Frauen Ausgabe 2/2020

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieser Tage schickte mir eine Freundin ein Video: Auf einer Couch sitzt eine Frau, ihr Mann kommt und will sich wie selbstverständlich eng neben sie setzen. Instinktiv wehrt sie ihn ab, nimmt den in ihrer Hand verborgen Zollstock und misst 1,50 m ab. Die Szene wiederholt sich, als sie im Bett liegt und er sich an sie schmiegen möchte. In der dritten Szene zählt der Mann Geldscheine auf den Tisch, die Frau kommt erfreut, um sich einen Teil zu nehmen, doch jetzt zückt er das Meter… Das unsichtbare Publikum lacht.

Altvertraute Rollen in Zeiten von Corona. Sie besorgt das Emotionale. Er das Geld. Frau hält ihn schon mal auf Abstand, Mann sitzt am längeren Hebel.

Die Nichtregierungsorganisation Oxfam zeigte in einer Studie 2016, dass die acht reichsten Personen der Welt Männer sind. Die im Magazin Forbes 2020 auf Platz neun gelistete Tochter des Gründers der US-amerikanischen Supermarktkette Walmart besitzt aber auch 54 Milliarden Euro. Dass Frau-Sein nicht gleich Frau-Sein ist, ist natürlich eine Binsenweisheit, der allerdings von der Genderforschung neue Aufmerksamkeit geschenkt wird; denn natürlich gilt auch für Frauen, dass es neben dem Geschlecht weitere Differenzierungsmerkmale gibt (ökonomische Situation, Bildungsstand, Kultur usw.), die ihnen ihre Position in der Gesellschaft zuweisen.

Das macht den Kampf für Geschlechtergerechtigkeit natürlich nicht obsolet. Die „altgediente“ Feministin Sigrid Metz-Göckel, die die deutsche Frauenforschung mitbegründet hat, fordert von den Frauen nach wie vor „Aufmüpfigkeit und Querdenken“. Wie „sind“ und agieren „die“ Frauen? Manche Forschungen vermelden einen gewissen Rückzug oder Rückfall der Frauen, seit rechtspopulistische Denkmuster mit regressiven Rollenbildern en vogue werden (zufällig „Tatort“ am 25. April gesehen?). Aber vielleicht kommt es auch nur darauf an, wen man gerade fragt. In ihrem brandaktuellen Buch Stark: Rebellinnen von heute porträtieren die beiden Autorinnen Anusch Thielbeer und Kathrin Köller zwanzig Frauen und Mädchen zwischen 12 und 20, die offensichtlich in kein Klischee passen – auch die junge Frau nicht, die ein Kopftuch trägt. Alle wehren sich, wenn man sie in Schubladen steckt.

Yuval N. Harari meint in seiner Kurzen Geschichte der Menschheit, der Homo sapiens habe als Art Dominanz dadurch errungen, dass er in großen Gruppen „kommunizieren und kooperieren“ könne. Wenn nun – evolutionär gesehen – gerade die Frauen die besseren Netzwerker sind, warum herrschten dann die Männer über sie? „Das ist die große Frage in der Geschichte der Geschlechter.“

Ihre evangelischen aspekte werden das Rätsel nicht lösen. Aber wir halten in dieser Ausgabe die noch unabgegoltenen Ansprüche der Frauen wach – und erinnern an ein bislang ungesühntes deutsches Kolonialverbrechen.

Ihr
Hermann Preßler

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