Der gefährliche Weg nach Europa Auch der Klimawandel zwingt zur Flucht

Immer häufiger zwingen Armut, strukturelle Ungleichheit, Gewalt, Klimawandel, Krieg und Bürgerkrieg Menschen dazu, ihr Lebensumfeld zu verlassen. Wer den gefährlichen Weg nach Europa überlebt, ist in Gefahr, in der Illegalität zu landen.

Hausgemachte und fremdgesteuerte Fluchtursachen

Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind weltweit rund 60 Millionen Menschen auf der Flucht, die Hälfte davon Kinder. Viele Ursachen für Flucht und armutsbedingte Migration sind in scheiternden nationalen Entwicklungsstrategien, zerfallenden Staaten oder fortgesetzten Verletzungen der Menschenrechte begründet. Deshalb ist immer wieder von verstärkter Hilfe in den Herkunftsländern der Flüchtenden die Rede. Ein nüchterner Blick auf die Politik der westlichen Staaten in den vergangenen zwei Jahrzehnten zeigt jedoch, dass sie wesentlich dazu beigetragen hat, dass die Situation in muslimischen Ländern wie Somalia, dem Irak, Syrien und Libyen außer Kontrolle geraten und diese zerfallenden Staaten zur Brutstätte von Terroristen geworden sind.

Viele Menschen verlassen ihr Land auch aus ökonomischen Gründen. Sie nehmen den beschwerlichen und meist lebensgefährlichen Weg nach Europa auf sich, damit sie ihre Familien zu Hause unterstützen können. Dort ist die wirtschaftliche Lage oft trostlos. So gibt es zum Beispiel in der stark auf die Bedürfnisse der EU ausgerichteten Landwirtschaft in Nordafrika nur wenige Arbeitsplätze. Ungerechte Handelsbedingungen verhindern vielfach den Import von Produkten aus Afrika in die EU.

Bei uns gelten diese Menschen als „Wirtschaftsflüchtlinge“. Der Begriff hat einen stark negativen Beigeschmack und wird abwertend gebraucht. Aus dieser Perspektive haben diese Flüchtlinge keinen Anspruch auf Asyl und sollten deshalb möglichst schnell zurückgeschickt werden. Das offenbart ein großes Manko in unserem Rechtssystem. Auch Menschen, die aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, bleibt bis auf wenige Ausnahmen bislang nur der Weg über einen Asylantrag. Eine gesteuerte Zuwanderung muss noch über andere Mechanismen verfügen.

Menschenrecht auf Migration

Ziel kann es nicht sein, Migration zu verhindern. Mobilität muss vielmehr als normale Tatsache anerkannt werden. Die Allgemeine Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen spricht jedem Menschen das Recht auf Freizügigkeit zu. Artikel 13 hält fest: „Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen sowie in sein Land zurückzukehren.“ Auch Entwicklung wird weltweit als legitimes Ziel angesehen.

Tatsächlich wird die Nutzung von Entwicklungschancen durch Migration allerdings häufig kriminalisiert. Die Chancen, legal in die EU einzureisen, sind für Migranten und Flüchtlinge nämlich kaum mehr existent. Die Einschränkung legaler Migrationswege drängt Migrationswillige in die Illegalität und macht sie noch leichter zu Opfern von Menschenrechtsverletzungen. Insbesondere Frauen und Kinder sind von gewaltsamen Übergriffen und Ausbeutung betroffen. Für diese Herausforderungen sind differenzierte Antworten nötig. Wie kann man sich zum Beispiel in den Ausgangsländern für eine Arbeitsstelle in Deutschland und der EU qualifizieren und bewerben?

Fluchtursache: Klimawandel

Vor allem spielt der Klimawandel eine immer größere Rolle. In Ländern, in denen die Mehrheit der Bevölkerung auf dem Land lebt, verändern sich die klimatischen Verhältnisse oft radikal. Der Regen bleibt aus. Die Wüsten breiten sich immer weiter aus, wie in der Sahelzone deutlich zu beobachten ist. Es kommt zu Ernteausfällen und zur Flucht vom Land in die ohnehin überbevölkerten Städte, wo sich dann die Slums ausbreiten.

Menschen, die aufgrund klimatischer Veränderungen ihr Land verlassen müssen, haben jedoch kein Anrecht auf einen Flüchtlingsstatus. Mit anderen Nichtregierungsorganisationen (NGO) setzen sich kirchliche Werke wie „Brot für die Welt“ und Misereor für eine solche Anerkennung ein. Außerdem weisen sie ausdrücklich auf die Verantwortung der Industrieländer hin. Sie haben auch begrüßt, dass diese Verantwortung im Pariser Klimaabkommen Ende 2015 festgeschrieben worden ist. Daraus ergibt sich die Pflicht, den armen Ländern des Südens bei der Anpassung an den Klimawandel zu helfen.

Das Beispiel von Amir

Das Beispiel eines Flüchtlings aus Eritrea zeigt, welchen Gefahren sich Menschen auf ihrem Weg nach Europa aussetzen. Amir ist jemand, der darüber öffentlich spricht. Inzwischen ist er Mitglied einer internationalen Theatertruppe, die Themen wie Flucht, Armut, Entwicklung und Wohlstand durchaus kritisch auf die Bühne bringt.

Irgendwann konnte er das Leben zuhause nicht mehr ertragen. „Man hat keine Rechte und keine Freiheit zu sprechen“, erzählt Amir. Der 36-Jährige ist der Diktatur im ostafrikanischen Eritrea entflohen und lebt seit Ende 2014 im Flüchtlingswohnheim im Stuttgarter Süden. Es fällt ihm schwer, über das zu sprechen, was er auf dem Weg nach Europa erlebt hat. Für ihn ein Alptraum, der ihn noch im Traum verfolgt.

Man weiß, dass Soldaten an der Grenze mit Flüchtenden kurzen Prozess machen.

Eines Tages ist er einfach losgelaufen aus seinem Heimatdorf. Das lag nur fünf Kilometer entfernt von der Grenze zum Sudan. Aber der Weg ist gefährlich. Die Grenze ist schwer bewacht. Man weiß, dass die Soldaten mit Flüchtenden kurzen Prozess machen. Auch Organhändler sollen dort ihr Unwesen treiben. Von Anfang an war Amir klar: Die Flucht ist ein lebensgefährliches Unterfangen.

Elf Jahre lang in der Armee arbeiten zu müssen, als Techniker bei der Luftwaffe, ohne Aussicht auf Entlassung – das hat ihn zermürbt. Eigentlich wollte Amir Schauspieler werden. Er habe auch Rollen in Filmen gehabt, erzählt er. Aber die Zensur habe alles kaputt gemacht, schüttelt er den Kopf. „Die haben aus den Texten was ganz anderes gemacht.“

Amir sitzt im obersten Stockwerk eines Flüchtlingswohnheims in Stuttgart mit seinem Freund Dejen, der aus dem benachbarten Fellbach gekommen ist. Die beiden genießen es, dass niemand kontrolliert, was gesprochen wird. Im Gemeinschaftsraum proben sie mit weiteren Flüchtlingen jeden Samstag für ein Theaterprojekt, mit dem sie auf Tournee gehen.

Was es bedeutet, auf der Flucht zu sein

Amirs Flucht wäre kurz nach seiner Ankunft im Sudan fast schon zu Ende gewesen. Nachdem er auf abgelegenen Pfaden 14 Stunden lang unterwegs war, wurde er von der sudanesischen Polizei verhaftet. Diese wollte ihn gemäß der Übereinkunft zwischen beiden Ländern wieder zurückschicken. Passanten alarmierten den Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks. Nachdem dieser Bestechungsgeld bezahlt hatte, kam Amir frei, zog weiter in die sudanesische Hauptstadt Khartum und tauchte dort unter.

Nachdem er Kontakt mit Schleppern aufgenommen und die unterschiedlichen Routen zum Mittelmeer verglichen hatte, wagte Amir den Weg durch die libysche Wüste. Wenn er davon erzählt, gerät er immer wieder ins Stocken. 30 Personen mussten hintereinander mit angezogenen Beinen auf der Ladefläche eines Pickups den ganzen Tag ausharren. 13 Tage lang ging es in hohem Tempo durch die Wüste. Es gab fast nichts zu essen, außer zwischendurch mal trockene Pasta – und gerade mal eine halbe Flasche Wasser am Tag, berichtet Amir.

Angst hatten sie im ägyptischen Grenzgebiet. Die Ägypter sind bekannt dafür, dass sie kurzen Prozess mit Flüchtlingen machen. Schließlich erreichten sie einen Sammelpunkt. Dort kamen sie „wie tot“ an, so Amir. Sie wurden umgeladen. Von unten mussten sie in Lastwagen. Auf drei Ebenen, die jeweils nur einen Meter hoch waren, kauerten in dem Container auf engstem Raum 150 Menschen. „Die schrecklichen Zustände kann ich nicht vergessen“, sagt Amir.

Furchtbar heiß und eng sei es da drin gewesen, man habe sich nicht bewegen können, Insekten hätten die Haut zerstochen. In der Nähe eines Kontrollpunkts begann ein Kind zu schreien. Weil es ruhig sein musste, drückte die Mutter ihrem Baby die Hand auf den Mund. „Ich habe solche Angst gehabt, dass das Kind stirbt“, sagt Amir. Die Szene hat er bis heute vor Augen. „Die Mutter hätte ihr Kind töten müssen“, meint er fassungslos.

Rechtlos und ausgeliefert

24 Stunden später waren sie in Tripolis angekommen. In einer Halle wurde Amir mit 2.000 Menschen zusammengepfercht. 15 Tage warteten sie da auf ein Boot. Wenn einer schlafen wollte, musste ein anderer stehen. Der Boss der Wachleute jagte ihm drei Kugeln ins Bein. Amir kann nicht sagen, warum: „Die können machen, was sie wollen“, meint er. Er zeigt die Einschussstellen. Erst Monate später in Deutschland wurden die Kugeln entfernt.

„Die können mit einem machen, was sie wollen.“

Schließlich ergatterte Amir einen Platz auf einem Boot – für 1.700 Dollar, genauso viel hatte auch die Passage durch die Wüste gekostet. Vier Tage waren sie auf dem Meer, ohne Essen und Trinken. Ständig mussten sie Wasser aus dem Boot schöpfen, auf dem sich 300 Menschen drängten. Genau kann er sich an den Tag erinnern, als sie von der italienischen Küstenwache gerettet wurden. Es war der 17. August 2014. Er war in Sicherheit. Er wollte nach England und strandete in Deutschland.

Ankunft in Freiheit und Hoffnung

Amir genießt es, in Stuttgart zu leben – in Freiheit. Er weiß die Gastfreundschaft der Menschen und vor allem auch die für ihn ungewohnte Freundlichkeit der Polizisten zu schätzen. Hier will er sich integrieren.

Die Flüchtlinge zum Theater gebracht hat Stephan Bruckmeier. Der Österreicher inszeniert die Schattenseiten der globalen Welt, von der Kinderarbeit bis zu Gewalt und Flucht. Und das tut er mit denen, die selbst auf dieser Schattenseite leben. Mit kenianischen Jugendlichen aus dem Slum hat er sein Hope Theatre Nairobi in Kenias Hauptstadt aufgebaut. In der Truppe, die vom evangelischen Hilfswerk „Brot für die Welt“ unterstützt wird und die mit der württembergischen Diakonie kooperiert, spielen auch junge Menschen aus Deutschland mit. Nun sind auch einige von denjenigen dabei, die vor Not und Unterdrückung geflohen sind. Das Hope Theater macht jedes Jahr eine Tournee durch Deutschland. Die Truppe spielt Anfang April auf der Messe „Fair Handeln“ in Stuttgart.

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