – zeitweise auch die Schulen geschlossen. Aber offene Schulen sind für Kinder und Jugendliche systemrelevant. In Frankreich, Österreich, Spanien oder den Niederlanden hat man sich in einer Güterabwägung für die Beibehaltung offener Schulen, also für mehr Bildungschancen und somit weniger Schutz vor Infektionen, entschieden. Das war richtig. Die Folgen von geschlossenen Schulen sind weit schwerwiegender als z.B. von geschlossenen Kinos, denn Schulschließungen vertiefen auf dramatische Weise die ungleichen Bildungs‐ und damit Lebenschancen. Der Verzicht auf Präsenzunterricht führt laut Studien dazu, dass Computerspiele boomen und Fernsehkonsum stark zunimmt – auf Kosten vor allem der sozial Schwächeren, bei denen beide Elternteile arbeiten müssen.

Geschlossene Schulen sind weit schlimmer als z.B. geschlossene Kinos.

In Zukunft muss die schwierige Güterabwägung zwischen Schulschließungen und Infektionsschutz unbedingt vermieden werden. Und das geht auch. Denn in einer historisch beispiellosen Aktion haben Wissenschaftler:innen wirksame Impfstoffe gegen Corona entwickelt. Damit besteht die Chance, dauerhaft aus der Pandemie herauszukommen. Die Booster-Impfung schützt zuverlässig gegen schwere Verläufe. Zu solidarischem epidemiologischem Einzelverhalten gehört das regelmäßige (Wiederholungs‐)Impfen zum Zweck der Prävention. Damit schützt man sich und andere. Leider sind zu wenige Menschen zu diesem verantwortungsvollen Verhalten freiwillig bereit: die Impfquote stagniert in Deutschland bei 75% – aber 90% wären nötig. Daher sollte eine allgemeine Impfpflicht eingeführt werden (vgl. generationengerechtigkeit.info/wp-content/uploads/2020/10/PP_Seuchen-und-Generationengerechtigkeit.pdf).

[1] Vgl. Tremmel, Jörg (2021): The Four-Branches Model of Government: Representing Future Generations. In: Cordonier Segger, Marie-Claire / Szabó, Marcel / Harrington, Alexandra R. (Hg.): Intergenerational Justice in Sustainable Development Treaty Implementation. Advancing Future Generations Rights through National Institutions. Cambridge: Cambridge University Press. S. 754-780.

[2] Tremmel, Jörg (2018): Zukunftsräte zur Vertretung der Interessen kommender Generationen. Ein praxisorientierter Vorschlag für Deutschland. In: Mannewitz, Tom (Hg.): Die Demokratie und ihre Defekte. Heidelberg: Springer VS. S. 107-142.

[3] Wim Thiery, Stefan Lange, Joeri Rogelj, Carl-Friedrich Schleussner et al (2021): Intergenerational inequities in exposure to climate extremes. Science. www.science.org/doi/10.1126/science.abi7339. (freier Download hier: www.researchgate.net/publication/354856538_Intergenerational_inequities_in_exposure_to_climate_extremes)

[4] climeworks.com/co2-removal?utm_source=googleBrand&utm_medium=cpc&utm_campaign=GS-AO-World-en-Brand&gclid=EAIaIQobChMIhZOilJjW9AIVlIODBx0WDAbGEAAYASABEgKXnfD_BwE

 

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