Wir hüllen uns in Schwarz, aber nicht in Schweigen Solidaritätskampagne gegen sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt

Mit der Kampagne „Donnerstags in Schwarz“ ruft der Ökumenische Rat der Kirchen weltweit dazu auf, ein solidarisches Zeichen gegen sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt zu setzen. Auch in Deutschland findet der Aufruf Unterstützung.

In ihrem Buch Ich habe einen Namen, das im Jahr 2019 erschienen ist, beschreibt Chanel Miller, wie sie vergewaltigt wurde und wie sich der gesellschaftliche und rechtliche Umgang mit diesem Verbrechen gestaltete. Ihr „Fall“, der in der Zeit des Gerichtverfahrens in der Öffentlichkeit unter einem Pseudonym verhandelt wurde, zeigt, wie wichtig es der Autorin ist, nun ihren eigenen Namen preiszugeben und ihren Weg mit vielen zu teilen. Dabei offenbart sie sich mit ihrer Verletzlichkeit, Wut und Ohnmacht und zugleich mit ihrer Kraft und Stärke – als Person, die Opfer wurde, aber kein Opfer bleibt.

Chanel Miller erhebt ihre Stimme und wird damit zu einem Sprachrohr für viele Frauen*, die Gewalt erfahren haben. Mit ihrem #metoo bricht sie das Schweigen und legt den Finger in die klaffende Wunde: Gewalt gegen Frauen ist auch im 21. Jahrhundert eine konkrete Realität und verweist auf Strukturen der Ungleichheit und gesellschaftliche Machtverhältnisse, die benannt werden müssen.

Geschlechtsspezifische Gewalt durchzieht die Gesellschaft

Wie konnte es nur so weit kommen? Diese Frage kommt beim Lesen von Berichten über Vergewaltigungsfälle und sogenannte Beziehungstaten in der Zeitung schnell auf. Die begangene Tat scheint nahezu unglaublich. Die Strukturen der Gewalt beginnen jedoch viel früher als in dem Verbrechen, von dem die Medien berichten. Ein Teil der strukturellen Gewalt besteht darin, dass Frauen prozentual weniger verdienen als Männer und häufiger von Altersarmut betroffen sind. Zudem übernehmen Frauen durchschnittlich den größten Teil der Sorgearbeit für Kinder und zu pflegende Angehörige. Die Strukturen der Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt und der Arbeitsteilung im Privaten tragen dazu bei, dass sich Frauen schneller in Abhängigkeitssituationen wiederfinden, die ihnen auch den Abbruch von Partnerschaften, in denen sie Gewalt erfahren, erschweren.

Jede dritte Frau in Deutschland erlebt sexualisierte Gewalt

Von geschlechtsspezifischer Gewalt sind Frauen aller sozialen Schichten betroffen. Laut Weltgesundheitsorganisation stellt Gewalt eines der größten Gesundheitsrisiken für Frauen weltweit dar. In Deutschland erlebt eine von drei Frauen heute körperliche oder sexualisierte Gewalt, meist durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Zudem manifestiert sich Gewalt als psychischer und emotionaler Missbrauch. Für betroffene Frauen hat Gewalt massive Auswirkungen auf ihre persönliche Biographie und Entfaltungsmöglichkeiten: Sie zerstört Lebensentwürfe, wirft zurück, führt zu Traumata und lässt manche daran zerbrechen. Kinder, die im Kontext von Gewalt aufwachsen, lernen keinen respektvollen Umgang im Miteinander und brauchen viel Unterstützung, um sich aus dem Teufelskreis der Gewalt zu befreien.

Um Veränderungen zu bewirken, sind der Einsatz und der Mut vieler nötig. Es braucht Räume, in denen Betroffene sich mitteilen und ihrer Wut und ihrem Schmerz Ausdruck verleihen können, um dabei im Austausch mit anderen zu merken, nicht allein zu sein und wie Chanel Miller zu Ermutigung, Aufklärung und Veränderung beizutragen. Zugleich sind die uneingeschränkte Solidarität und der Rückhalt von Nichtbetroffenen, die mit ihrer Person und ihrem Namen dafür eintreten, dass Gewalt in unserer Gesellschaft keinen Platz haben darf, erforderlich.

„Donnerstags in Schwarz“

Mit der Kampagne Donnerstags in Schwarz, mit dem Untertitel Unterwegs zu einer Welt ohne Vergewaltigung und Gewalt, ruft der Ökumenische Rat der Kirchen seit mehr als zwanzig Jahren dazu auf, ein solidarisches Zeichen gegen sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt zu setzen. Entstehungspunkt der Kampagne war die Dekade der Kirchen in Solidarität mit den Frauen (1988-1998), bei der der Austausch über die Massivität der von Frauen erlebten Gewalterfahrungen im Zentrum der Diskussionen stand. Ebenso wurde die Resilienzfähigkeit und Widerstandskraft von Frauen thematisiert, die der Gewalt nicht das letzte Wort lassen und zu vielfältigen Protestformen führen.

Im Anschluss an die Dekade wurde die Kampagne Donnerstags in Schwarz entwickelt. Dem Namen der Kampagne folgend, sind Unterstützer*innen dazu aufgerufen, donnerstags schwarze Kleidung und einen Anstecker zu tragen, der auf die Verbindung zu der globalen Bewegung aufmerksam macht, und so zu einem/r Botschafter*in gegen Gewalt zu werden. Weltweit wird mit dieser Kampagne für die Erfahrungen sensibilisiert, die viele Frauen mit Gewalt machen müssen. Wut und Trauer werden sichtbar und finden zugleich im Protest vieler eine Sprache.

Eine Aktion im Sinne biblischer Zeichenhandlungen

Carola Ritter, leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauen in Mitteldeutschland, hat sich mit ihrem Team im Jahr 2019 der Kampagne angeschlossen und verdeutlicht deren Notwendigkeit:
„Es ging uns darum, unsere Solidarität mit den betroffenen Frauen und zugleich die Ablehnung von Gewalt mit einem selbstredenden Zeichen deutlich zu machen: Wir hüllten uns in Schwarz, aber nicht in Schweigen. Im Sinne biblischer Zeichenhandlung wirkt das performative Handeln zugleich auf der Beziehungsebene als Interaktion wie auf der Inhaltsebene als Information. Zur umfassenden Information konnten wir auf mehrsprachiges, gut aufbereitetes und crossmedial verwendbares Material des ÖRK zurückgreifen und passgenau nutzbar machen, z.B. auf unserer Homepage. Spannend waren die Erfahrungen auf der Beziehungsebene: Die Anteilnahme an den Schicksalen der Betroffenen, den vielen Namenlosen aber auch manch persönlich bekannten Person. Hinzu kam die Verbundenheit mit Kampagnenteilnehmerinnen, das stille Zunicken, wenn wir einander im Kampagnenoutfit begegneten oder uns über unser Erleben austauschten. Dazu kamen die ermutigenden Zeugnisse von Menschen weltweit auf der Kampagnenseite: www.oikoumene.org/de/mitmachen/thursdays-in-black.

Jede musste sich fragen: Ist diese Aktion für mich ganz buchstäblich tragbar?

Das Tragen schwarzer Kleidung, die in unserem Kulturkreis für Trauer und Klarheit steht, verbunden mit dem Kampagnenbutton wirkt nach außen aber auch nach innen. Durch die wöchentlich ritualisierte Wiederholung verstärken sich die Wirkungen. Jede musste sich fragen: Ist diese Aktion für mich ganz buchstäblich tragbar? Wir verabredeten in einer zu der Kampagne anberaumten kleinen Klausur, dass es jeder Mitarbeiterin offensteht, sich persönlich zu beteiligen. Ergänzend und einleuchtend erfanden wir mit einer Kampagnenkerze ein zusätzliches Symbol für unsere Teamsitzungen, die meist donnerstags stattfanden. Auch der Frauenchor MissKLANG aus Halle/S. schloss sich der Aktion mit Kleidung und Kerze an. Die Proben fanden nun donnerstags in Schwarz statt.“

Es tut sich etwas – trotz mancher Rückschritte

Viele Verbesserungen in den Lebensbedingungen von Frauen wurden von feministischen Bewegungen erkämpft und dennoch erleben wir aktuell gewisse Rückschritte, die durch das Erstarken rechtspopulistischer Denkmuster verstärkt werden, denen regressive Rollenbilder zu Grunde liegen und die sich gegen sexuelle und geschlechtliche Vielfalt stellen.

Vor dem Hintergrund dieser Situation wird der Einsatz gegen Gewalt und für emanzipatorische Strukturen wie in der Kampagne Donnerstags in Schwarz umso notwendiger. Dabei geht es nicht um Schuldzuweisungen und Täteridentifikationen, sondern um die Sichtbarmachung und Benennung von Gewalt und der dahinter liegenden Strukturen. Es geht um den Einsatz für emanzipatorische Strukturen für alle Geschlechter und ein lebenswertes Leben mit vielfältigen Entfaltungsmöglichkeiten für alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, von Kindheit an.

Menschen verschiedener Geschlechter sind weltweit Teil der Kampagne Donnerstags in Schwarz, Frauen wie Chanel Miller teilen ihre Geschichte und setzen damit Veränderungen in Gang. Am 8. März, dem Internationalen Frauentag, gibt es jedes Jahr Proteste gegen Gewalt und für gerechte Strukturen für alle Geschlechter, gleichberechtigte Partnerschaften und Familienmodelle werden gelebt… Es tut sich etwas und doch ist noch viel zu tun bis Gewalt gegen Frauen kein gesellschaftspolitisches Thema mehr ist.

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Chanel Miller: Ich habe einen Namen. Eine Geschichte über Macht, Sexualität und Selbstbestimmung. Ullstein, 2019.

Links zu den im Artikel genannten Zahlen zu Gewalt gegen Frauen

 

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