Johannes Eurich, Dieter Kaufmann, Urs Keller, Gerhard Wegner (Hrsg.): Ambivalenzen der Nächstenliebe Soziale Folgen der Reformation

Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2019, 214 S., broschiert 34,00 EUR

Zu den revolutionären theologischen Veränderungen der Reformation gehörte auch ein neues Verständnis von Nächstenliebe. Martin Luther hat dies programmatisch in seiner Schrift Von der Freiheit eines Christenmenschen 1520 entfaltet. Statt aus einer Hoffnung auf himmlische Belohnung soll die Praxis der Nächstenliebe nach seinem Verständnis aus der erfahrenen Rechtfertigung und geschenkten Anerkennung durch Gott wachsen. Luther hat dies nicht nur theologisch begründet, sondern daraus auch eine neue Praxis der sozialen Verantwortung, z.B. der Armenfürsorge, abgeleitet, die bis in die Begründung modernen sozialstaatlichen Handelns nachwirkt.

Der Band Ambivalenzen der Nächstenliebe zeichnet diese Entwicklung aus verschiedenen Perspektiven nach. Insgesamt enthält er 14 Beiträge einer Tagung, die im Februar 2018 in Heidelberg stattfand. Der erste Teil ist den historischen Entwicklungen gewidmet, darauf folgen Artikel zu Ressourcen diakonischen Handelns heute und schließlich Beiträge mit Blick auf die Praxisrelevanz der reformatorischen Botschaft der Nächstenliebe heute. Als „ambivalent“ werden die Auswirkungen der Reformation insofern beschrieben, als es dadurch z.T. auch zu einer Verschärfung des Umgangs mit Bedürftigen und Armen kam. So wurde zwischen guten und schlechten (=faulen) Armen unterschieden und zur Armenfürsorge gehörte auch die strenge Disziplinierung mit dem Ziel einer „Verfleißigung“ – Hartz IV lässt grüßen.

In solider wissenschaftlicher Aufarbeitung bietet der Band immer wieder überraschende Einblicke, wie z.B. auch die Erkenntnis, dass sich Christen nach empirischen Studien tatsächlich sozialer verhalten als der/die Durchschnittsbürger/in. Nächstenliebe scheint also durchaus noch aktuell zu sein.

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