„… verpflichtet, mutig voranzuschreiten“ Zum Stand der Ökumene

An der Diskussion um die Orientierungshilfe der Deutschen Bischofskonferenz zur gemeinsamen Teilnahme konfessionsverschiedener Ehepartner an der Eucharistie zeigt der Bischof von Essen auf, wo wir aktuell in der Ökumene stehen: Es sind Blockaden zu erwarten – aber wir können sie überwinden.

Am 27. Juni 2018 hat die Deutsche Bischofskonferenz den Text der Orientierungshilfe veröffentlicht, die sich mit der Frage befasst, unter welchen Bedingungen evangelische Partnerinnen oder Partner in konfessionsverbindenden Ehen an der Eucharistiefeier teilnehmen und dabei auch die Heilige Kommunion empfangen können. Wie mit dieser Orientierungshilfe in den Diözesen umgegangen wird, liegt in der Verantwortung der einzelnen Bischöfe.

Kontroverse Diskussionen in spannungsreichen Zeiten

Der Veröffentlichung ist eine monatelange innerkatholische Diskussion vorausgegangen, die von Theologen beider Konfessionen und den Medien vielfach kommentiert wurde. Vor allem in den konfessionsverbindenden Familien und in den direkten Kontakten zwischen evangelischen und katholischen Gemeinden hat diese Debatte nicht nur Unverständnis, sondern auch Enttäuschung und Verbitterung ausgelöst.

Blickt man zurück, so lässt sich an der Diskussion um dieses Thema gut ablesen, wo wir aktuell in der Ökumene stehen, wo die Blockaden zu erwarten sind und wie wir sie überwinden können. Ich bin davon überzeugt, dass wir vorankommen werden, und setze mich persönlich dafür ein. Dabei erwarten uns allerdings spannungsreiche Zeiten und kontroverse Diskussionen. Wir müssen uns daher auf einige Prinzipen und „Spielregeln“ des ökumenischen Gesprächs besinnen, damit wir bei den weiteren Schritten auf dem Weg zur Einheit aller Christen nicht ins Straucheln kommen.

Das Reformationsjubiläum hat uns einander näher gebracht

Zunächst aber gilt es festzuhalten, dass wir uns als Katholiken und Protestanten 2017, im Jahr des Reformationsgedenkens, ein großes Stück näher gekommen sind. Diese Aussage gewinnt erst dann ihr Gewicht, wenn man sich daran erinnert, wie frühere Jahrhundertjubiläen der Reformation begangen wurden: als aufwändig gestaltete und sorgfältig inszenierte Feiern der gegenseitigen Abgrenzung.

Ganz anders bei den zurückliegenden Feiern. Am Reformationstag 2016 haben Papst Franziskus und der damalige Präsident des Lutherischen Weltbundes, Bischof Mounib Younan, im schwedischen Lund mit weiteren Vertretern der katholischen Kirche und der Lutheraner einen Gottesdienst gefeiert und damit gemeinsam das Gedenken an 500 Jahre Reformation eröffnet. In der für das Verhältnis von Katholiken und Lutheranern historischen Erklärung, die Papst Franziskus und Bischof Younan am Ende des Gottesdienstes unterzeichnet haben, ist die Rede von einer „tiefen Dankbarkeit (…) für die geistlichen und theologischen Gaben, die wir durch die Reformation empfangen haben“. In Berlin wurde am gleichen Tag bei der deutschen Feier zur Eröffnung des Reformationsjahres die Martin-Luther-Medaille zum ersten Mal an einen Katholiken, und zwar an den inzwischen verstorbenen Kardinal Lehmann, verliehen. Und schon vor diesen beiden wirklich bemerkenswerten Ereignissen haben im Frühsommer 2015 der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, in einem Briefwechsel vereinbart, das Reformationsjahr 2017 in ökumenischer Verbundenheit als „Christusfest“ zu begehen.

Damit war klar, dass 2017 nicht zu einem „Betriebsjubiläum der evangelische Kirche“ werden würde, sondern dass das ursprüngliche Anliegen Martin Luthers im Mittelpunkt stehen sollte. Ihm ging es darum, das Evangelium von Jesus Christus, wie es die Heilige Schrift bezeugt, ins Zentrum zu rücken und dabei vor allem die Botschaft von der freien Gnade Gottes herauszustellen. Der damit verbundene Ruf zur Umkehr und geistlichen Erneuerung – so konnten jetzt Protestanten und Katholiken gemeinsam sagen – sollte 2017 neu gehört werden.

An der Schwelle zu einer neuen Gemeinsamkeit

Zum ersten Mal ist es also gelungen, bildlich gesprochen nicht Rücken an Rücken, sondern Seite an Seite, nicht gegeneinander, sondern miteinander den Blick auf die Reformation und ihr geistliches Anliegen zu richten. Zum ersten Mal standen nicht Polemik, gegenseitige Schuldzuweisung und Profilierung auf Kosten des Anderen im Vordergrund, sondern die Erkenntnis, dass beide Konfessionen ihren je spezifischen Anteil an der Trennungsgeschichte zwischen Katholiken und Protestanten haben. Auf diesem Hintergrund habe ich in meinem Bischofswort zum Jahr 2017 meine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass wir an der Schwelle zu einer neuen Gemeinsamkeit im Glauben stehen. Und ich habe hinzugefügt, dass die Hoffnung auf eine solche neue Gemeinsamkeit im Glauben möglich geworden ist durch die Heilung vieler Wunden, die die Trennung geschlagen hat.

Zum ersten Mal nicht Rücken an Rücken, sondern Seite an Seite.

Hier sind zwei Dinge zu nennen, die einen neuen Blick auf die Trennungsgeschichte der Kirchen ermöglicht haben. Zum einen wurde auf Erfahrungen aus Prozessen eines Healing of Memories, zu Deutsch: Heilung der Erinnerung, zurückgegriffen. Zum anderen wurden diese Erfahrungen ausdrücklich auf die Theologie der Versöhnung bezogen, die wir in der Bibel finden und die besonders bei Paulus entfaltet wird (vgl. 2 Kor 5, 17-21 u.a.).

„Healing of Memories“

Healing of Memories-Prozesse, wie zum Beispiel die Aufarbeitung der Schrecken des Apartheid-Regimes in Südafrika, gehen von der Erfahrung aus, dass lang andauernde Konflikte aufgrund der gegenseitigen Verletzungen zu einer Polarisierung und zu gegensätzlichen Erinnerungen und Erzählungen führen. Jede Seite hat ihre eigene Version der Geschichte, in der sich das negative Bild der anderen Seite immer mehr verfestigt und in den Dienst der eigenen Identitätsbildung gestellt wird, die gleichzeitig den Anderen abwertet. So bleiben gegenseitige Verletzungen, die im Verlauf der Geschichte entstanden sind, im kollektiven Gedächtnis haften und wirken lange über das eigentliche Ereignis hinaus.

Solche Erinnerungen belasten das Miteinander oft auch dann noch, wenn die Gründe für den Konflikt längst entfallen sind. Sie können aber geheilt werden, wenn sich die Beteiligten ihre Geschichten unter der Perspektive der Versöhnung gegenseitig erzählen, wenn sie die Perspektive der anderen Seite einnehmen und sich gegenseitig klar machen, was sie einander angetan haben und was jede Seite erlitten hat. Versöhnung heißt dabei im biblischen Sinn nicht, dass Schuld und Leid vergessen oder verdrängt würden. Versöhnung ist nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift möglich, weil Gott sich der Schuld annimmt und Vergebung schenkt, wenn wir aufrichtig darum bitten und selber Vergebung gewähren.

Erinnerungskultur als Mittel der Versöhnung

Im Vorfeld des Reformationsjahres ist es nun gelungen, einen solchen Prozess der Heilung der Erinnerung zu beginnen. Dabei geht es nicht darum, die Geschichte umzuschreiben, sondern die jeweilige Erinnerungskultur aus ihrer Funktion als Mittel der Abgrenzung herauszulösen und zu einem Mittel der Versöhnung werden zu lassen. So können die Verletzungen aus der Geschichte, die Wunden, die die Trennung unserer Kirchen geschlagen hat, vernarben und diese Narben können – so unsere Hoffnung – in Zukunft berührt werden, ohne dass es schmerzt.

Verletzungen der Vergangenheit können zu lange wirksamen Mauern werden – Ökumenischer Versöhnungsgottesdienst (Foto: Nicole Cronauge, Bistum Essen)

Ein erstes Ergebnis in diesem Prozess der Heilung der Erinnerung ist ein gemeinsames Wort der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland mit dem Titel „Erinnerung heilen – Christus bezeugen“. Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir auf dieser Grundlage als einen weiteren Schritt der Heilung der Erinnerung mit Mitgliedern der Deutschen Bischofskonferenz und Mitgliedern des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland am 11. März 2017, mitten in der österlichen Bußzeit, in Hildesheim einen Buß- und Versöhnungsgottesdienst feiern konnten. Damit der Prozess der Heilung der Erinnerung eine möglichst große Wirkung entfalten kann und möglichst viele Christen beider Konfessionen einbezieht, haben viele Gemeinden ähnliche Gottesdienste auch vor Ort gefeiert. Bereits im Januar 2017 habe ich gemeinsam mit Präses Manfred Rekowski für die Evangelische Kirche im Rheinland und Vizepräsident Albert Henz für die Evangelische Kirche von Westfalen unter Beteiligung von Vertretern weiterer christlicher Kirchen im überfüllten Essener Dom einen ökumenischen Versöhnungsgottesdienst gefeiert.

Wir müssen unsere Selbstverpflichtungen einlösen

Heilung der Erinnerung und Versöhnung blicken in die Vergangenheit, aber sie tun dies, um die Zukunft zu gewinnen. So gehörten zu den beiden zentralen ökumenischen Gottesdiensten aus Anlass des Reformationsjubiläums in Lund und in Hildesheim Selbstverpflichtungen. Im Rahmen des Gottesdienstes und damit vor Gottes Angesicht wurden konkrete Schritte benannt, die das Ziel haben, unsere Lehre und unser Handeln im Geist der ökumenischen Geschwisterlichkeit zu verändern.

Explizit erwähnt wurde dabei die Verpflichtung, „den konfessionsverbindenden Ehen alle Hilfestellung zu leisten, die ihren gemeinsamen Glauben stärken und die religiöse Erziehung ihrer Kinder fördern“. Die von der Deutschen Bischofskonferenz erarbeitete pastorale Orientierungshilfe löst diese Selbstverpflichtung ein, und zwar im Rahmen dessen, was in der römisch-katholischen Kirche dogmatisch und kirchenrechtlich möglich ist. Ich habe mich öffentlich hinter diesen Text gestellt und möchte dies als ein Zeichen dafür verstehen, dass eine gute und seit langem auch im Bistum Essen selbstverständliche Praxis ausdrücklich Anerkennung findet.

Eucharistiegemeinschaft und Taufgemeinschaft

Für uns Katholiken wie übrigens auch für die orthodoxen Kirchen ist eine volle Eucharistiegemeinschaft nur im Rahmen einer vollen Kirchengemeinschaft denkbar. Dabei ist in den anstehenden Etappen des ökumenischen Dialogs noch zu klären, welche Unterschiede bei uns wirklich kirchentrennend sind, welche, um der Einheit willen, abschließend wirklich gelöst werden müssen, und welche, um der größeren Einheit willen, bei gegenseitigem Respekt vor der anderen Position, nicht nur ertragen werden, sondern vielleicht als Bereicherung des Christlichen fruchtbar sein können. Die Einheit der Kirche wird es nicht als Uniformität, sondern nur als versöhnte Verschiedenheit geben.

Der gemeinsame Grund unseres Glaubens ist größer, als alles, was uns noch trennt!

Gleichzeitig ist daran zu erinnern, dass schon heute alle Christen durch die Taufe im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes auf eine grundlegende Weise verbunden sind. Und das nicht durch eigenes Tun, sondern durch das Wirken Gottes. Durch die Taufe sind wir alle ein Leib in Christus (vgl. Vat. II, LG 15; UR 2). Und wir sind berufen, gemeinsam Zeugnis zu geben vom Evangelium. Gemeinsam stehen wir vor der Herausforderung, uns in einem zunehmend säkularen, pluralen und multireligiösen gesellschaftlichen Umfeld so einzubringen, dass Menschen in der christlichen Botschaft für sich Angebote gelingenden Lebens entdecken können.

Drei Grundsätze für die Zukunft

Wir sollten daher (1) weitere Schritte der praktischen Ökumene nicht abhängig machen von der vollen Abendmahlsgemeinschaft oder sogar der Einheit der Kirchen. Der gemeinsame Grund unseres Glaubens, unser gemeinsamer Auftrag und unsere gemeinsame Aufgabe sind größer, als alles, was uns noch trennt! Wir sollten (2) in zukünftigen Debatten die Gemeinsamkeiten im Glauben hervorheben und nicht bestehende Unterschiede so betonen, dass diese als die einzig richtige und mögliche Ausprägung des Christlichen dargestellt werden. Wenn die abgrenzende Profilierung der Konfessionen den Ton vorgibt, wird das gemeinsame Ringen um die Einheit abgelöst durch ein Bemühen, die Anderen auf die eigene Seite zu ziehen. Von dieser „Rückkehr-Ökumene“ hat sich die römisch-katholische Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil verabschiedet. Es gilt (3) respektvoll und wertschätzend, selbstkritisch und fair miteinander und mit den unterschiedlichen theologischen Traditionen und Argumentationen umzugehen. Gerade da, wo wir unterschiedliche Traditionen und Positionen haben, sollten wir als Schwestern und Brüder in Christus neugierig auf die jeweiligen Begründungen dafür sein und zuallererst das Verstehen suchen.

Darum gilt es, einen Satz aus der Erklärung zu betonen, mit der der Ständige Rat der Deutschen Bischofskonferenz die Orientierungshilfe zur Frage konfessionsverbindender Ehen und der Teilnahme an der Eucharistie veröffentlicht hat: „Es ist uns wichtig, dass wir im ökumenischen Suchen zu einem vertieften Verständnis und einer noch größeren Einheit der Christen unterwegs sind, und wir fühlen uns verpflichtet, hier mutig voranzuschreiten.“

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