Furcht vor den falschen Dingen Wie medial geschürte Angst gesellschaftliches Vertrauen unterwandert

Viele Menschen sind angesichts der Bedrohung durch Terrorakte verunsichert. Die Politik reagiert mit verstärkter Polizeipräsenz, Überwachung und mehr Härte gegen potentielle Gefährder. Aber lässt sich verlorenes Vertrauen so zurückgewinnen?

Die Angst, Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden, ist größer geworden. Das bestätigt der Polizeipsychologe Adolf Gallwitz, der lange Jahre an der Polizeihochschule im baden-württembergischen Villingen-Schwenningen lehrte. Er konstatiert eine Zunahme von Gefährdungen und eine neue Form des Terrors seit einigen Jahren.

Wenn der Bundesinnenminister immer wieder von einer allgemeinen Gefährdung spreche, sei das zwar nicht konkret. „Doch wir müssen uns mittlerweile Fragen stellen, die wir uns vor einigen Jahren noch nicht hätten stellen müssen. Nehmen Sie die Weihnachtsmärkte: können wir da mit einem guten Gefühl hingehen, wenn keine Lastwagen-Blocker aufgebaut wurden?“, erläutert Gallwitz.

Er weist darauf hin, dass es viele Gefährdungssituationen gibt, die weit gefährlicher sind und gegen die es auch keinen Schutz gibt. Es sei denn, dass man zum Beispiel am Straßenverkehr nicht mehr teilnimmt. Aber gerade bei der allgemeinen Sicherheitslage fühlen sich die Bürger laut Gallwitz am empfindlichsten getroffen und fordern konkrete Maßnahmen von der Politik.

Die vier Dinge, vor denen wir uns am meisten fürchten sollten

Die Menschen fürchten sich vor den falschen Dingen, meint der Soziologe und Risikoforscher Ortwin Renn: „Es ist wahrscheinlicher an einer Pilzvergiftung oder durch einen Hitzschlag zu sterben, als bei einem Terroranschlag in Deutschland oder Europa ums Leben zu kommen“, sagt er. Die vier Dinge, vor denen wir uns am meisten fürchten sollten, sind Rauchen, Trinken, ungesundes Essen und Bewegungsmangel. Das macht ungefähr zwei Drittel aller frühzeitigen Todesfälle in Deutschland aus. Das Risiko sei bekannt, werde aber verdrängt. Nicht dagegen bei den Verbrechen. Es sei bekannt, so Renn, dass die Kriminalität insgesamt in den letzten Jahren gesunken und nicht gestiegen sei.

Viele der Dinge, die wir in der Zeitung lesen, sind also eher die Ausnahme als die Regel. Es werden in Deutschland ungefähr 400 Morde im Jahr gezählt, also ungefähr ein Mord pro Tag. Aber im Fernsehen sieht man im Schnitt täglich 54 Morde, wenn man alle zusammenzählt. Das belegt für Renn das Ungleichgewicht zwischen dem, was medial vermittelt wird und der Realität.

Ausländer nicht krimineller als Deutsche

Auch die Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik, die das Bundesinnenministerium 2018 vorlegte, zeigen, dass die Zahl der Straftaten so niedrig war, wie vor 25 Jahren. Die Wahrscheinlichkeit, Opfer einer Straftat zu werden, ist also gering. Aber jeder vierte Deutsche hat Angst davor, zunehmend auch vor Kriminalität durch Ausländer.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer will die Parole, dass Ausländer generell öfter kriminell sind, so nicht stehen lassen. Auf die Frage, warum Männer aus bestimmten Herkunftsländern überproportional häufig unter den Tatverdächtigen sind, geht der Professor in einer Studie ein. Demnach sind eine andere Geschlechts- bzw. Altersstruktur der Flüchtlinge aus diesen Regionen sowie schlechte Bleibechancen schlüssige Erklärungen. Wer in dem Bewusstsein lebt, dass er Deutschland wahrscheinlich wieder verlassen muss, hat weniger Anreize, sich gut zu integrieren, als ein Flüchtling, der eine langfristige Zukunftsperspektive in Deutschland hat, heißt es. Dennoch tragen solche Aussagen nicht zur Beruhigung der Menschen bei, die von Berichten über Gewalttaten in den Medien verunsichert werden.

Wachsende Überwachung des öffentlichen Raums

Die Politik setzt auf mehr Polizeipräsenz, Abschiebung von Gefährdern und verstärkte Überwachung des öffentlichen Raums. Für bundesweites Aufsehen sorgte der Start der intelligenten Videoüberwachung von Plätzen in Mannheim. Die Kameras entdecken selbstständig verdächtige Bewegungen durch spezielle Software. Das System sei europaweit einzigartig, hieß es. Datenschützer warnen allerdings immer eindringlicher vor den Gefahren einer ständigen Überwachung. Mehr als eine halbe Million Überwachungskameras sollen bundesweit in Betrieb sein.

Gefängnisse werden zu Festungen

Wie sich das neue Bedürfnis nach sichtbaren Sicherheitsversprechen nicht zuletzt architektonisch auswirkt, weiß die neue Gefängnisdekanin in Baden-Württemberg Susanne Büttner. „In den 80er Jahren hatten Gefangene noch eine stärkere Lobby“, sagt die evangelische Theologin. Heute sei das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung viel höher. Gefängnisse würden deshalb zu Festungen.

Als Beispiel nennt sie den markanten Bau in Stuttgart-Stammheim. Die Haftanstalt wirkt im Gegensatz zu dem in einem ehemaligen Kloster untergebrachten Frauengefängnis in Schwäbisch Gmünd abweisend und martialisch. Seit 2001 ist die evangelische Pfarrerin als Gefängnisseelsorgerin in der Justizvollzugsanstalt Schwäbisch Gmünd tätig. „In einem alten Gebäude können die Gefangenen noch ihre Freiräume entfalten“, sagt die Theologin. Heute werde es immer schwieriger „aus der Welt des Gefängnisses für Gefangene und Bedienstete eine Brücke zu bauen in die Gesellschaft hinein“.

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