Feministische Theologie Überholt oder bleibend aktuell?

Um die Feministische Theologie ist es ruhig geworden. Vierzig Jahre nach ihren Anfängen ist manches zum theologischen Gemeingut geworden. Gleichzeitig hat die Genderforschung neue Akzente gesetzt. Gleichwohl bleibt es wichtig, Theologie speziell aus der Perspektive von Frauen zu betreiben.

Entstehungskontext und Ziele feministischer Theologie

Feministische Theologie ist in den achtziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts aus der säkularen Frauenbewegung erwachsen. Sie wirkte auch in die christlichen Kirchen hinein und sensibilisierte Frauen aller christlichen Konfessionen (und darüber hinaus auch in anderen Religionen) für ihre Situation in Bezug auf Religion, Glaube und Kirche. Viele Frauen charakterisierten sie als Marginalisierung, Unterdrückung, ja Diskriminierung, als „Nicht-zu-Wort-Kommen „ und „Nicht-gehört-Werden „. Frauen erlebten sich und ihre Lebenswirklichkeit als unzureichend repräsentiert in kirchlichen Institutionen, auf katholischer Seite besonders durch den Ausschluss von den Weiheämtern. Sie beklagten mangelnde Teilhabe an Entscheidungsvollmacht, zu geringe Berücksichtigung in Liturgie und Predigt, in kirchlichen Verlautbarungen und Moralvorschriften, in religiösen Themen und Texten, im Religionsunterricht und im theologischen Wissenschaftsbetrieb.

Angesichts dessen hatte – und hat nach wie vor – Feministische Theologie zum Ziel, patriarchale (= an den Vätern orientierte) und androzentrische (= männerzentrierte) Elemente in der christlichen Tradition aufzudecken, auf ihre Zeit- und Kontextbedingtheit zu befragen und ihnen die befreienden Potentiale der Botschaft Jesu entgegen zu stellen. Dies geschieht in den unterschiedlichen theologischen Disziplinen auf verschiedene Art und Weise: durch die Auslegung biblischer Texte und ihre Einordnung in die jeweilige Zeit, durch die Entdeckung biblischer Frauengestalten und unbekannter Frauen in der Geschichte der Kirchen, durch die Aufmerksamkeit für weibliche Gottesbilder, durch die Arbeit am christlichen Menschenbild, das von der gleichen Würde von Männern und Frauen ausgeht, durch die Reflexion auf ethische Fragen – und nicht zuletzt durch Gender Mainstreaming, das Bemühen um Geschlechtergerechtigkeit in kirchlichen und theologischen Institutionen.

Damit betreibt Feministische Theologie Theologie aus der Perspektive von Frauen. Mit ihrer parteiischen und interessensgeleiteten Ausrichtung strebt sie eine Neukonzeption von Theologie an. Dabei ist sie sich bewusst, dass Theologie immer interessengeleitet ist, sich häufig darüber allerdings keine Rechenschaft ablegt.

Gegenwärtige Entwicklungen

Auf den ersten Blick ist es um die Feministische Theologie eher ruhig geworden; die aktuelle Literatur dazu ist überschaubar. Auf den zweiten Blick ist sie jedoch durchaus präsent, und zwar nicht nur an den wenigen Lehrstühlen für Feministische Theologie an den Universitäten. Sie präsentiert sich im 21. Jahrhundert in besonderer Weise als „Inter-Diskurs“: Sie ist interdisziplinär, insofern sie den Anschluss an verschiedene Wissenschaftsdisziplinen sucht; international und interkulturell, insofern zu den (nach wie vor dominierenden) Stimmen aus Nordwesteuropa und Nordamerika vermehrt Stimmen von Frauen aus Süd- und Osteuropa und der gesamten südlichen Hemisphäre getreten sind; interkonfessionell als verbindendes christliches Anliegen und zunehmend auch interreligiös. In diesem Sinne pflegt die Feministische Theologie vielfältige Vernetzungen, innerhalb derer sie ihre Anliegen geltend macht.

Nicht zuletzt ist Feministische Theologie auch ein Stück weit theologisches Allgemeingut geworden. Ihre Erkenntnisse und methodischen Zugänge wurden innerhalb der theologischen Wissenschaft vielfach rezipiert – und werden häufig gar nicht unter dem Label „feministisch“ kommuniziert.

Von der feministischen Theologie zu Gender

Um die feministische Theologie ist es auch deswegen ruhiger geworden, weil seit der Jahrtausendwende die Kategorie Gender und die Gender- bzw. Geschlechterforschung, die in den Vereinigten Staaten ihren Ursprung haben, auch innerhalb der Theologie eine immer größere Rolle spielen. Das englische Wort gender bezeichnet Geschlecht als eine sozial und kulturell vermittelte Kategorie, im Unterschied zum biologischen Geschlecht, das mit sex bezeichnet wird. Die englische Begrifflichkeit hat sich in der Wissenschaftssprache eingebürgert, häufig in Form der Großschreibung, die auch nachfolgend gewählt wird.

Sex ist als biologisches Geschlecht mit der Geburt gegeben, allerdings nicht immer eindeutig und nicht immer dem System der Zweigeschlechtlichkeit zuzuordnen. Gender wird dagegen durch Sozialisationsprozesse, Rollenzuschreibungen und kulturelle Normen erworben. Gender bezieht sich auf die verschiedenen Geschlechtsrollen, die ein Mensch, und zwar jeder Mensch, gleich ob Mann oder Frau, Mädchen oder Junge, einnimmt, auf geschlechtsspezifische Attribute, mit denen er bzw. sie sich umgibt, und auch auf geschlechtertypische Klischees. So können mit dem biologischen weiblichen Geschlecht ganz unterschiedliche Geschlechtsrollen verbunden sein: Mutter, Verheiratete, Alleinstehende, Ordensfrau, Berufstätige, Hausfrau. Eine Frau kann diskriminiert werden oder emanzipiert auftreten; sie kann Unterdrückung erfahren oder selbst über andere Macht ausüben. In ähnlicher Weise lässt sich Mann-Sein ausdifferenzieren.

Sex ist darum von Gender zu unterscheiden. In der Vergangenheit war über viele Epochen hinweg die soziale Konstruktion von Geschlecht gar nicht im Bewusstsein und wurde darum auch so gut wie nicht reflektiert. Vielmehr bestimmte weitgehend die Kategorie Sex über die jeweiligen Möglichkeiten, Bildungschancen und den Lebensentwürfen von Menschen, wenn etwa die „natürliche Bestimmung“ von Mädchen und Frauen als Ehefrauen, Hausfrauen und Mütter geltend gemacht wurde. Gendertheologie wendet sich gegen solche Kausalverbindungen von weiblichem bzw. männlichem Geschlecht und gesellschaftlichen Rollenerwartungen.

Gender als Analysekategorie

Gender versteht sich in erster Linie als Analysekategorie, die auf alle Bereiche des Lebens angewendet werden kann. Auf dieser Grundlage hat sich die Genderforschung in allen theologischen Disziplinen etabliert. Dabei ist sie sich bewusst, dass Gender keine isolierte Größe ist. Vielmehr sind neben Geschlecht weitere Differenzmerkmale wirksam: nationale und ethnische Herkunft, kultureller Kontext, sozialer Status, ökonomische Situation, Bildungsstand, Alter, Behinderung und andere mehr. Die Intersektionalitätsforschung, die die Kreuzungen bzw. das Zusammenwirken verschiedener Kategorien untersucht, hat deutlich gemacht, wie Gender in einer Wechselwirkung mit anderen Faktoren steht. Sie können die Kategorie Gender verstärken, etwa wenn ein Mädchen in Indien, wo wegen „Unwertes“ zahlreiche weibliche Föten abgetrieben werden, zugleich arm, ohne Schulbildung und Angehörige einer niedrigen Kaste ist; sie können aber die Bedeutung von Gender auch relativieren, wenn eine deutsche Frau gut gebildet, wohlhabend und wirtschaftlich abgesichert ist. Als eine wichtige, aber keineswegs einzige Kategorie zur Beschreibung von Differenz neben anderen wird Gender in der Theologie darum im Kontext von Vielfalt und Diversität bedacht.

Gender und Feministische Theologie: Verhältnisklärungen

Das Paradigma des Feminismus wurde durch Gendertheologie nicht überflüssig. Ebenso wenig versteht sich Gender als Konkurrenz dazu, sondern vielmehr als Weiterführung, Ergänzung und auch als Neuakzentuierung. Feministische Theologie und Genderforschung sind nicht einfach identisch, sondern unterscheiden sich in ihrem Ansatz und ihrer Zielsetzung, weisen jedoch zugleich vielfältige Berührungspunkte auf. Sie haben jeweils einen anderen und dabei einander durchaus ergänzenden Forschungsansatz herausgebildet.

Feministische Theologie und Genderforschung verhalten sich komplementär zueinander.

Während feministische Theologie ihren Fokus auf Frauen in Bibel, Theologie und Kirchen richtet, macht die Genderforschung auch Männer zum Thema, vor allem aber Geschlechterverhältnisse. Feministische Theologie ist von ihrem Selbstverständnis her notwendigerweise parteiisch, nämlich für die Frauen, kämpferisch, herrschaftskritisch und politisch. Denn sie geht davon aus, dass das Geschlechterverhältnis ein Ungleichheits- und Machtverhältnis ist und zielt ab auf dessen Veränderung, auf die Befreiung von Frauen von Unrechts- und Ungleichheitsstrukturen. Gender-Theologie kann auch parteiisch, kämpferisch, herrschaftskritisch und politisch sein, dort wo sie explizit für Geschlechtergerechtigkeit eintritt. Sie ist es aber nicht notwendigerweise. Vielmehr kann sie ggf. rein deskriptiv Geschlechterverhältnisse analysieren, ohne die Machtfrage zu stellen.

Feministische Theologie – nach wie vor relevant!

Auf diesem Hintergrund braucht es beide Ansätze. Feministische Theologie ist darum keineswegs obsolet, sondern nach wie vor von Relevanz, weil Geschlechtergerechtigkeit in Kirche und Theologie keineswegs erreicht ist – auch wenn sich seit den Anfängen feministischer Theologie manches verbessert hat. Aber längst nicht immer ist eine ausgewogene männliche wie weibliche Teilhabe an Entscheidungsprozessen gegeben oder haben Frauen in gleicher Weise wie Männer Zugang zu Leitungsfunktionen. Nicht zuletzt weisen sozialwissenschaftliche Studien gerade bei jüngeren Frauen auf ein Erstarken restaurativer Tendenzen in kirchlichen Kontexten hin.

Ziel feministischer Theologie ist es darum nach wie vor, Theologie aus der Perspektive von Frauen für Frauen zu betreiben. Sie stellt Frauen und Mädchen ins Zentrum – gegen ihre Unsichtbarmachung, Unterdrückung und Diskriminierung, um dort, wo es nötig ist, ihrer Stimme Gehör zu verleihen bzw. sie überhaupt erst zum Sprechen zu bringen, ihnen Würde zu verleihen, sie ernst zu nehmen. Dies stellt auch nach über vierzig Jahren der Ursprünge Feministischer Theologie eine Herausforderung und Notwendigkeit dar, die keineswegs vollständig eingelöst und erledigt und darum auch nicht geschichtlich überholt ist.

Nicht zuletzt: Feministische Theologie ist keine Theologie der Frau und keine auf Frauen beschränkte Angelegenheit. Mit ihren Fragen nach Macht und Unterdrückung zwingt sie auch Männer zur Auseinandersetzung mit ihrem Selbstverständnis und Selbstbild, mit ihrem Glauben und ihrer Spiritualität, mit ihren Rollen im privaten und beruflichen Leben, in Gesellschaft und Kirche.

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