Stichwort: Einwanderungsgesellschaft oder: „... denn sie fanden Platz in der Herberge“?

Die Welt ist aus den Fugen. Mehr als 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge rechnet in diesem Jahr mit 450.000 Menschen, die ihren Anspruch auf Asyl geltend machen.

Vor zwanzig Jahren, als eine vergleichbare Anzahl Asyl in Deutschland suchte, führte das zu erbitterten Kontroversen um das Asylrecht, verbunden mit ausländerfeindlichen Ausschreitungen. Das Ergebnis war der sog. Asylkompromiss, der einschneidende Veränderungen von Artikel 16 GG zur Folge hatte.

Hilflose Flüchtlinge – uneinige Europäer

Sind wir heute, da Politik und Medien eine große Solidaritätsbewegung feststellen, tatsächlich eine Einwanderungsgesellschaft geworden? Bilder und Berichte von Menschen, die ihr Leben riskieren, um nach Europa zu kommen, mobilisieren starke Gefühle. Viele fordern deshalb legale Wege für die Einreise von Flüchtlingen. Doch die Europäer sind uneins. Eine verbindliche Flüchtlingsaufnahmepolitik ist gescheitert. Doch „Flüchtlinge sind keine Last, ihre Aufnahme ist eine Herausforderung – eine lösbare. Flüchtlinge haben ein Recht zu kommen und zu bleiben – unabhängig von Nützlichkeitserwägungen“, sagt PRO ASYL. Das löst Widerspruch aus.

Gesichtspunkte einer Willkommenskultur

Und Deutschland? Wir sind ein weltoffenes und wohlhabendes Land. Bestimmt. Aber: tun wir angesichts der wachsenden Not genug? Bestimmt nicht! Wir wissen längst, was gutes Zusammenleben in der Einwanderungsgesellschaft möglich macht: Sprache ist der Schlüssel. Auf gute Bildung kommt es an. Arbeit fördert das Selbstwertgefühl. Die Einsicht, dass dazu ein entsprechendes gesellschaftliches Klima und nicht zuletzt erhebliche staatliche Finanzmittel notwendig sind, hat sich nur unzureichend durchgesetzt. Und wir stellen die notwendigen Fragen nicht: Über welche Talente verfügt ein Flüchtling? Welche Sprachen spricht er? Welche Interessen hat er? Wo finden sich Kontakte, Familien, Freunde, die ihn aufnehmen und unterstützen könnten – und wo wäre er am besten untergebracht? Das könnten Gesichtspunkte für ein spürbares Willkommen einer Einwanderungsgesellschaft sein (die den näheren inhaltlichen Regelungen eines möglichen, derzeit umstrittenen deutschen Einwanderungsgesetzes zugrunde liegen sollten).

Nächstenliebe konkret

Hier wünschte man sich die aktive Stimme der Kirchen und Religionsgemeinschaften, die weitgehend in Appellen und Symbolhandlungen verharren. Und sie könnten bei der notwendigen öffentlichen Erörterung die Sorgen, Vorbehalte und Bedürfnisse der Einheimischen ins Gespräch bringen. Divergierende Interessen und Veränderungen könnten rechtzeitig erkannt und im Miteinander ausbalanciert werden.

Schließlich, was könnte glaubwürdiger und die Anstrengungen der politischen Mandatsträger besser unterstützen als eine Aktion, bei der Kirchen-, Moschee-, Synagogengemeinden – je nach Größe und Leistungsfähigkeit – eine oder mehrere Flüchtlingsfamilien aufnähmen und begleiteten? Solidarität und gesamtgesellschaftliche Verantwortung bekämen so ein Gesicht. Für die Kirchengemeinden wäre dann Weihnachten zu jeder Jahreszeit: „denn sie fanden Platz in der Herberge!“

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