Kleine kulturelle Irritation Ein Zwischenruf zur Namenswahl bei der Eheschließung

In vielen arabischen Ländern behalten die Ehegatten ihren Familiennamen bei, wenn sie heiraten, auch die Frauen. In Deutschland übernehmen dagegen die meisten Frauen immer noch den Nachnamen ihres Ehemanns. Ein bemerkenswerter Umstand, besonders wenn man das gängige Bild der Frau im Islam berücksichtigt.

Was bedeutet uns unser Nachname? Was verbinden wir mit ihm? Wie wichtig ist er uns? Gehört er zu unserer Identität? – Der Gesetzgeber beantwortet diese Frage mit Ja. Er schützt ihn, den Nachnamen, nicht nur den des Mannes, sondern seit 1991 auch den der Frau. Nach geltendem Recht ist der Name Ausdruck der Identität und Individualität eines Menschen.

Wie verhält es sich mit der Identität und Individualität, wenn der eigene Nachname bei der Eheschließung abgelegt wird? Entsteht eine neue Identität? Muss sich das Individuum neu definieren?

Diese und weitere Fragen stellen sich Frauen häufiger als Männer, denn rund 80 Prozent nehmen bei der Eheschließung den Namen des Gatten an, obwohl sie rechtlich gesehen aus o.g. Gründen seit über 20 Jahren die Möglichkeit haben, ihren Namen weiterzuführen. Warum wird diese Möglichkeit verhältnismäßig wenig genutzt? Gerne wird die Familie des zukünftigen Ehemannes bemüht, die sich einen Bruch mit der Tradition nicht vorstellen kann. Frauen selbst betonen, wie selbstverständlich für sie die „traditionelle Namensübernahme“ ist, oder dass sie sich darüber nie Gedanken gemacht haben. Vielleicht brauchen Prozesse dieser Art länger.

Als im 17. Jahrhundert Berufe für Familien namensgebend wurden, führte dies indirekt zu einer Subsumierung der Frauennamen. Ende des 18. Jahrhunderts wurde zum ersten Mal gesetzlich festgehalten, dass die Frau den Familiennamen des Mannes annimmt. Auf diese Weise – so der patriarchal geprägte Gedankengang – bekommt sie Anteil am Status des Mannes. Dem voraus ging die mittelalterliche Praxis: Hier standen die Nachnamen häufig in Verbindung mit dem Wohnsitz, den Landschaften oder prägenden Elementen der Umgebung. Derjenige, der seinen Wohnort verließ und zum anderen zog, nahm damit auch den Namen des Ortes an und legte seinen eigenen ab.

Es war mitnichten zu allen Zeiten so, wie sich unsere gängige, immer noch patriarchal hergeleitete Praxis heute präsentiert. Und es ist nicht an allen Orten so wie hier. Beispielsweise behalten in vielen arabischen Ländern die Ehegatten ihren Familiennamen bei, wenn sie heiraten. Dies gilt dort ganz selbstverständlich auch für die Frauen, die ihren Geburtsnamen nach der Eheschließung weiterführen. Ein bemerkenswerter Umstand angesichts der kritischen Betrachtung des Islam – insbesondere der Rolle der Frau. Wenn wir versucht sind, manchmal durchaus schnell, nicht selten überheblich, beurteilen zu wollen, inwieweit muslimische Frauen in ihrer Rolle eingeengt sind, könnte dieses Detail zu einer Erweiterung unseres Horizontes führen.

Es wäre nicht uncharmant, sich von dieser kulturellen Praxis beleben zu lassen und die Diskussion über Identität und Individualität am Beispiel der Namenswahl neu zu bedenken.

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