Wann können wir uns in die Hand anderer Menschen begeben? Vertrauen als Ressource in Psychologie und Pädagogik

Das Zentrum für Vertrauensforschung (ZfV) an der Universität Vechta erforscht seit über zwanzig Jahren die Bedeutung von Vertrauen und Misstrauen im gesellschaftlichen Zusammenleben. Die Ergebnisse sind für den Leiter des Zentrums gleichzeitig Anlass für Faszination wie Ernüchterung.

Vertrauen ist ein unabdingbares Element in allen Lebensphasen und Handlungskontexten, sei es nun Erziehung und Schule, Arbeit, Sport, Medizin und Gesundheit oder auch Wirtschaft und Politik. Dabei zeigen sich immer wieder vergleichbare Erwartungen an vertrauenswürdige Mitmenschen und Institutionen. Als besonders bedeutsam haben sich in der Vertrauensforschung u.a. Ehrlichkeit und Authentizität, Wertschätzung und Respekt, aber auch Gerechtigkeit und fachliche Kompetenz erwiesen.

Vertrauen ist nicht gleich Vertrauen

Nichtsdestotrotz ist Vertrauen nicht gleich Vertrauen – von Mensch zu Mensch können Vorerfahrungen und Erwartungen variieren, ebenso wie unsere Beziehungen jeweils anderen Rahmenbedingungen unterworfen sind, im sehr privaten Bereich der Familie bspw. deutlich verschieden zu jenen im Arbeitsleben (Freiwilligkeit, hierarchische Struktur, Kommunikationskanäle, emotionale Nähe). Ein allgemeingültiges Rezept für den Vertrauensaufbau kann es daher nicht geben, das Bemühen um ein Verständnis der Perspektive anderer ist aber stets hilfreich.

Andererseits ist Vertrauen ein sensibles Gut, eine risikoreiche Investition, bei der Enttäuschungen nicht ausbleiben (können). Hinzu kommt, dass sich die heutige Gesellschaft in sämtlichen sozialen Kontexten vielfältiger gestaltet sowie zweifelsohne erheblich an Komplexität und mangelnder Überschaubarkeit zugenommen hat. Im Zuge von Digitalisierung und Globalisierung werden uns neue Möglichkeiten und Chancen gegeben, es verstärken sich allerdings ebenso subjektive Unsicherheiten und Ängste.

Nichtsdestotrotz: Wir benötigen Vertrauen zum Leben wie die Luft zum Atmen – gerade, wenn diese manchmal dünner zu werden scheint.

Der psychologische Blick

Mittels der konstituierenden Komponente von Vertrauen – nämlich der subjektiven Überzeugung, uns in die Hand anderer Menschen begeben zu können – gewinnen wir eine gewisse Sicherheit und Kontrolle über Situationen, in denen wir wichtige Entscheidungen treffen und auf deren Grundlage sodann handeln müssen: Können wir unsere Kinder den Erzieher*innen in der Kita anvertrauen? Können wir unseren Vorgesetzten offenbaren, was uns tatsächlich an unserem Arbeitsplatz bedrückt? Können wir bei den uns behandelnden Ärzt*innen die riskante Operation wagen?

Wie auch beim soziologischen Zugang von Niklas Luhmann (vgl. den Beitrag von Albert Scherr) lässt sich mit einer sozialpsychologischen Perspektive Vertrauen als ein zentraler Filter unserer subjektiven Wahrnehmung betrachten, der in unserer Auseinandersetzung mit sozialer Wirklichkeit virulent wird – auf der Grundlage unserer bisherigen Erfahrungen klammern wir bedrohliche Handlungsfolgen aus und machen den Weg frei für ein zugewandtes Miteinander. Vertrauen wirkt dabei im Kleinen wie im Großen. Vertrauen macht es uns möglich, sich auch in einer komplexer werdenden Welt mit wechselnden und neuen Anforderungen auseinandersetzen zu können. Gemeint ist dabei keineswegs „blindes Vertrauen“, sondern vielmehr eine erfahrungsbasierte Ressource. Insofern sind vertrauensvolle Erfahrungen, gerade auch solche, die wir in der frühen Lebensphase machen, eine wertvolle Hilfe, dem Wagnis des Vertrauens mit Offenheit zu begegnen.

Eine lohnenswerte Investition

Die unbestreitbare Tatsache, dass Vertrauen enttäuscht werden kann, sollte dabei den Blick nicht für die Bereitschaft verstellen, dieses Wagnis immer wieder aufs Neue einzugehen. Die Festigung ebendieser Grundhaltung ist auch eine wichtige Aufgabe von Erziehung, da uns Menschen ansonsten eine Vielzahl befriedigender sozialer Kontakte verwehrt bleiben. Denn erst mit dem Risiko, Vertrauen zu schenken, eröffnet sich die Chance, neue und wertvolle Facetten in der Auseinandersetzung mit unserer Umwelt zu erkennen und zu erfahren. Dem humanistischen Psychologen Maslow wird folgende eindrucksvolle Formulierung zugeschrieben: „Wir dürfen den Menschen nicht nur als das sehen, was er ist, sondern müssen erkennen, wie er sein kann.“

Sich aktiv immer wieder um Vertrauen zu bemühen und dabei immer wieder neu in Vorleistung zu treten, ist insofern die lohnenswerte Konsequenz, die wir auch aus Enttäuschungen im sozialen Miteinander ziehen sollten. Wir sollten uns dementsprechend – ungeachtet einzelner Rückschläge – nicht entmutigen lassen, Vertrauen zu investieren, um uns die Option auf die damit einhergehenden positiven Erfahrungen nicht zu verbauen.

Vertrauen impliziert insofern eben auch ein stetiges Bemühen um den anderen. Denn Vertrauen geschieht nicht von selbst, und Vertrauen braucht Zeit. Vertrauen lässt Kräfte wirksam werden, die nicht nur die Qualität unserer Beziehungen positiv befruchten, sondern zudem die persönliche Entwicklung eines jeden Einzelnen bereichern. Und das Wichtigste ist: Vertrauen wirkt positiv – auf die Persönlichkeitsentfaltung des Menschen, auf das soziale Miteinander, auf das Funktionieren unserer sozialen Systeme.

Selbstvertrauen als Fundament

Vertrauen und Selbstvertrauen sind nicht unabhängig voneinander zu denken. Zum einen basiert unser Selbstvertrauen auf vertrauensrelevanten Erfahrungen, die wir im Laufe unserer Sozialisation machen: Wie sollen wir uns selbst vertrauen, wenn wir nicht erleben, dass wir es wert sind, von unseren Mitmenschen Vertrauen geschenkt zu bekommen? Zunächst von unserer Familie, allen voran von unseren Eltern, später dann gleichermaßen von Lehrenden, Vorgesetzten und Freunden.

Zum anderen macht uns Selbstvertrauen zu einer starken Persönlichkeit, welche das Risiko der Enttäuschung leichter (er)tragen kann. Auf diese Weise steigt die Wahrscheinlichkeit eines positiven Kreislaufprozesses, der vertrauensvolle Begegnungen begünstigt und eigenes Selbstvertrauen stärkt.

Gerade in verantwortungsvollen Positionen, also etwa als Erziehende, Lehrende oder als Führungskräfte, müssen Menschen stets im Blick haben, dass die ihnen anvertrauten Persönlichkeiten das Ergebnis sehr differenter persönlicher Erfahrungen sind, weshalb der Weg zum Vertrauensaufbau mitunter ein schwieriger und holpriger sein kann.

Misstrauen – Fluch oder Segen?

Entgegen dem vielfach anzutreffenden alltagspsychologischen Verständnis ist Misstrauen keineswegs mit geringem oder fehlendem Vertrauen gleichzusetzen. Einem anderen Menschen nicht mit Vertrauen zu begegnen, impliziert nämlich keineswegs automatisch, dieser Person zu misstrauen. Auch der vertrauende Mensch achtet ja auf potenzielle Warnsignale und nimmt diese durchaus ernst. Im Falle des Misstrauens antizipieren wir jedoch eine Schädigung für den Fall, dass wir uns in die Hände des Anderen begeben. Misstrauen fungiert insofern ebenfalls als Wahrnehmungsfilter im Zuge der subjektiven Informationsverarbeitung, mit dem viele Menschen bspw. einzelnen Konzernen oder auch Parteien begegnen.

Misstrauen ist keineswegs mit geringem oder fehlendem Vertrauen gleichzusetzen.

Im sozialen Miteinander birgt Misstrauen allerdings die Gefahr, uns einer echten Auseinandersetzung zu entziehen. Ohne vertrauenswürdige Alternativen ist pures Misstrauen insofern psychologisch ungesund, es begünstigt nämlich Unsicherheit und Kontrollverlust, wobei neue und ggf. durchaus positive Erfahrungen gänzlich aus dem Blick geraten können.

Vertrauen, Loyalität und soziale Verantwortung – ein starkes Trio

Loyalität gründet auf der Bereitschaft, anderen Menschen unterstützend zur Seite stehen zu wollen. Ebenso wie Vertrauen stützt sich Loyalität dabei auf das Prinzip der Gegenseitigkeit, die eben auch den Aspekt der sozialen Verantwortung füreinander beinhaltet. Die Verflechtung dieser drei Beziehungsqualitäten miteinander erweist sich vor allem in herausfordernden Situationen des sozialen Miteinanders. So wird etwa im Zuge von Unternehmenskrisen immer wieder offensichtlich, wie wichtig die Loyalität und das Vertrauen der Belegschaft sind, um gemeinsame Lösungsansätze erfolgreich etablieren zu können.

Entscheidend ist allerdings, dass sich weder Loyalität noch Vertrauen in schwierigen Phasen strategisch einfordern lassen, sie sind vielmehr das Ergebnis einer langfristigen Beziehungsentwicklung. Vertrauen und Loyalität lassen sich nicht anknipsen wie das Licht, sie müssen auch in der Arbeitswelt nach dem Prinzip der kleinen Schritte immer wieder authentisch erfahrbar sein.

Die Komponente der sozialen Verantwortung findet ihre Bedeutung nicht nur im Miteinander unseres privaten und beruflichen Daseins, sie spielt zudem eine essentielle Rolle hinsichtlich der Begegnung mit den großen gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit. So wird sich bspw. aktiver Natur- und Umweltschutz innerhalb der Bevölkerung nur dann nachhaltig etablieren lassen, wenn heranwachsende Generationen mit Vertrauen auf Vorbilder blicken können, die ihnen Perspektiven für förderliche Handlungsalternativen eröffnen.

Verbunden mit den Komponenten der Loyalität und sozialen Verantwortung stellt Vertrauen insofern eine elementare Aufgabe dar – für den Einzelnen ebenso wie für die sozialen Systeme unserer Gesellschaft. Es ist  ein immerwährender Prozess des Fragens und Suchens, des temporären Scheiterns und des sich erneut auf den Weg Machens.

Zum Weiterlesen

Schweer, M.: Facetten des Vertrauens. Gedankensplitter und kurze Geschichten. Berlin: Edition Noack & Block, 2018; Schweer, M.: Vertraut Euch! Berlin: Frank & Timme, 2013; Schweer, M. & Lachner, R.: „Vertrauen und soziale Verantwortung als psychologische Ressourcen der Handlungsregulation im Kontext gesellschaftlicher Herausforderungen – eine differentielle Betrachtung“. Politische Psychologie 5(1), 2016, 92-114.


Über das Zentrum für Vertrauensforschung?

Das Zentrum für Vertrauensforschung (ZfV) geht unter Leitung von Prof. Dr. Martin K.W. Schweer der Bedeutung von Vertrauen und Misstrauen für die verschiedenen Bereiche gesellschaftlichen Zusammenlebens gezielt nach, um auf diese Weise Beiträge zur Lösung konkreter Probleme im sozialen Miteinander leisten zu können. So werden Forschungsprojekte eingeworben, zudem in regelmäßigen Abständen Symposien und Veranstaltungen wie die Trust Lectures angeboten, um einen kontinuierlichen Erfahrungsaustausch zwischen Wissenschaftler*innen verschiedener Disziplinen sowie zwischen Wissenschaft und Praxis zu gewährleisten. Die aktuell laufenden drittmittelgeförderten Projekte untersuchen Vertrauen im Kontext der Nachhaltigkeit und Digitalisierung: Wie können Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsstrategien vertrauensbasiert kommunizieren? Vertrauen wir alternativen Lebensmittelprodukten? Inwieweit vertrauen die Bürger*innen den digitalen Services der Behörden? Mehr zu den geförderten Projekten des ZfV erfahren Sie unter: www.uni-vechta.de/paedagogische-psychologie/forschung/

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